Das „lange 19. Jahrhundert“ hatte mit seinen Nationalstaatsbildungen im südlichen Alpenraum eine neue politisch-kulturelle Konfliktdimension zwischen dem Königreich Italien und dem habsburgischen Österreich-Ungarn entstehen lassen. Mit dem 21. Jahrhundert ist diese Spannung jedoch keineswegs verschwunden – im Gegenteil: Anstelle gegenseitiger Anerkennung mit einem Plebiszit für ein geeintes Europa sind seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges unterschiedlichste Partikulargedächtnisse auf norditalienischem Boden entstanden. Eine Erkundung der im Trentino bis heute noch aufzufindenden Frontverläufe des Ersten Weltkrieges bietet einen Einblick in diese spannungsreichen Erinnerungskulturen.

Heute wird das Werk Gschwent von den umliegenden Kommunen, der Provinz Trento und der Region Trentino-Alto-Adige finanziert. Ermöglicht wurde so die Einrichtung einer sich über die drei Geschosse der Kasematte verteilenden Ausstellung. Geschichte des Werk Gschwent, Kriegsverlauf und -alltag sowie die Folgen des Ersten Weltkrieges – überwiegend werden die verschiedenen Aspekte der Ausstellung in italienischer und englischer, aber ebenso deutscher Sprache aufgeschlossen. Zu verstehen ist diese Konzeption als eine Anerkennung der deutschsprachigen Bevölkerungsteile Norditaliens, womit die frühere Exklusion der deutsch-österreichischen bzw. südtirolerischen Kultur bewusst überwunden werden soll. Die heutige Ausstellung nimmt sich zugleich der Devise eines Appells an die Einhaltung eines europäischen Friedens an, wie sie aus den Privatinitiativen der 1960er Jahre hervorgegangen ist.

Eine gelungene Entgrenzung des Krieges? Im Museum des Werk Gschwent werden die Ausrüstungen, persönlichen Dokumente und Devotionalien von Soldaten unterschiedlichster Nation immer wieder zusammengebracht.

So wird an unterschiedlichsten Stellen eine kritische Ästhetisierung des Krieges und seiner Auswirkungen nutzbar gemacht. Emotional ergreifend ist hierbei eine über drei Meter hohe Vitrine korrodierten Eisens im zweiten Geschoss. Nachdem ich einen der ersten Ausstellungsräume dieses Stockwerks betreten habe, stehe ich vor ihr: neun gläserne Quader erheben sich über einer Ansammlung an Stacheldraht, Spaten, Bajonetten und anderem, vom Rost überzogenen Kriegsgerät. Hinter dem Glas die Uniformen, Ausrüstungen und Auszeichnungen von Soldaten unterschiedlichster Herkunft. Einerseits wird durch diese Vermengung der Kriegsparteien dem Besucher die Möglichkeit einer Unterscheidung, einer Aufteilung in Gegner und Feind, erschwert. Andererseits manifestiert sich in den arrangierten Uniformen und Urkunden eine gewisse Anonymität. Beides mündet letztlich in einer Unterstreichung des Ausmaßes des Ersten Weltkrieges mit einer zuvor undenkbaren Zahl an Opfern.

Trotz dieser auffallend innovativen und symbolpolitischen Historisierung stoße ich immer wieder auf eine undistanzierte bis positive Darstellung der Kriegshandlungen; insbesondere in Form von Ergänzungen der Ausstellung, die offenbar neueren Datums sind. Befremdlich wirkt auf mich die Nachbildung eines Schützengrabens, der während der Besichtigung durchquert werden kann. Nachdem ich zwischen Sandsäcken und Stacheldraht mit heroischer musikalischer Untermalung entlang gegangen bin, gelange ich im Zentrum der Nachbildung zu einer Spielekonsole. Diese soll mittels eines rollenspielartigen Programms ein „interaktives Erleben“ des Kriegsalltages ermöglichen. Die Ausstellung gelangt hier deutlich an die Grenzen einer historisierenden Ästhetisierung.

Das Werk Gschwent ist gleichzeitig weiterhin Ausdruck des bis in die Gegenwart latenten Nationalitätenkonfliktes im südöstlichen Alpenraum. Trotz eines Wandels der italienischen Erinnerungskultur seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges – der Irredentismo verschwand in den 1950er Jahren nahezu aus der italienischen Innen- und Außenpolitik – ist das Werk Gschwent ein Erinnerungsort mit unterschiedlichster Vereinnahmung geblieben.

Im Museum des Werk Gschwent möchte man auf moderne Technologien und Gestaltungsmethoden zurückgreifen. Ob dies noch dem ursprünglich mahnenden Impetus der Museumsgründer entspricht, erscheint zumindest fragwürdig.

So bildet das Werk Gschwent durch die Stationierung der Tiroler Kaiserjäger einen bedeutenden Gedächtnisort für den südtirolerischen Regionalismus. Es verwundert mich daher nicht, dass ich noch auf dem Weg zum Eingang der Kasematte auf ein vom Schnee der Hochebene korrodiertes Eisenkreuz treffe, das die Gefallenen der Tiroler Kaiserjäger ehrt. 2015 anlässlich des hundertsten Jahrestages des Ausbruchs der Kamphandlungen im Asticotal errichtet, handelt es sich um ein relativ junges Denkmal. Deutlich wird hier die anhaltende, sogar eher zunehmende Präsenz der Autonomiebestrebungen deutschsprachiger Bevölkerungsteile in Norditalien. Eine weitere gelb-schwarz gestreifte Flagge der Tiroler Kaiserjäger, die inoffiziell an einem Laternenmast entlang des Pfades angebracht wurde, bestätigt diesen Eindruck umso mehr.

Regionalistische Erinnerungskultur an einem im Grunde transnationalen Gedächtnisort: „Im Gedenken an unsere Tiroler Standschützen“ lässt sich auf der korridierten Plakette des Monuments lesen. Die Vereinigung der Tiroler Schützen ließ im Jahr 2015 insgesamt 75 solcher Kreuze in Bozen von der katholischen Gemeinde weihen und stellte sie anschließend an unterschiedlichen Kriegsschauplätzen der österreichisch-italienischen Front auf.

Der Flaggen-Trias Italien, Österreich, Europäische Union auf dem Aussichtspunkt der Gebirgsfestung wirkt in Anbetracht dessen mehr ironisch als visionär. So liegt mit dem Werk Gschwent im Grunde ein europäischer Erinnerungsort par excellence vor, der es ermöglichen könnte, die Absurdität nationaler Konflikte inmitten heterogener, fluider Gemeinschaften begreifbar zu machen. Doch letztendlich wird dieser Problematisierung ausgewichen, die Chance auf eine Beendigung des inneritalienischen, ja transnationalen und damit europäischen Konfliktes wird nicht ergriffen.