In der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 wurden im gesamten nationalsozialistischen Deutschland antijüdische Pogrome begangen. Sie werden heute als Wendepunkt im Hinblick auf die Gewalt gegen Jüd:innen diskutiert und bilden einen wichtigen Gedächtnisort in der deutschen Erinnerungskultur. In Bremen wird an die Opfer dieses Pogroms unter anderem in Form eines Denkmals erinnert. Unweit der ehemaligen Synagoge im Schnoor, die während des Novemberpogroms gänzlich zerstört wurde, befindet es sich auf dem Platz vor dem Landherrenamt an der Dechanatstraße. Das historische Ereignis erhält dadurch einen Gedenkort, der besonders am 9. November öffentliche Aufmerksamkeit findet. Das Denkmal wird als repräsentativer Ort des Erinnerns auch von politischer Seite genutzt. Die Initiative zur Entstehung des Denkmals kam aber aus der Zivilgesellschaft.  

 

Die Novemberpogromnacht in Bremen

Den Novemberpogromen 1938 ging ein Attentat auf die ‚Botschaft des deutschen Reiches‘ in Paris voraus, welches vom 17-jährigen Herschel Grynszpan aus Verzweiflung begangen wurde. Ursprung seiner Verzweiflung war die Abschiebung seiner in Deutschland lebenden polnisch-jüdischen Eltern nach Polen. Der Diplomat Ernst vom Rath wurde durch dieses Attentat schwer verletzt und verstarb am 9. November. Dieses Ereignis wurde von den Nationalsozialisten als Vorwand zur Vergeltung genutzt. Auch Bremen wurde Schauplatz der Novemberpogrome. Hauptbefehlshaber für das Pogrom in Bremen war der Bürgermeister und SA-Gruppenführer der Sturmabteilung ‚Nordsee‘ Heinrich Böhmcker. Ab Mitternacht begann der Überfall auf jüdische Geschäfte in Bremen-Mitte, der sich schnell auf das gesamte Stadtgebiet ausweitete. Plünderungen, Zerstörung und Brandstiftung von jüdischen Institutionen, beispielsweise der ehemaligen Synagoge in der Gartenstraße (heute: Kolpingstraße), waren nur ein Teil des Pogroms. Hinzu kam die Misshandlung jüdischer Bürger:innen, z.B. der Überfall auf das jüdische Altersheim in Gröpelingen. Es wurden in dieser Nacht rund 178 Männer verhaftet, die daraufhin im ‚Zuchthaus Oslebshausen‘ und später im KZ Sachsenhausen festgehalten wurden und nur durch eine geplante Ausreise mit ihrer gesamten Familie freikamen. Während der Pogromnacht wurden in Bremen fünf Menschen ermordet: das Ehepaar Martha und Dr. Adolph Goldberg, Selma Zwienicki, Heinrich Rosenblum und Leopold Sinasohn. Deutschlandweit wurden 91 Menschen ermordet.  

 

Hintergründe und Akteur:innen der Errichtung des Denkmals

Die Entstehung der „Gedenkstätte Reichskristallnacht“ fällt in eine Zeit des erinnerungskulturellen Umbruchs. Ausschlaggebend dafür war die 68er-Bewegung, die eine intensive Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit der jungen Bundesrepublik forderte. Besonders ab 1980 nahm die zivilgesellschaftliche Auseinandersetzung mit der Geschichte zu. Die Initiative für die „Gedenkstätte Reichskristallnacht“, ergriff 1978 der Bremer Kaufmann Dirk Heinrichs. Nach der Zustimmung des regierenden Bürgermeisters Koschnick und der Bremischen Bürgerschaft sowie der Zusicherung des Platzes vor dem Landherrenamt gründete sich 1980 der „Gedenkstätte Reichskristallnacht e.V.“. Der Verein schrieb einen Wettbewerb aus, zu dem acht Künstler eingeladen wurden. Das Mahnmal sollte „schlicht“, „zeitlos“, nicht aufdringlich, aber sichtbar sein. Das ‚Gedenkmal‘ an die fünf Opfer des Novemberpogroms sollte auch für die weiteren Millionen jüdischer Opfer im Holocaust stehen und für die Zukunft mahnen. Die Entwürfe der Künstler wurden im Jahr 1980 in der Bremischen Bürgerschaft einen Monat lang ausgestellt. Das abschließende Urteil traf eine Jury. Sie wählte das Modell von Hans Dieter Voss. Finanziert wurde es aus Spenden von Bremer Bürger:innen. Zu diesem Zweck gab es zwischen 1981 und 1982 insgesamt vier Spendenaufrufe an die Bevölkerung Bremens. Insgesamt kamen dabei 33.859,30 DM zusammen, die jedoch nicht die vorgesehenen Kosten deckten. Die ausstehende Summe von 15.000 DM übernahm daraufhin die Stiftung „Wohnliche Stadt“. Die Instandhaltung der Gedenkstätte sicherte der Senat zu. Eine bewusste öffentliche Einweihung des Denkmals fand nicht statt und auch der Verein löste sich nach der Errichtung des Denkmals auf.

