In der Nacht vom 12. auf den 13. März fand in Los Angeles die 95. Oscar-Verleihung statt.

Die absurde Science-Fiction-Komödie „Alles überall und gleichzeitig“ von Daniel Kwan und Daniel Schreinert (engl. „Everything Everywhere All at Once“) wurde zum besten Film des Jahres 2023 ernannt. Der Film gewann bei dieser Verleihung sieben Oscars. Der Oscar für die beste Hauptdarstellerin ging an Michelle Yeoh. 

Brendan Fraser gewann den Preis als bester Schauspieler für seine Hauptrolle in dem Film Whale. Fraser spielte in Darren Aronofskys Film einen zurückgezogen lebenden, fettleibigen Professor. Dies ist seine erste Hauptrolle seit 12 Jahren. Um diese Rolle spielen zu können, nahm Fraser mehr als ein Dutzend Kilos zu und verbrachte sechs Stunden am Tag im Schminkstuhl.

Außerdem wurde ein biografischer Film über den russischen Politiker Alexej Nawalny, der seit 2021 in einer Hochsicherheitskolonie inhaftiert ist, für den besten Dokumentarfilm nominiert. Der Film wurde von HBO Max und CNN Films produziert und von dem berühmten kanadischen Dokumentarfilmer Daniel Roer inszeniert. Der Autor selbst beschrieb sein Werk als „die Geschichte eines Mannes und seines Kampfes gegen ein autoritäres Regime“.

Nawalnys zwei Kinder und seine Frau Yulia waren gekommen, um gemeinsam mit dem Regisseur den renommiertesten Preis der Filmindustrie entgegenzunehmen. Der Film dreht sich um die Vergiftung des russischen Oppositionsführers mit dem Giftstoff „Nowitschok“ im Jahr 2020 und die Untersuchung dieser Ereignisse durch die Organisation Bellingcat. Der Film zeigt auch Nawalnys Aufenthalt in der deutschen Charité-Klinik, seine Gespräche mit den FSB-Offizieren, die das Attentat verübten, sowie seine Rückkehr nach Russland im Jahr 2021 und seine anschließende Inhaftierung.

Insgesamt wurde der Film vom westlichen Publikum viel gelobt. Bei Rotten Tomatoes liegt die Kritikerbewertung bei 99 %, und auf der Website Metacritics gibt es 82 von 100 Punkten. Noch vor der Oscar-Verleihung wurde der Film von Daniel Roer mit einem BAFTA-Preis in einer ähnlichen Kategorie ausgezeichnet.

Trotz der offensichtlichen Sympathie des westlichen Publikums für die Persönlichkeit von Alexej Nawalny und den Film als Ganzes, verurteilte eine große Mehrheit der Ukrainer*innen die Entscheidung der Filmakademie, den Film mit dem prestigeträchtigen Oscar auszuzeichnen. Hierzu trug auch die Tatsache bei, dass neben dem Film über den russischen Oppositionsführer auch „A House Made of Splinters“ für die Kategorie nominiert worden war. Der ukrainischer Film wurde im Lyssytschansker Zentrum für soziale und psychologische Rehabilitation von Kindern während des Krieges im Donbass vor der Invasion auf das ganze Territorium gedreht.

Im ukrainischen Internet überschlugen sich negative Kommentare über den Filmpreis. Und das nicht, weil das amerikanische Filminstitut einen Film ausgezeichnet hat, der einen Vertreter des angreifendes Staates zeigt, sondern weil es den Krieg in der Ukraine völlig ignoriert.

Das zweite Jahr in Folge verweigerten die Organisatoren dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj die Eröffnungsrede mit der Begründung, die Oscar-Verleihung sei von Natur aus „kein politisches Forum“. Gleichzeitig ging der Preis für den besten Dokumentarfilm im Jahr 2022 an einen Film über einen russischen politischen Gefangenen, dessen Frau auf der Hauptbühne der Veranstaltung eine sehr politische Rede hielt:

„Mein Mann ist im Gefängnis, weil er die Wahrheit gesagt hat. Mein Mann ist im Gefängnis, weil er sich für die Demokratie eingesetzt hat. Alexej, ich träume von dem Tag, an dem du frei sein wirst und unser Land frei sein wird“, sagte Julia Nawalnaja, die mit ihren beiden erwachsenen Kindern an der Zeremonie in Los Angeles teilnahm.

