Triggerwarnung: Es geht in diesem Beitrag um ein Konzentrationslager und darin begangene unmenschliche Verbrechen.

In meinen Semesterferien war ich in Österreich im Urlaub und habe dort die KZ-Gedenkstätte Mauthausen besucht. Es war eine zutiefst bewegende und doch gleichzeitig lähmende Erfahrung. Trotz meines theoretischen Wissens über den Holocaust waren die tatsächlichen Ausmaße der in Mauthausen begangenen Verbrechen selbst am Ort des Geschehens für mich schwer zu fassen.

Das KZ Mauthausen war zwischen 1938 und 1945 Teil des Netzwerks von Konzentrationslagern, das sich zunächst über das Deutsche Reich und später auch über Teile der besetzten Gebiete erstreckte. In den ersten Jahren diente das Lager der Inhaftierung politischer Gegner und anderweitig verfolgter Gruppen innerhalb des Deutschen Reichs, aber nach Kriegsbeginn kamen die meisten Gefangenen aus den besetzten Gebieten. Die Mehrheit stammte dabei aus Polen und der Sowjetunion, doch auch aus Süd- und Westeuropa wurden Menschen in das KZ Mauthausen verschleppt.

Der Rundgang durch die Gedenkstätte führt zunächst durch einen Denkmalpark, in dem ab den 1950er Jahren Denkmäler von denjenigen Nationen errichtet wurden, denen die Opfer des KZs angehörten. Das waren rund 40 Nationen. Die Denkmäler spiegeln die politischen Verhältnisse der Nachkriegszeit und des Kalten Krieges wider. Häufig haben sie einen nationalen, heroischen und männlichen Charakter. Erst in den 1970er Jahren wurde ein Denkmal für jüdische Opfer errichtet, in den 1990er Jahren eines für Rom*nja und Sinti*zze.

Denkmalsunterschrift: ,,Für die um ihres Judentums willen Ermordeten“

 

Denkmalsunterschrift: ,,Den Opfern des Faschismus“

Denkmalsunterschrift: ,,Der Kampf gegen den Faschismus muss mit dem Kampf gegen die Kriegsgefahr eng verbunden sein – Georg Dimitrov“

Denkmalsunterschrift: ,,Ich klage an“

Denkmalsunterschrift: ,,Zum ewigen Andenken an die Söhne und Töchter der Ukraine“

Das Denkmal der Ukraine kam erst nachträglich nach dem Zerfall der Sowjetunion und der ukrainischen Staatsgründung 1991 hinzu. Es ist Ausdruck des Gedenkens an die ukrainischen Opfer des Holocausts und gleichzeitig Symbol der Eigenstaatlichkeit der Ukraine. Dass Letzteres ein brandaktueller Konflikt ist, zeigen auch die am Denkmal befestigten blauen und gelben Bänder, die wohl als Solidaritätsbekundungen mit der sich im Krieg befindenden Bevölkerung der Ukraine zu verstehen sind.

 

Die Stimmung beim Betrachten der Denkmäler ist andächtig und ernst. Um mich herum gedenken Menschen den Opfern des KZs und auch ich tue das. Dennoch fühle ich eine gewisse Distanz und merke, dass die Denkmäler mir die ganze Tragweite der Verbrechen nicht vermitteln können. Das ändert sich schlagartig, als ich durch das Lagertor auf den Appellplatz trete. Der Weg führt als Erstes zu den Duschen, in denen die Gefangenen nach ihrer Ankunft gezwungen wurden zu duschen. An diesem Punkt weicht meine rationalisierende Distanz und die an diesem Ort geschehenen Verbrechen werden zum ersten Mal greifbar – zumindest so greifbar, wie es für Außenstehende eben geht.

Alberto Todros, ein italienischer Überlebender, beschrieb die Ankunft einmal so:
„,Sie bringen uns zu einer Treppe, die in den Keller der Baracke führt. Die Kleider, die Koffer, die Pakete bleiben draußen auf einem Haufen liegen. Die ersten von uns steigen die Treppe hinunter, kommen in einen […] Raum, in dem andere Häftlinge uns ohne Schaum und mit völlig stumpfen Rasiererapparaten die Haare am ganzen Körper scheren, schnell, schnell, einer nach dem anderen. In diesem Zustand stoßen sie uns in einen zweiten Raum, in dem sich Duschen befinden. Sobald der Raum voll ist, kommt Wasser heraus und sie befehlen uns, uns zu waschen, dann gehen wir bei einer zweiten Tür hinaus und kommen zu einem Haufen aus Hemden und Unterhosen. […] Wer mager ist, bekommt möglichst weite Bekleidung, wer klein ist, möglichst große. Wir sehen einander an und erkennen uns fast nicht mehr … Wir haben keine Worte für das, was uns geschehen ist.“

Der Rundgang führt danach noch durch die Barracken und entlang eines Friedhofes. Ich glaube aber, dass es an dieser Stelle unangebracht ist, diese Orte aus meiner Perspektive und mit Fokus auf meine Gefühle zu beschreiben. Stattdessen möchte ich allen ans Herz legen, die KZ-Gedenkstätte Mauthausen oder ein anderes ehemaliges Konzentrationslager zu besuchen und den Ort und die Zeugenberichte für sich sprechen zu lassen.