Die Gestaltung des Denkmals

Voss‘ Entwurf sah ein matt-schwarzes, blockartiges Monument aus Beton vor, das in der Mitte eine Gedenktafel tragen sollte. Auch eine Neupflasterung, Bepflanzung mit Bäumen und eine Bank dem Denkmal gegenüber waren vorgesehen. Der Plan konnte nicht mehr durch den Künstler Hans Dieter Voss selbst realisiert werden, da dieser kurz nach dem Wettbewerb verstarb. Folglich gehen die Interpretationen des Entwurfes auseinander. So definierte die Jury das Monument als „Klagemauer“, „Erschießungswand“ und „Tor des Hades“, von der Öffentlichkeit wurde der Entwurf auch als Kreuz wahrgenommen. Diesbezüglich sind der erwünschte Ausdruck und die Interpretation der Gestaltung nicht klar zu definieren. Aus dem Entwurf wurde nur das Denkmal (ohne Bank, neues Pflaster und Bepflanzung) realisiert. Das Denkmal ist in seiner Gestaltung zurückhaltend. Es ist aber nicht ganz selbsterklärend. So steht der Ort des Denkmals in keiner direkten Verbindung zum historischen Ereignis. Lediglich die Nähe zur ehemaligen Synagoge ist hier zu nennen. Auch die Inschrift des Monuments könnte ohne ausreichend historischen Hintergrund miss- bzw. nicht verstanden werden. So heißt es „Unsere jüdischen Mitbürger Martha Goldberg […] wurden in dieser Stadt in der Nacht vom 9. zum 10.11.1938 ermordet.“ Es fehlt eine klare Benennung der Tat und des Ereignisses. Es wird erwartet, dass das Datum allen Betrachter:innen geläufig ist. Die eher unbelebte Lage (auf einem ehemaligen Parkplatz) trägt nicht zur Inklusion des Denkmals in die Wahrnehmung im alltäglichen Leben bei.

Bedeutung des Denkmals für die Erinnerungskultur Bremens

Welche Bedeutung hat das Denkmal im erinnerungskulturellen Kontext, auch wenn es durch seine Gestaltung möglicherweise nicht die erwünschte Aufmerksamkeit seiner Initiator:innen findet? Mitglieder der jüdischen Gemeinde, Politiker:innen der Bremischen Bürgerschaft und Interessierte versammeln sich jedes Jahr am Gedenktag der Novemberpogrome im Rahmen einer Gedenkveranstaltung beim Mahnmal. Der gestalterisch prägnante Anspruch der ‚Zeitlosigkeit‘, den das Denkmal erfüllen soll, ist im theoretischen Kontext gesehen jedoch kritisch zu betrachten. So argumentiert Aleida Assmann:

Die Denkmäler folgen den historischen Taten nicht bloß nach, sie gehen ihnen auch voraus; sie bilden jeweils eine Klammer, die isolierte Erinnerungen mit ganz bestimmten Erwartungen verknüpft. Sie sind zur Hälfte Erinnerung an etwas Vergangenes und zur anderen Hälfte Anspruch auf etwas Kommendes. Das Denkmal schaut janusköpfig in die Vergangenheit und Zukunft. (Assmann 1993: 57)

Eine immerwährende Zeitlosigkeit eines Denkmals kann somit nicht erfüllt werden. Auch im Fall des Bremer Denkmals wird durch die Gestaltung die zur Zeit der Errichtung existierende geschichtliche Auffassung deutlich. Zu sehen sind die durch die Denkmalsinitiative der 1980er geprägten erinnerungskulturellen Schwerpunkte wie „Dezentralisierung, Authentizität, Selbstreflexion und Diversität“ (Wüstenberg 2020: 227) Der Verein „Gedenkstätte Reichskristallnacht e.V.“ beachtete folglich in seinem Gestaltungsanspruch nicht, dass die „Wirkung von Denkmälern […] nicht nur zeitlicher Begrenzung (unterliegt), sondern […] auch abhängig von der jeweiligen Gesellschaft (ist) und deren zielgerichteten Konstruktion des Gedenkens.“ (Korn 1999: 236)  