Nawalny ist den Ukrainer*innen seit mehr als einem Jahrzehnt bekannt. Und er hat immer einen gemischten Eindruck hinterlassen. Seine Ermittlungen zur Korruption im Kreml haben stets große Aufmerksamkeit und Bewunderung hervorgerufen. Gleichzeitig wird ihm vorgeworfen, Putins imperialistische Ansprüche auf die Ukraine zu teilen. Es sei darauf hingewiesen, dass der russische Oppositionsführer Alexej Nawalny, der für seine Kritik an Kreml-Diktator Wladimir Putin bekannt ist, eine zweideutige Haltung zur russischen Aggression gegen die Ukraine einnahm. Außerdem ist Alexej Nawalny selbst dafür bekannt, sich kontrovers über die Ukraine zu äußern, insbesondere über die Krim, die von Russland annektiert wurde, weswegen er auch in der Ukraine kritisiert wurde. Der russische Oppositionelle drückte es im Jahr 2014 folgendermaßen aus: 

„Die Krim bleibt Teil Russlands und wird in absehbarer Zeit nie wieder Teil der Ukraine werden.“ „Ist die Krim ein Sandwich mit Wurst, oder was, um es hin und her zu drehen?

Erst im Februar 2023, ein Jahr nach dem Beginn der russischen Invasion, sah Nawalny ein, dass Russland alle eroberten Gebiete, einschließlich der Krim, an die Ukraine zurückgeben und für die durch den Krieg verursachten Schäden aufkommen sollte. Gleichzeitig erwähnte der russische Politiker nichts über die Gebiete anderer Ländern, die von Russland illegal besetzt wurden, wie Transnistrien, Abchasien und Südossetien.

Die Reaktion des Regisseurs des ukrainischen Films „A House Made of Splinters“ auf den Gewinnerfilm Navalny war wie folgt:

„Ich will die Filmakademie nicht kritisieren. Das ist ihr Recht, das ist ihre Entscheidung. Aber wir verstehen, dass die russische Propaganda weiterhin sehr gut funktioniert und die so genannte ‚Opposition‘ und die so genannten ‚Politiker‘ sehr schön präsentiert. Aber leider funktioniert die Propaganda dank der riesigen Budgets und großen Konzerne, die den Film fördern. Jedoch wir glauben immer noch, dass unser Film von hoher Qualität ist, dass wir viel Wertvolles getan haben, als wir über die Ukraine und die Probleme der Kinder in der Ukraine überall gesprochen haben.“

Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba kritisierte auch die Weigerung, den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, bei der Oscar-Verleihung eine Rede halten zu lassen: „Ich denke, wenn „Im Westen nichts Neues“ den Oscar für den besten ausländischen Film gewinnt und Präsident Selenskyj, der sich im Krieg befindet, das Land regiert und im größten Krieg Europas seit dem Zweiten Weltkrieg kämpft, nicht bei der Oscar-Verleihung sprechen darf, dann gibt es kein besseres Beispiel für die Falschheit der Spitzenmanager und Produzenten in der Filmindustrie“.

Mychajlo Podoljak, Berater von Andrij Jermak, dem Leiter des Präsidialamtes der Ukraine, wies auf die Doppelmoral der Oscar-Veranstalter hin:

„Wenn die Oscars nichts mit Politik zu tun haben, wie können wir dann das dokumentarische Manifest von Nawalny verstehen, in dem die russische Innenpolitik überschwappt? Wenn die Oscars nichts mit dem Krieg in der Ukraine und dem Massenvölkermord an den Ukrainern zu tun haben, warum reden wir dann ständig von Humanismus und Gerechtigkeit“, schrieb er auf Twitter.

Die Entscheidung der American Film Academy löste auch in den sozialen Medien heftige Reaktionen aus. Viele Ukrainer*innen brachten ihre Empörung darüber zum Ausdruck: 

„Bei diesem Oscar geht es nicht um das Leben, sondern um die filmische Realität, in der die exaltierte westliche Bohème lebt. Sie hat einfach das gewählt, was ihr ästhetisch näher ist. Schließlich sind Navalnys lächelnde Kinder auf dem roten Teppich viel filmischer als ukrainische Waisenkinder aus einem Waisenhaus im Donbas. Leider.“, – schreibt ein ukrainischer Journalist Sergii Ivanov im Twitter.

Ein anderer Publizist, Sergei Fursa, vertrat die Meinung, dass der Oscar-Sieg des Films auch ein Schlag gegen die russische Propaganda sei, die beispielsweise in Indien und Lateinamerika sehr wirksam ist. Und ein Film wie dieser, der ein solches Russland und einen solchen Putin zeigt, ist ein Schlag gegen den Ort, an dem Putin schmerzt. Und das ist in dem Interesse des ukrainischen Volkes.