Unserer Gastautor*in Catarina Arndt besuchte 2017 eine Sommerschule in Minsk. In ihrem Bericht beschreibt sie ihre Eindrücke von Belarus und reflektiert über Unterschiede zwischen dem deutschen und dem belarussischem Gedenken an den zweiten Weltkrieg und Holocaust. 

Was ich für Erwartungen an Belarus hatte, wie ich es mir dort vorstellte, wusste ich nicht genau.
Man hört so wenig von diesem Land. Es scheint immer sehr weit weg und doch liegt es
geographisch, von West nach Ost gesehen, gleich hinter Polen. Auch diese Unwissenheit war ein
Grund, mich auf den Weg dort hin zu machen. Ergebnis zwei Wochen voller neuer, wertvoller
Bekanntschaften, Erfahrungen und Eindrücke – eine Zeit, die noch lange in mir nachwirkt.
Zuerst haben sich alle deutschen Teilnehmer kennengelernt, die zusammen in einem Wohnheim
gewohnt haben. Am nächsten Tag kam es zum Kennenlernen aller Teilnehmenden, der aus Belarus
und der aus Deutschland. Es war zu beobachten, dass es zuerst mehr zwei einzelne Gruppen waren.
Dies hat sich jedoch schnell geändert und wir sind eine richtig gute Gemeinschaft geworden. Es war
zu spüren, dass gegenseitiges Interesse bestand. Sprachlich gab es keine nennenswerten
Schwierigkeiten – und uns wurde das Gefühl gegeben willkommen zu sein.
Die beiden Leiterinnen haben sich sehr viel Mühe gegeben und es gab kein Gefühl von Hierarchie.
Sie waren Teil der Gruppe und doch Ansprechpartnerinnen. Es war ein lockerer und respektvoller
Umgang und die Organisation war sehr gut.Wir haben viele Aspekte von Belarus gesehen. Es war ein vielseitiges Programm: Konferenzen mit Vertretern der Universitäten und des Staates, der Kirche und aus anderen gesellschaftlichen Bereichen, Besuch von Denkmälern, des Museums des Großen Vaterländischen Krieges und eine Führung durch das ehemalige Minsker Ghetto, sowie Trostenez und Blagowschina, Vorlesungen an der Uni, Russisch-Unterricht, Besuch von Unternehmen usw.


Platz der Unabhängigkeit, Minsk

Außer Minsk besuchten wir auch die Städte Brest im Westen und Mogiljov im Osten Belarus‘. Dies hat
einen guten Eindruck von Städten in Belarus und zwischen West und Ost gegeben. Im Osten hatte
ich das Gefühl mehr in Russland zu sein und im Westen hat es sich etwas „westlicher“ angefühlt.
U.a. schien Brest etwas moderner und im besseren Zustand als Mogiljov. Wir waren jeweils nur
sehr kurz in den beiden Städten, deswegen ist ein größerer Vergleich als der erste Eindruck schwer
möglich.
Die Stadt Minsk ist eine sehr saubere Stadt, alles hat seine Ordnung. Es vermittelt den Eindruck,
dass alles gut läuft, alles seine beste Ordnung hat. Doch vor welchen Problemen steht das Land, was
läuft nicht gut? Was wünschen sich die Menschen? In diesen Fragen kommt man am meisten weiter,
durch persönliche Gespräche und gerade diese Gespräche fand ich sehr wertvoll. Es wurden
Erfahrungen und Wissen ausgetauscht, was man nicht durch z.B. einen Museumsbesuch oder ein
offizielles Gespräch hätte lernen können.
Nicht nur der Austausch mit den belarussischen Teilnehmenden war eine Bereicherung, auch mit
den deutschen. Es war ein Interesse für Osteuropa vorhanden und bei vielen auch einiges an Wissen
und Erfahrungen darüber. Somit wurde das Thema Belarus im Einzelnen noch auf weitere Länder
erweitert. Worüber wir viel erfahren und gelernt haben, ist die Art der Erinnerungskultur in Belarus. Es wird sehr
viel verdrängt und wenig aufgearbeitet. Im Mittelpunkt stehen die „Helden“, also diejenigen, die im Krieg gekämpft haben für die Sowjetunion. Dabei werden sie als Kollektiv sowjetischer Menschen gesehen. Die Opfer spielen eine sehr untergeordnete Rolle. Die Soldaten zum Beispielwerden als Helden, als Verteidiger des Vaterlandes
Sowjetunion gesehen und die Perspektive, sie als Opfer zu sehen und dass es im Krieg keine Gewinner gibt, ist außer Acht gelassen. Aus der „westlichen“ Sicht ist dies oft unverständlich. Über die verschiedenen
Sichtweisen muss mehr gesprochen werden, auch um zu verstehen, was hinter den Ansichten steht, was für eine Art der Erinnerung sich die Menschen in Belarus wünschen und wie der Staat dort mit rein spielt. Dies ist wichtig fürs gegenseitige Verständnis.
Verständnis.

