von Tanja Dieckmann
Wer denkt, Bremen hat mit der Wissenschaft der Mathematik nicht mehr zu tun als dass in der alten Handelsstadt Kaffee-Säcke gezählt werden, der täuscht sich gewaltig – das zeigt Matthias Knauer, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Zentrums für Technomathematik der Uni Bremen, bei seiner mathematischen Stadtführung durch Bremen.
Tatsächlich versteckt sich in Bremen an allen Ecken und Enden Mathematik und ihre Geschichte – das wird klar, wenn man sich mit Matthias Knauer durch die Stadt bewegt. An vielen Stationen schärft der Mathematiker unseren Blick dafür und weiß jede Menge unterhaltsame Anekdoten aus der Welt der Mathematik zu erzählen – und das verständlich sowohl für Freund*innen der Mathematik als auch für Mathe-hab-ich-abgewählt-sobald-es-ging-Menschen.
Wir treffen uns am Sonntag Nachmittag am Roland auf dem Marktplatz. Hier erzählt uns Matthias, dass die Deutsche Mathematiker Vereinigung 1890 in Bremen gegründet wurde. Die Gästeliste des damaligen Gründungskongresses liest sich wie das Who’s Who der Spitzenmathematiker: Georg Cantor, Felix Klein, David Hilbert, Hermann Minkowski und viele mehr waren dabei. Das alles sind gute Bekannte von Mathematik-Studierenden, die man dank der von unserem Stadtführer erzählten Trivia mal von einer anderen Seite kennen lernt. Während man als Mathe-Studierender sonst mit der Minkowski-Ungleichung kämpft, erfährt man hier von Minskowskis krasser Liebe zur Mathematik: Der Mathematiker hatte einen Blinddarmdurchbruch – zu damaliger Zeit ein sicheres Todesurteil – und nutze seine letzte verbleibende Nacht, um noch schnell alle Gedanken zu seinen aktuellen mathematischen Problemen aufzuschreiben.
Wir schlendern weiter zum Markusbrunnen. Wer hier noch nie darüber nachgedacht hat, dass der Brunnen zehneckig ist, ist damit sicher nicht allein. Für unseren Stadtführer ist das aber Anlass, uns die Verzwicktheit der Konstruktion eines Zehnecks zu zeigen – und zwar ganz bodennah mit Lineal, Bindfaden und Kreide. Dazu ermittelt er an einem Kreis mit einem Radius von einen Meter in wenigen Schritten mit Hilfe des Satzes des Pythagoras – da konnten dann alle mitrechnen – die Länge des längeren Streckenabschnitts, der entsteht, wenn man den 1-Meter-langen Radius im Verhältnis des Goldenen Schnitts zerlegt. Trägt man auf den Kreis Punkte mit dieser Länge als Abstand ein, dann erhält man genau zehn Punkte. Die Punkte müssen nur noch verbunden werden und schon haben wir unser Zehneck! Das Ergebnis von Matthias‘ Bemühungen seht ihr oben im Titelbild. Besser versteht man das aber sicher, wenn man sich das live bei der mathematischen Stadtführung anschaut.
So geht es weiter an vielen Stationen durch die Stadt. Zum Beispiel erfahren wir am Olbers-Denkmal in den Wallanlagen, dass der Bremer Astronom Heinrich Wilhelm Olbers 1801 den Planeten Ceres „wiedergefunden“ hat, nachdem ein italienischer Astronom, Giuseppe Piazzi, den Planeten schon entdeckt, aber wieder aus den Augen verloren hatte. Das war ihm dank der Methode der kleinsten Quadrate von Carl Friedrich Gauß möglich. Diese Methode half dabei, die elliptischen Umlaufbahnen von Planeten zu berechnen – mit Ellipsen konnten die Mathematiker und Astronomen damals ohne diese Methode nicht rechnen. Dazu werden zu einer Menge von Punkten (hier sind das die Punkte, an denen Piazzi den Planten schon mal gesehen hatte) diejenige Linie gefunden, die am nächsten an diesen Punkten ist (das ist in diesem Fall die elliptische Umlaufbahn des Planeten).
Insgesamt kann man unter die Führung ein dickes „q.e.d“ schreiben: quod erat demonstrandum, denn der Beweiszweck Matthias Knauers ist voll aufgegangen: die Stadt ist voll mit Mathematik und nicht alle Mathematiker*innen sind so dröge unterwegs wie Karl Friedrich Bessel, ein Astronom, Mathematiker und ehemaliger Leiter der Sternwarte in Lilienthal: „Die Mathematik ist doch die angenehmste Wissenschaft; sie und die Astronomie vertreten bei mir Tanzgesellschaften, Konzerte und andere derartige Belustigungen, die ich nur dem Namen nach kenne“. Also: unbedingt die Augen offen halten nach weiteren Terminen oder direkt bei Matthias Knauer anfragen:
http://www.math.uni-bremen.de/zetem/o2c/oeffentlichkeitsarbeit
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