Panorama der Stadt Lachin im Jahre 2010

Foto: Ліонкінг, Berdzor060, CC BY-SA 3.0

Seit mehr als drei Monaten ist die einzige Verbindung Bergkarabachs zu Armenien und dem Rest der Welt – der Lachin-Korridor, wie er in Aserbaidschan genannt wird – von Umweltaktivisten blockiert, die Zugang zu Goldminen und Medien fordern. Der Präsident und die Bevölkerung Armeniens warnen vor einer humanitären Katastrophe.

Der armenische Staatschef Nikol Pashinyan beschuldigt die russischen Friedenstruppen offen der Untätigkeit. Außerdem behaupten die Behörden, dass es aufgrund der Straßensperrung nicht möglich sei, die Region mit Lebensmitteln und anderen lebenswichtigen Gütern zu versorgen, weshalb die Lebensmittel bereits über Bezugschein verteilt wurden. Nahezu 150.000 Einwohner befinden sich weiterhin im Belagerungszustand und in den Geschäften gehen Lebensmittel, Medikamente und Benzin aus. Diejenigen, die Vieh halten, haben noch etwas zu essen, aber es ist noch nicht klar, wie lange die Grenze geschlossen sein wird.

Nach dem Zweiten Karabach-Krieg wurde der Lachin-Korridor die einzige Verbindung zwischen Armenien und Berg-Karabach (Artsakh). Am 27. Juni 2022, nach dem Bau einer neuen Strecke entlang des Lachin-Korridors, wurde die Stadt Lachin jedoch an Aserbaidschan übertragen. Ebenso wie die meisten Gebiete von Berg-Karabach nach der Unterzeichnung des Waffenstillstandsabkommens im Jahr 2020.

Historischer Hintergrund des Gebiets

Bergkarabach, oder anders genannt Artsakh, ist eine von Armenier*innen bewohnte Region im Südkaukasus, die 1921 von der Sowjetunion als autonome Einheit an Aserbaidschan abgetreten wurde. Historisch gesehen war dieses Land armenisch, sogar im Jahr 700, und es wird berichtet, dass der Dialekt der armenischen Sprache in Artsakh (Karabach) auftauchte. Am Ende des 9. Jahrhunderts wurde die Region Teil des wiederhergestellten armenischen Königreichs. Der erste Europäer, der Karabach besuchte, war der Deutsche Johann Schilteberger im Jahr 1420, der schrieb, dass die dort lebenden Armenier ihn „gut behandelten und ihn die armenische Sprache lehrten“. Zwischen dem 13. und 19. Jahrhundert wurde Karabach von den Mongolen und später von den Turkomanen erobert. Später, im 18. Jahrhundert, wurde Karabach Teil von Persien und kam nach dem Persisch-Russischen Krieg unter die Herrschaft des Russischen Reiches.

1918, nach dem Zusammenbruch des Russischen Reiches und der Unabhängigkeitserklärung der armenischen und aserbaidschanischen Republiken, begannen die Streitigkeiten um das Gebiet von Karabach. Während des Krieges von 1918-1920 übernahmen türkisch-aserbaidschanische Truppen die teilweise Kontrolle über Karabach. Bereits 1921 wurde das Gebiet Berg-Karabach, das zu 94 % von Armenier*innen bewohnt wird, von der damaligen sowjetischen Regierung an die Aserbaidschanische Sozialistische Sowjetische Republik (SSR) abgetreten, und es wurde die Autonome Region Bergkarabach gegründet.

Arzach von 1994 bis 2020

Die in diesem Gebiet lebenden Armenier*innen waren mit der Entscheidung der sowjetischen Behörden unzufrieden, weshalb der Konflikt 1988 eskalierte und bis zum heutigen Tag 34 Jahre andauert. Im selben Jahr begann der erste Karabach-Krieg, der bis zum 12. Mai 1994 andauerte. Die Armenier*innen siegten und unterzeichneten das Protokoll von Bischkek, ein Waffenstillstandsabkommen zwischen Armenien, der Republik Bergkarabach und Aserbaidschan. Es wurde u.a. auf Initiative der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten und des Außenministeriums der Russischen Föderation unterzeichnet.

Was geschah im Jahr 2020?

Der Zweite Karabach-Krieg begann am 27. September 2020 mit der Offensive Aserbaidschans gegen Karabach (Artsakh) von Norden und Süden her, wobei Flugzeuge, gepanzerte Fahrzeuge und Artillerie in großem Umfang eingesetzt wurden. Dies war die größte Eskalation seit mindestens 2016. Sowohl in Armenien als auch in Aserbaidschan wurde das Kriegsrecht verhängt. Die Türkei ist ein Verbündeter Aserbaidschans und unterstützte es mit Waffen. So ist vielen Beobachtern und Medien bekannt, dass viele Söldner aus Syrien und Libyen, die von der Türkei gestellt wurden, an der Seite Aserbaidschans kämpften. Dieser Krieg dauerte 44 Tage und endete mit der Unterzeichnung eines Friedensvertrags am 10. November 2020 zwischen Armenien und Aserbaidschan unter Beteiligung Russlands als friedenserhaltendes Land und unter der Bedingung, dass parallel zum Rückzug der armenischen Streitkräfte russische Friedenstruppen eingesetzt werden und ein Teil des Gebiets von Bergkarabach, insbesondere die Stadt Schuscha, unter aserbaidschanischer Kontrolle bleibt. 