Denkmal Gut Trostenez

Der jüdischen Bevölkerung als soziale Gruppe wird kaum erinnert. Wir haben Gedenksteine zum
Gedenken an Juden aus verschieden Städten in Deutschland und Österreich gesehen, nicht von
Belarus finanziert. Lukaschenka ließ vor einigen Jahren vier Denkmäler in und um Minsk erbauen
zum Gedenken an den Nationalsozialismus. An denen, die wir gesehen haben, ist zu erkennen, dass
die Erinnerung nach dem Muster der Opfer als Kollektiv weiterhin vorhanden ist.
Langsam geht es jedoch voran mit der Aufarbeitung. 2002 wurde das Projekt der belarussischdeutschen
Geschichtswerkstatt ins Leben gerufen, die sich mit der Aufarbeitung und dem Publik
machen des Themas Nationalsozialismus und Judenverfolgung beschäftigt. Einen Namen wie zum
Beispiel „Projektwerkstatt zur Aufarbeitung der Judenverfolgung im Nationalsozialismus“ werden
sie sich jedoch nicht nennen können. Dazu ist das Thema in diesem Sinne noch zu wenig präsent
und geduldet, jedoch weiter in der Aufarbeitung als die des Stalinismus. Diese ist zu diesem
Zeitpunkt in Form öffentlicher Aufarbeitung (noch) nicht möglich.
Im Vernichtungsort Maliy Trostenez bei Minsk wurden nach heutigem Forschungsstand etwa 200.000 Juden ermordet. Heute stehen an der Stelle des Guts, worauf das Arbeitslager errichtet wurde, Denkmäler. Es
erinnert etwas an eine Parkanlage. Im nahegelegenen Wald, Blagowschina fanden die Erschießungen statt und wurden die Opfer be- bzw. vergraben. Dort entsteht nun eine Gedenkstätte mit Hilfe von Finanzierung von außerhalb.

Blagowschina

Zurzeit ist zu beobachten, dass es unterschiedliche Meinungen im Bezug auf die Unabhängigkeit
Belarus‘ und die Beziehung zu Russland gibt. Zum Beispiel ist die Meinung vorhanden, dass die
Ukraine, Belarus und Russland „eins“ sind, denn jeder hat irgendwo Vorfahren oder Familie.
Andererseits gibt es Bestrebungen zur Unabhängigkeit und nationalen Identität z.B. durch die
belarussische Sprache. Wir haben eine Buchhandlung mit Café besucht, in der es nur Bücher auf
belarussisch und Bilder von belarussischen Künstlern gab. Die Speisekarte war ebenfalls auf
belarussisch. Das Aufleben lassen der belarussischen Sprache ist jedoch nicht so einfach, denn viele
haben keinen muttersprachlichen Bezug zu belarussisch und es nur in der Schule gelernt.
Von der staatlichen Seite hat auch die wirtschaftliche Abhängigkeit Belarus‘ von Russland ein
großes Gewicht.

In den Studienalltag konnten wir einen kleinen Einblick erhalten – aus Erzählungen und durch die
Vorlesungen, die wir hatten. Das Universitätssystem ist verschulter als in Deutschland. Anwesenheit
ist Pflicht und es gibt mehr Anwesenheitsstunden an der Uni selbst.
Was den Austausch verringert hat, war die getrennte Wohnsituation. Die Teilnehmenden aus
Deutschland waren in einem Wohnheim zusammen untergebracht. Die Teilnehmenden aus Belarus,
die auch aus anderen Städten als Minsk kamen, in einem anderen Wohnheim, bis auf diejenigen, die
zu Hause gewohnt haben. Für den Austausch und ein besseres Zusammenfinden, wäre eine
gemeinsame Unterbringung schön gewesen. Es war in unseren Zimmern auch noch ein Bett frei, da
wir jeweils zu zweit in einem Dreibettzimmer übernachtet haben.

Zum Schluss kann ich noch sagen, dass es wichtig ist, offen zu sein, die Einrücke, Erfahrungen, Meinungen auf sich wirken zu lassen, darüber nachzudenken und viel mit den anderen Teilnehmenden zu sprechen, sich auszutauschen. Natürlich war die Zeit begrenzt und damit auch die Möglichkeit der Anzahl an
Eindrücken und doch habe ich viel aus diesen zwei Wochen mitgenommen. Ich habe viel gelernt
über die Menschen in Belarus und das Land selbst, über das viele kaum etwas wissen – so, wie es
vor meinen Besuch auch der Fall war. Ich bin sehr froh, diese Erfahrung gemacht haben zu dürfen
und finde es immer schön etwas über meine Eindrücke in Belarus berichten zu können. Auch hat
der Besuch mein Interesse an Belarus verstärkt und ich komme gerne wieder!