Das „lange 19. Jahrhundert“ hatte mit seinen Nationalstaatsbildungen im südlichen Alpenraum eine neue politisch-kulturelle Konfliktdimension zwischen dem Königreich Italien und dem habsburgischen Österreich-Ungarn entstehen lassen. Mit dem 21. Jahrhundert ist diese Spannung jedoch keineswegs verschwunden – im Gegenteil: Anstelle gegenseitiger Anerkennung mit einem Plebiszit für ein geeintes Europa sind seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges unterschiedlichste Partikulargedächtnisse auf norditalienischem Boden entstanden. Eine Erkundung der im Trentino bis heute noch aufzufindenden Frontverläufe des Ersten Weltkrieges bietet einen Einblick in diese spannungsreichen Erinnerungskulturen.

Nach einem Jahr, im Juni des Jahres 1916, wurden nach vergeblichen Offensiven und Gegenoffensiven beider Seiten die Kampfhandlungen eingestellt – ohne eine Veränderung der Territorialgrenzen Italiens und Österreichs erwirkt zu haben. In Folge der hohen erlittenen Verluste war die italienische Armee nicht mehr in der Lage, die mit einer hohen Zahl an Toten verbundenen Direktangriffe fortzusetzen. Doch ebenso die kaiserlichen Truppenverbände Österreichs erlebten immense Schwächungen. Die Sinnlosigkeit des Gebirgskrieges manifestierte sich für die Überlebenden schließlich in den zu beklagenden Toten: Auf italienischer Seite werden 6.000 Tote, 30.000 Verletzte und 40.000 Vermisste geschätzt; auf österreichischer Seite 5.000 Tote, 22.000 Verletzte und 2.000 Vermisste.

Folgaria, Mai 1917: Der österreichische Kaiser Karl I. (2.v.r.) besucht die bislang umkämpften Frontabschnitte an der Grenze zum italienischen Königreich. Zu diesem Zeitpunkt galt die südliche Grenze des Kaiserreichs wieder als gesichert, ein „Gleichgewicht des Schreckens“ angesichts der fortifikatorischen Betonriesen als wiederhergestellt.

Insbesondere aber änderte der politische Konflikt des Weltkrieges die bisherigen Lebensgewohnheiten der Zivilbevölkerung des Trentino in dramatischer Weise. Zwar war trotz der italienischen Nationalstaatsbildung ein relativ friedliches, direktes Zusammenleben deutsch-österreichischer und italienischer Einwohner bis in das frühe 20. Jahrhundert möglich gewesen. Die zwischenstaatlichen Rivalitäten des Ersten Weltkrieges riefen jedoch eine Spaltung der multikulturellen Gemeinschaften des Trentino hervor. Zu Beginn des Krieges mobilisierte Österreich-Ungarn im Trentino 55.000 Männer, die mehrheitlich im Verband der „Tiroler Kaiserjäger“ eingesetzt wurden. Gleichzeitig entzogen sich ungefähr 700 Männer der österreichischen Mobilisierung, um unter der italienischen Trikolore in den Kampf zu ziehen. Offen ausgetragener Streit und Meidung innerhalb von Familien und sogar ganzer Dorf- und Stadtgemeinschaften waren die Folge, teilweise weiter in die kommenden Friedensjahre hinein.

Das Werk Gschwent im Juli 1915: Deutlich zeichnen sich vor der Kasematte die in die Berglandschaft gerissenen Bombenkrater ab. Im weiteren Kriegsverlauf sollte auch die Befestigungsanlage teilweise schwer beschädigt werden.
Doch mit dem Beginn der Kriegshandlungen im Trentino 1915 waren nicht nur die kriegsfähigen Männer unmittelbar betroffen: Die im Gebiet der Kampfhandlungen lebenden Einwohner, insgesamt ungefähr 75.000, wurden zunächst in sichere Gebiete Österreich-Ungarns „evakuiert“. Österreichische Staatsbürger mit einer italienischen Nationalität wurden jedoch als „subversiv“ stigmatisiert – und unter dem Verdacht des „Vaterlandsverrats“ in separierten Lagern interniert!
Das „Werk Gschwent“ symbolisiert damit das verheerende Ausmaß eines tiefgreifenden Konfliktes, der aus der Vorstellung homogener Nationalstaaten gewachsen war. Heute zählt es zu den wenigen nahezu vollständig erhaltenen Fortifikationen des Ersten Weltkrieges im italienischen Alpenraum. Im Asticotal kontrastiert der Zustand der Kasematte eigenartig mit der von Geschützkratern und Einschusslöchern zernarbten Landschaft. Der Grund hierfür liegt in einer weit zurückreichenden Konservierungsgeschichte. Denn seit dem Ende des Ersten Weltkrieges wurde das Werk Gschwent von unterschiedlichsten Parteien als Erinnerungsort vereinnahmt. Bereits 1935 wurde die Gebirgsfestung vom italienischen König Vittorio Emanuele III. zum Mahnmal erklärt. Entsprechend der zu dieser Zeit dominierenden nationalistisch-faschistischen Erinnerungskultur wurde sie zum Symbol der Rückeroberung der terre irredente im südlichen Alpenraum erhoben.
Vorposten des Werk Gschwent: Restaurierungsarbeiten ließen von außen sichtbare Beschädigungen verschwinden. Dem heutigen Besucher wird so ein verzerrtes Bild des Kriegsalltags geboten.
Nach dem Zweiten Weltkrieg war das Werk Gschwent zunächst im Besitz der Region Trentino-Alto-Adige und wurde anschließend 1966 von Ortsansässigen erworben. Die im Zuge des Ersten Weltkrieges entstandenen Beschädigungen wurden von den Käufern behoben, das Gelände für zukünftige Besucher zugänglich gemacht – eine Mahnung an die Einhaltung des Friedens sollte fortan im Zentrum stehen. Dreißig Jahre später ging das Werk Gschwent 1996 erneut in öffentlichen Besitz über. Die Kommune Lafraun, im Italienischen Lavarone, kaufte die Befestigungsanlage mit dem erklärten Ziel, die Innenräume der Kasematte zu einem Museum über die Kriegshandlungen im Trentino-Alto-Adige und damit zugleich zu einem Mahnmal für die Sinnlosigkeit des Grande Guerra – des „Großen Krieges“ – umzufunktionieren.