Der Todesblock und die Mühlviertler Hasenjagd

Im Herbst des Jahres 1941 wurde in Mauthausen ein abgetrennter Block für sowjetische Kriegsgefangene errichtet. In den Jahren 1944 und 1945 galt dieser als „Todesblock“, da die Gefangenen kaum Nahrung erhielten und härteste Zwangsarbeit ausüben mussten. Viele waren in das KZ überstellt worden, damit die SS sie hier tötete. Aufgrund der Aussichtlosigkeit ihrer Lage unternahmen in der Nacht zum 2. Februar 1945 etwa 500 Häftlinge einen gemeinsamen Fluchtversuch. Sie griffen mit Wurfgeschossen und Feuerlöschern beide Wachtürme an und schlossen mit nassen Decken den elektrischen Zaun kurz. Die Wachmannschaften eröffneten umgehend das Feuer und ein Teil der Flüchtenden kam noch im Lager ums Leben.

Mehr als 400 sowjetische Gefangene entkamen. Sie waren entkräftet und hatten keine angemessene Kleidung für die verschneite Umgebung. In den kommenden Tagen wurden sie von der SS, der Polizei und der lokalen Bevölkerung gejagt und meist an Ort und Stelle getötet. Diese Hetzjagd auf die meist noch jungen Männer wurde zynisch „Mühlviertler Hasenjagd“ genannt. Nur elf Häftlinge überlebten.

Josef Radgeb, der Pfarrer von Allerheiligen,12 km nordöstlich von Mauthausen, schrieb darüber in seinem Tagebuch:
„2.2.1945. … 400 Gefangene sollen in Mauthausen ausgebrochen sein. [… ] Die Gefangenen werden wie Schwerverbrecher gejagt. Sind ohne Schuhe geflohen. Drei Tage hatten sie nichts zu essen … In den Wäldern hört man immer schießen. […. ] Die Leute fürchten sich und geben nichts, obwohl sie doch keine Schwerverbrecher sind und niemandem etwas getan haben. Vor lauter Feigheit gibt es kein Erbarmen, und auch unsere Leute machen [es] zum Teil der SS nach, die ohne Erbarmen jeden niederknallt, der erwischt wird.“

Doch einige wenige Anwohner waren nicht bereit, aus Feigheit wegzuschauen. Nach dem Besuch des KZs hatte ich die Möglichkeit einem Vortrag von Anna Hackl beizuwohnen. Die Heute über 90 Jahre alte Zeitzeugin war 1945 noch ein Kind. Ihre Familie brachte sich selbst in Lebensgefahr und versteckte zwei der entflohenen Häftlinge über drei Monate auf ihrem Bauernhof. Selbst als die SS den Bauernhof durchsuchte, verriet die Familie die jungen Männer nicht und rettete ihnen so das Leben. 

Anna Hackl besucht seit Jahrzehnten Schulen, um von den Ereignissen zu berichten. Sie schildert, wie das Blut der im Wald Erschossenen den Schnee färbte und wie es für ihre Mutter außer Frage stand, den jungen Männern zu helfen, als sie an der Tür klopften. Und sie schildert, wie die beiden Soldaten für sie wie Brüder wurden und eine Freundschaft entstand, die über Jahrzehnte anhielt. Diese bewegende Geschichte von Zivilcourage und Widerstand ist zweifellos ein Vorbild für alle antifaschistisch gesinnten Menschen.

Der Besuch eines KZs ist weder schön, noch inspirierend. Ich persönlich habe den Tag als anstrengend und belastend erlebt. Dennoch bin ich froh, einen Tag meines Urlaubs dem Gedenken gewidmet zu haben. Denn genau das ist ja der Grund, warum man das KZ Mauthausen und andere Lager nicht abgerissen hat: Trotz oder vielleicht auch wegen der geisterhaften Präsenz des Holocausts in der deutschen Gedächtniskultur kommt es im Alltag selten zu einer tatsächlichen Auseinandersetzung, die über das bloße Anerkennen der Existenz des Themas hinausgehen würde. Der Besuch der KZ-Gedenkstätte Mauthausen hat mir erneut vor Augen geführt, dass antifaschistisches Handeln und eine klare Positionierung gegen Rechts unabdingbar sind.