Hallo liebe Leser*innen,
kürzlich habe ich mit der Mitgründerin der Hilfsorganisation „Bremen hilft“ gesprochen, die seit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine Hilfsgüter sammelt und dorthin schickt, wo sie gebraucht werden. In diesem Interview spricht sie über ihre Erlebnisse seit dem 24. Februar und wie sie und Andere die Organisation auf die Beine gestellt haben.
Stell dich doch selbst einmal vor. Wer ist Darya?
Ich komme aus der Ukraine, aus Lviv, und habe mit 20 beschlossen, mein Leben zu ändern. Ich habe meinen Abschluss an der Nationalen Universität Kiew gemacht. Ich habe einen Master-Abschluss in Film- und Fernsehregie gemacht und beschlossen, dass ich mein Studium fortsetzen möchte. Da ich erst 20 Jahre alt war, als ich meinen Abschluss machte, wusste ich, dass ich noch Zeit für weitere europäische Studien hatte. Ich war bereit, mein Leben zu ändern und aus meiner Komfortzone herauszukommen. Im Sommer 2015 änderte sich mein Leben, denn ich zog nach Deutschland in die Stadt Weimar, wo ich begann, Deutsch zu lernen. Ich bin ohne jegliche Deutsch- oder Englischkenntnisse hierher gezogen. In den ersten Monaten beschränkten sich alle meine Gespräche darauf, mit dem Kopf zu nicken, zu lächeln und „Danke“ zu sagen.
Nach dem Sprachkurs bekam ich eine Stelle an der Hochschule für Künste in Bremen im Bereich Digitale Medien. Ich habe studiert und gleichzeitig gearbeitet. Ich habe meinen Abschluss gemacht und arbeite jetzt Vollzeit als Content Creator.
Hast du selbst noch Familie und Freunde in der Ukraine?
Ich habe meine Mutter direkt nach Deutschland gebracht, nur sechs Tage nach Kriegsbeginn war sie schon hier. Der Rest meiner Familie und Freunde sind jetzt in der Ukraine. Trotz meiner Überzeugung will niemand das Land verlassen.
Worum geht es in der Hilfsorganisation Bremen hilft? Hat sie viele Mitglieder, wer sind denn die Menschen die dort helfen?
Bremen hilft der Ukraine – eine Initiative junger Menschen, die humanitäre Hilfe sammeln, kaufen und in die Ukraine schicken. Unsere Hauptaufgabe ist es, den Menschen in der Ukraine zu helfen, die ihr Zuhause verloren haben, in Krankenhäusern liegen und Familien mit kleinen Kindern haben. Wir schicken sowohl Geld als auch humanitäre Hilfe, wie Medikamente, haltbare Lebensmittel, Babynahrung, Hygieneartikel, Windeln und so weiter. Wir erhalten viele Anfragen von Krankenhäusern und anderen Organisationen.
Wie habt ihr es geschafft, selbst eine Hilfsorganisation zu gründen, also Kontakte zu finden und Leute zu rekrutieren? Wer war alles daran beteiligt?
Alles begann am 4. Tag des Krieges. Wir trafen meine Bekannten aus der Ukraine, die hier in Deutschland leben, auf einer Demonstration und merkten, dass wir einfach nicht nichts tun konnten. Am Montag hatten wir bereits begonnen, im Creative Hub humanitäre Hilfe zu sammeln. Ich möchte mich ganz besonders bei den Jungs von Creative Hub bedanken, die uns sofort empfangen und uns einen Raum zur Verfügung gestellt haben, in dem wir kostenlos humanitäre Hilfe sammeln konnten.
Also begannen wir, unsere Aktion in den sozialen Netzwerken zu bewerben. Am Montag sammelten wir bereits humanitäre Hilfsgüter, die in die Ukraine geschickt wurden.
Wir waren nur wenige (etwa 6 Personen) und hatten natürlich weder die Zeit noch die Energie, jeden Tag nach der Arbeit die Hilfsgüter zu sortieren. Außerdem mussten wir uns um alle organisatorischen Fragen kümmern. Irgendwann wurde uns klar, dass wir Hilfe brauchten. Einer der Freiwilligen kam zu dem Treffen an der Universität Bremen und sagte, dass wir Hilfe brauchen. Wir haben jetzt 36 Freiwillige, die mit uns zusammenarbeiten. Bei uns gibt es Studenten und Festangestellte. Es gibt junge Menschen und ältere Menschen. Wir fanden Kontakt zur Deutsch-Polnischen Gesellschaft Bremen, mit der wir bis heute zusammenarbeiten. Durch diese Zusammenarbeit haben wir unsere Fähigkeit zu helfen erhöht.
Wie hast du als Ukrainerin den Aufbau zum Krieg empfunden, gerade mit dem Hintergrund, dass es ja seit Jahren solche Truppenaufmärsche gab, die von westlichen Politikern unterschätzt wurden?