Während des zweiten Karabach-Krieges starben auf beiden Seiten mehr als 9.000 Menschen, darunter auch Zivilisten. Etwa 100.000 Menschen flohen vor dem Krieg in verschiedene Teile des Landes und kehrten nach der Unterzeichnung des Waffenstillstandsabkommens in ihre Heimat zurück. Einige von ihnen mussten jedoch ihre Heimat für immer verlassen, da einige Gebiete an Aserbaidschan abgetreten wurden. Auch nach der Unterzeichnung des Waffenstillstandsabkommens kam es an den Grenzen zwischen den verfeindeten Staaten zu Zusammenstößen.

Russische Friedenstruppen wurden eingesetzt, um die Kontaktlinie zwischen den Konfliktparteien und den Lachin-Korridor zu überwachen, der, wie ich bereits erwähnt habe, Armenien mit dem Rest von Artsakh verbindet. Die Niederlage Armeniens, die Stationierung russischer Truppen in Artsakh, die Einmischung der Türkei in den Konflikt und die fortgesetzte Unterstützung Aserbaidschans spielten eine wichtige Rolle bei der Veränderung der Geopolitik in der Region.

Warum ist der Lachyn-Korridor blockiert? Sind es wirklich Umweltaktivisten oder Aserbaidschan?

Die Blockade, die die russischen Friedenstruppen nicht verhindern konnten, führt zu neuen Spannungen zwischen den beiden Ländern in einem scheinbar unlösbaren Konflikt. Der Lachin-Korridor, der Bergkarabach mit Armenien und der Außenwelt verbindet, wird seit dem 12. Dezember 2022 von aserbaidschanischen Aktivisten blockiert, die fordern, dass russische Friedenstruppen zur Überwachung Zugang zu den Feldern Gizilbulag und Demirli erhalten. Am 12. Februar blieb der Korridor für 2 Monate geschlossen.

Auf die Erklärung des russischen Außenministers, dass der Lachin-Korridor so schnell wie möglich vollständig freigegeben werden sollte, antwortete sein aserbaidschanischer Amtskollege, dass die aserbaidschanischen Bürger ein „legitimes Recht haben, gegen illegale wirtschaftliche Aktivitäten, einschließlich der Ausbeutung natürlicher Ressourcen und der Ausnutzung des Lachin-Wegs“ zu protestieren, auch dort, wo russische Friedenstruppen stationiert sind.

Ende Januar reichte Armenien bei dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag eine Klage gegen Aserbaidschan ein, in der es die Freigabe des Lachin-Korridors forderte, der für Menschen aus Artsakh die einzige Möglichkeit darstellt, nach Eriwan zu fahren und Waren zu transportieren. Zuvor hatte das Europäische Parlament eine Entschließung zur Blockade von Bergkarabach angenommen, in der Aserbaidschan aufgefordert wurde, die Straße unverzüglich zu öffnen. Im Gegenzug hat Aserbaidschan eine Gegenklage eingereicht, in der es behauptet, dass Eriwan den Lachin-Korridor für die Lieferung von Minen und Waffen nach Karabach nutzt, was nach dem Waffenstillstandsabkommen verboten ist. Der Internationale Gerichtshof in Den Haag wird beide Klagen in getrennten Verfahren prüfen.

Die Rolle Russlands in diesem Konflikt 

Aserbaidschan ist traditionell ein Bruderland der Türkei, und Armenien ist seit der Sowjetunion ein Verbündeter Russlands. Russland ist schon seit geraumer Zeit ein Partner Armeniens, der bei der Entscheidungsfindung mit Armenien an einem Tisch sitzt und das Waffenstillstandsabkommen zwischen den beiden Ländern moderiert hat. Ende Juli 2022 eskalierte die Situation um Bergkarabach. Der Waffenstillstand wurde von Aserbaidschan verletzt, das versuchte, die Kontaktlinie zwischen den Kriegsparteien zu überschreiten. Aserbaidschan griff eine Militäreinheit an und tötete Dutzende von Soldaten.

Aufgrund der gescheiterten Invasion Russlands in der Ukraine und der Schwächung seiner Positionen in Karabach sieht Aserbaidschan Chancen, das gesamte Gebiet der Republik Bergkarabach zu kontrollieren.

Und die Lage in der Region bleibt weiterhin unklar, obwohl die Vereinigten Staaten und andere EU-Länder wiederholt die Freigabe des Lachin-Korridors gefordert haben: „Wir fordern die vollständige Wiederherstellung der Bewegungsfreiheit entlang des Korridors. In allen Fragen kann man nur durch Verhandlungen vorankommen“, erklärte die US-Botschaft in Armenien.