Anfang diesen Jahres war ich etwas planlos: Die Schule war vorbei, ich hatte nichts mehr zu tun und habe mich gefragt: Was mache ich jetzt mit meiner Zeit? Ich wollte weg, das war klar, mich treiben lassen und nur das tun, worauf ich Lust hatte.
Aber wie stelle ich das mit dem „Wegsein“ an? Eine*n Reisepartner*in hatte ich nicht, also habe ich alleine meinen Rucksack gepackt und bin los nach Nordfrankreich, einfach erstmal anfangen. Genau zu der Zeit waren zufällig Interrail-Tickets im Sale, also begann von dort meine Zugreise durch Europa.
Anfang November postete die Tagesschau auf Instagram: „600.000 Interrail-Tickets europaweit verkauft in diesem Jahr – so viele wie noch nie“, das Ticket feiert 2022 seinen 50. Geburtstag, und die Tickets waren teilweise um die Hälfte reduziert. Was als Werbegag begann, hat sich heute besonders unter jungen Menschen in Europa fest etabliert: Seit 1972 lassen sich mit dem sogenannten „Global Pass“ 21 Länder Europas mit dem Zug bereisen.
Meine Reise startete in Nordfrankreich, dort habe ich bei einer älteren Frau auf einem kleinen Hof gelebt und gearbeitet. Wir haben gemeinsam eine Wiese mit hüfthohem Unkraut gemäht und zum Anbau von Gemüse vorzubereiten. Ich habe im Haushalt geholfen und mich um die zwei Esel gekümmert. Beim „Woofing“ wohnt man bei den Besitzer*innen und hilft gegen Kost und Logie bei den Arbeiten, die dort anfallen. Für mich eine tolle Möglichkeit meine Französischkenntnisse aufzubessern, lange hat es mich diesmal aber nicht gehalten, da ich mich nach Gleichaltrigen gesehnt habe und die Zeit nur zu zweit etwas eintönig war. Trotzdem werde ich das auf jeden Fall nochmal machen!
Haus auf dem Hof in der Normandie (Nordfrankreich)
Dann nach Italien: Genua, Florenz und Venedig. Florenz hat mir besonders gut gefallen: Sehr touristisch, aber eine wunderschöne Stadt umgeben von den Hügeln der Toskana.
Sonnenuntergang über Florenz (Italien)
Zurück nach Hause bin ich über Wien, Prag und Bratislava, was mir zum Ende hin besondere Lust darauf gemacht hat den Osten Europas in Zukunft noch mehr zu erkunden.
Straße in Bratislava (Slowakei)
Ich bin die ganze Zeit über alleine gereist und obwohl ich eine wirklich wunderbare Zeit hatte, war es nicht immer einfach: Am Anfang war ich oft einsam, habe mir vertraute Menschen um mich herum gewünscht, wollte nicht mehr allein sein und hatte Angst niemanden kennenzulernen.
Das änderte sich aber schlagartig mit der Ankunft in meinem ersten Hostel: In null Komma nichts war ich umgeben von einer Handvoll Menschen und die Einsamkeit war weg. So ging es mir oft: Ankommen, Menschen treffen, Abreisen, Einsamkeit, Ankommen… Ein Auf und Ab der Gefühle.
Und trotzdem würde ich diese Zeit nicht eintauschen wollen: Ich habe so viele unterschiedliche Blickwinkel auf diese Welt kennenlernen dürfen. Habe mit Menschen von allen Kontinenten gesprochen und viel gelacht. Ich hatte die Möglichkeit über mich hinauszuwachsen und so viel zu lernen und das kann mir niemand mehr nehmen.
Das Interrail-Ticket hat sich in den Jahren seit der Einführung sehr verändert. Eigentlich weniger das Ticket als das Zugreisen in Europa. Unter der gestiegenen Popularität hat leider die Spontanität gelitten: Sitzplatzreservierungen sind in vielen Ländern verpflichtend geworden, zum Beispiel in Frankreich. Durch die damit verbundenen Extrakosten und das kleine Kontingent für Interrail-Reisende, ist das Reisen mit dem Zug nicht mehr so flexibel. Auch Hostels sind in der Hochsaison schnell ausgebucht und man muss für eine bezahlbare Reise weit im Voraus planen.
Aber ich würde es immer wieder tun: Mich in den Zug setzen und die Freiheit suchen. Ich habe nur das getan, wonach mir der Sinn stand, habe die aufregendsten Begegnungen, aber auch die einsamsten Momente erlebt und bin jetzt wahnsinnig froh, mich das alles getraut zu haben.
Interrail hat sich verändert, aber es bleibt eine einmalige Möglichkeit Europa zu entdecken und ich möchte jede*n ermutigen, so eine Reise zu machen und alles davon mitzunehmen: Jedes Hoch und Tief, jede Erfahrung, jede Begegnung, weil wir dazu lernen, uns entwickeln und neue Perspektiven einnehmen können.