 

Fazit

Die „Gedenkstätte Reichskristallnacht“ erinnert an die fünf Opfer des Novemberpogroms in Bremen und entstand 1982 durch eine Initiative aus der Zivilgesellschaft. Politisch wurde diese Idee zwar unterstützt, jedoch nicht durch finanzielle Mittel mitgetragen. Die Gestaltung des Denkmals wurde nicht durch den Künstler Voss selbst erklärt und in Folge dessen unterschiedlich interpretiert. Die sehr neutrale Gestaltung birgt die Gefahr, dass das Denkmal nicht verstanden wird, was unter anderem die Inschrift der Gedenktafel zeigt. Der Anspruch der ‚Zeitlosigkeit‘, welcher die Gedenkinitiative aufstellt, wird durch zeitgenössische Künstler kritisiert. Zudem lässt er sich theoretisch analysieren. So kann ein Denkmal nie vollkommen zeitlos gestaltet werden, sondern ist immer Spiegel seiner Zeit. Das Denkmal repräsentiert eine Wende in der Gedächtniskultur und wird damit auch in Bezug auf den Ausdruck, welches es über seine Entstehungszeit vermittelt, zum historisch wertvollen Objekt. Ebenfalls übernimmt es die wichtige Aufgabe des kollektiven Gedenkortes, dies aber nur marginal und begrenzt auf den Zeitraum um den Gedenktag. Die Bedeutung des Denkmals ist und wird an die geschichtliche Auffassung der Gesellschaft gekoppelt, da gegenwärtige und zukünftige Betrachter:innen in einen Dialog treten müssen, um das Gedenken in ihr alltägliches Leben zu integrieren.  

 

Literatur

  • Assmann, Aleida (1993): Arbeit am nationalen Gedächtnis. Eine kurze Geschichte der deutschen Bildungsidee, Bd.14, Frankfurt: Campus.
  • Beneke, Maren (2020): Gedenken zur Reichspogromnacht. Appell an jeden, nicht wegzusehen. In: Weser-Kurier am 10.11.2020. Text abrufbar unter https://www.weser-kurier.de/bremen/bre-men-stadt_artikel,-appell-an-jeden-nicht-wegzusehen-_arid,1943450.html (letzter Zugriff am 29.03.2020)
  • Korn, Salomon (1999): Geteilte Erinnerung – Holocaust-Gedenken in Deutschland In: Bors-dorf, Ulrich; Heinrich Theodor Grütter, Orte der Erinnerung. Denkmal, Gedenkstätte, Museum. Frankfurt am Main [u.a.]: Campus-Verlag, 231-244.
  • Brinkhus, Jörn (2013): Die Novemberpogrome 1938 im Land Bremen. Bremen: Staatsarchiv Bremen.
  • Drechsel, Wiltrud Ulrike; Jürn Jakob Lohse (2011): Holocaust-Denkmäler in Bremen 1945-2001. In: Drechsel, Wiltrud Ulrike (Hrsg.), Geschichte im öffentlichen Raum. Denkmäler in Bremen zwischen 1435 und 2001. Bremen: Donat, 102–132.
  • Koch, Angela; Eva Hohenberger (Hrsg.) (2019): Grau in Grau. Ästhetisch-Politische Praktiken der Erinnerungskultur. Berlin: Metropol.
  • Lohse, Jürn (2007): Die Holocaust-Denkmäler in Bremen. Hamburg: Diplomica Verlag.
  • Thießen, Malte (2009): Das kollektive als lokales Gedächtnis. Plädoyer für eine Lokalisierung von Geschichtspolitik. In: Schmid, Harald (Hrsg.), Geschichtspolitik und kollektives Gedächtnis. Erinnerungskulturen in Theorie und Praxis, Bd. 41, Göttingen: V&R Unipress, 159-180.
  • Vinken, Gerhard (2018): Vom Denkmal zum Erbe, ein Plädoyer. Heidelberg. In: Bogner, Simone/ Birgit Franz/ Hans-Rudolf Meier/ Marion Steiner (Hrsg.): Denkmal – Erbe – Heritage, Bd. 27, Heidelberg: arthistoricum.net, 238-242.