Die Ukraine ist ein friedliches Land. Die Ukraine hat nie jemanden angegriffen. In der Ukraine findet ein Krieg statt. Daraus können wir unsere ersten Überlegungen anstellen. Wir haben seit der Annexion der Krim um Hilfe gebeten. Donbass und Luhansk sind Gebiete, die seit acht Jahren von Russland besetzt sind, und ich glaube, dass es im 21. Jahrhundert nicht normal ist, die Augen zu verschließen. Der Krieg, der vor 8 Jahren begann, wurde in den westlichen Medien oft als „interner Konflikt“ dargestellt.
Am 24.02. ertönten die Sirenen und die Luftangriffe begannen in der ganzen Ukraine. Diese Situation wird von manchen immer noch als „Ukraine-Konflikt“ bezeichnet.
Wenn ich mir politische Interviews westlicher Politiker von Ende Februar 2022 ansehe, fallen mir die Sätze auf: „Wir haben nicht gedacht, dass das passieren würde“, „Wir haben nicht erwartet, dass Putin das tut“, „Wir wollen den Frieden in Europa erhalten“. Das Problem ist, dass es in Europa seit 2014 keinen Frieden mehr gibt. Und ich denke, dass die Untätigkeit sowohl der ukrainischen als auch der europäischen Politiker zu dieser Situation geführt hat. Als sich die Truppen an den Grenzen sammelten und unser Präsident um Hilfe rief, reagierte niemand. Einerseits ist das verständlich, denn für einen normalen Menschen ist die Vorstellung von Krieg surreal. Doch leider haben die westlichen Politiker das Ausmaß des Problems und seine Folgen unterschätzt, das nun neben den Todesfällen auf dem Territorium der Ukraine zu einer Hungersnot in den Ländern führen könnte, in die die Ukraine früher Getreide geliefert hat. Es schmerzt mich sehr, dass die Untätigkeit leider zu Tausenden von Toten und zerstörten Leben geführt hat. Einige Politiker hofften auch, dass Kiew, die Hauptstadt der Ukraine, in drei Tagen von russischen Truppen eingenommen werden würde. Und sie könnten weiterhin mit Putin und dem blutigen russischen Regime zusammenarbeiten.
Aber wenn man sich die Solidarität ansieht, mit der die europäischen Länder Flüchtlinge aufnehmen, versteht man, dass wir gemeinsam stark sind und dass es keine Grenzen gibt. Wir sind in Europa, wir sind Nachbarn, wir haben dieselben Werte.
Wie hast du den Ausbruch des Krieges wahrgenommen, und seinen Verlauf bisher? Wie sieht dein Umfeld das? Gibt es viele stark unterschiedliche Meinungen oder ist man sich generell eher einig? Wenn ja, wie sieht dieser Konsens aus?
Als der Krieg begann, rief mich meine Freundin aus der Ukraine, die jetzt in Madrid lebt, um 6 Uhr morgens an, und das erste, was sie unter Tränen sagte, war:
„Darya, ein vollständiger Krieg ist ausgebrochen.“
Ich konnte es nicht glauben und hielt es für einen schlechten Scherz. Von diesem Moment an war mein Leben in ein Vorher und ein Nachher unterteilt. Ich kann mich nur vage an den 24.02. erinnern – ich weiß nur, dass ich den ganzen Tag geweint habe und die ganze Nacht aufgeblieben bin, ohne das Telefon aus der Hand zu legen. Tag für Tag begann ich, mit Hilfe unserer Hilfsmaßnahmen, meine ganze Energie darauf zu konzentrieren, produktiv zu sein. Ich hätte nie gedacht, dass ich diese Art von Gefühlen empfinden würde. Ich hatte Angst. Ich hatte Hass. Ein ständiges Gefühl der Ungerechtigkeit.
Beziehungen, Arbeit und die Art, wie ich meine Tage verbringe, alles hat sich verändert. Auch meine Umgebung, die nicht nur aus Ukrainern besteht, hat eine andere Einstellung zu diesem Leben entwickelt. Es gibt Dinge, die jetzt mehr geschätzt werden, und der Glaube an den Sieg. Dieser Glaube ist immens. Alle in meinem Umfeld unterstützen die Ukraine und das ukrainische Volk. Alle glauben an den Sieg und eine gute Zukunft. Es hilft uns, aus dem Bett aufzustehen und daran zu denken, dass wir jeden Tag mit all unseren Bemühungen dem Frieden näher kommen.
Hast du noch einen Appell an die Menschen in Deutschland, oder vielleicht speziell hier in Bremen?
Zuallererst möchte ich Ihnen für Ihre Unterstützung und Solidarität danken!
Es zeigt, dass wir gemeinsam stark sind.
Ich bitte euch, nicht zu vergessen, dass in der Ukraine ein Krieg herrscht und jeden Tag Menschen sterben. Gehen Sie bitte zu Kundgebungen zur Unterstützung der Ukraine.
Posten Sie bitte Nachrichten aus der Ukraine in sozialen Netzwerken und spenden Sie Geld oder humanitäre Hilfe zur Unterstützung der Ukraine.
Ruhm der Ukraine! Ruhm sei den Helden!
Hier geht es zur Instagram Seite der Organisation: https://www.instagram.com/bremen_hilft_ua/
Und hier zur Deutsch-Polnischen Gesellschaft: https://chronik.dpg-bremen.de/