von Tanja Dieckmann
„Sind sich alle also dessen bewusst, dass ich Mathematiker bin? Jetzt gäbe es noch die Möglichkeit, den Raum zu verlassen“, sagt Herr Büskens, Professor für Mathematik an der Uni Bremen, und scheint fast etwas irritiert, als tatsächlich alle auf ihren Plätzen sitzen bleiben. Auch wenn vielleicht in dem einigen jetzt düstere Erinnerungen an den lange verdrängten Mathematik-Unterricht in der Schule aufkommen, tut er*sie gut daran zu bleiben, wenn Herr Büskens im Rahmen der “SCIENCE goes PUBlic”-Reihe aus dem Mathe-Kästchen plaudert. Denn von dem damaligen Gefühl „irgendwo-zwischen-Langeweile-und-Überforderung“ bleiben die Gäste an diesem Abend in der Neustadt-Kneipe „Karton“ völlig verschont.
Herr Büskens tritt an gegen die Vorstellung, dass Mathematik irgendetwas Esoterisches sei, was ohnehin niemand so recht versteht und nimmt sich als Einstieg passend zum Titel seiner Veranstaltung „In Mathematik war ich immer durchschnittlich unterdurchschnittlich“ den Durchschnitt vor und zeigt, wie schnell es geht, unterdurchschnittlich zu sein: Stellen wir uns vor, eine Schulklasse mit 21 Schüler*innen schreibt eine Klassenarbeit und 20 Schüler*innen schreiben eine gute Arbeit, eine*r sogar eine sehr gute. Mathematisch spannend ist Folgendes: alle zwanzig Schüler*innen mit guten Noten sind dann unterdurchschnittlich. Warum? Der Durchschnitt berechnet sich wie folgt: Wir addieren die aufgetretenen Ergebnisse und teilen diese durch die Anzahl der Schüler*innen. Haben 20 Schüler*innen eine 2 geschrieben und eine*r eine 1, so rechnen wir 20*2 + 1*1 = 41, diese Zahl teilen wir durch die Anzahl der Klausurteilnehmer*innen und erhalten: 41/21 = ungefähr 1,9. Alle Schüler*innen mit einer 2 liegen damit also unter dem Durchschnitt, was zu beweisen war. Also alles nichts Esoterisches.
Die meisten Menschen waren in Mathe-Klausuren wohl eher weit weg von der Eins oder Zwei – den meisten ist ja Mathematik nicht so ganz geheuer. Um zu zeigen, dass Mathematik (und damit Mathematiker*innen) ganz unverdient einen etwas schlechten Ruf haben, treten wir mit Herrn Büskens eine Reise durch eine Sammlung von Zitaten von Personen aus Politik und Industrie an, in denen die Wichtigkeit der Mathematik für… ungefähr alles hervortritt, mit dem Beweiszweck: „Mathematik ist nicht alles. Aber alles ist nichts ohne Mathematik“. Ohne Mathematik ist beispielsweise eine Menge Hochtechnologie nicht realisierbar. So werden in vielen Fällen in natur- und ingenieurwissenschaftlicher Forschung zunächst mathematische Modelle erstellt. Das heißt, dass ein Teil der Welt auf seine quantitativen Eigenschaften reduziert wird, also auf alles was in Zahlen, Gleichungen und Variablen usw. gefasst werden kann. Das machen wir auch, wenn wir am Ende des Kneipenabends ausrechnen, wie viel wir bezahlen müssen: Für 2 Bier zu jeweils 2,50 Euro lassen wir alles außer das mathematisch Relevante weg, z.B. wie das Bier geschmeckt hat, ob wir es beim Bier gemütlich hatten…
Man fasst die mathematische Seite eines Problems also zunächst in mathematischer Notation, mit Hilfe von mathematischen Symbolen in der formalen Sprache der Mathematik. Im Kneipenabend-Beispiel ist das einfach 2* 2,5 = 5; bei den Problemen, die Professor Büskens und Konsorten und Konsortinnen lösen, ist das Ganze dann nur etwas komplexer mit fiesen Differentialgleichungen usw. 😉
Dann sammelt man weitere mit dem Problem zusammenhängende natur- oder ingenieurwissenschaftliche Gesetzmäßigkeiten und hält ebenfalls ihre mathematischen Aspekte fest. So haben wir ein Problem nach seiner mathematischen Seite hin dargestellt, so dass alle qualitativen Eigenschaften außen vor sind – die bleiben Sache der anderen Wissenschaften – und man sich pur auf die quantitative Seite des Problems konzentrieren kann. Auf dieses Modell gehen dann die Mathematiker*innen los und versuchen es durch ihre Berechnungen zu lösen, das heißt dann Analyse.
Am Modell kann außerdem ausprobiert werden, wie sich bestimmte Einflüsse auf das modellierte Problem auswirken, das heißt dann Simulation. Dazu werden Parameter mit konkreten Werten besetzt, die möglichst gut zum Echte-Welt-Problem passen und damit ein sogenannter Digitaler Zwilling, also quasi ein Vertreter des echten Problems im virtuellen Raum, geschaffen – der sich im Idealfall genauso verhält wie das echte Objekt. Dieses Ideal ist aber oft auf Grund der Menge der zu berücksichtigenden Faktoren sehr schwer zu erreichen.
Die Erkenntnisse, die anhand von Analyse und Simulation erreicht werden, müssen dann noch wieder auf die Realität zurückübertragen werden und so kann das Problem, wenn es letztlich ein mathematisches war, gelöst werden.
Die Probleme, mit denen sich Herr Büskens beschäftigt, sind Optimierungsprobleme. Das heißt, dass es zu einem vorgegeben Maßstab die beste Lösung gefunden werden soll: z.B. soll das autonom fahrende Auto den kürzesten Weg finden oder möglichst energiesparend unterwegs sein. Das ist wie wir uns unsere Lieblingskneipe aussuchen: der Weg dahin soll möglichst kurz, das Bier möglichst lecker sein… Für Mathematiker sind das dann nur auch wieder echt komplexe Probleme, darum nennt sich zum Beispiel ein Projekt von Herrn Büskens WORHP: „We Optimize Really Huge Problems“. Da geht dann statt um den kürzesten Weg zur Kneipe z.B. um den kürzesten Weg bei Raumfahrtmissionen. Das ist dann geringfügig komplexer. Das geht mit – Achtung, schlimmes Wort aus eurer Schulzeit: – Kurvendiskussion, nur nicht wie damals eindimensional, sondern viel tausend-dimensional.
Vielleicht konnte Herr Büskens den einige mit seiner Begeisterung für Mathematik anstecken, mit Sicherheit hat er aber den Blick geschärft dafür, wo Mathematik „im echten Leben“ vorkommt!
Mehr zu science goes public: https://www.sciencegoespublic.de/
Mehr zu WORHP : http://www.math.uni-bremen.de/zetem/cms/detail.php?id=5543
Mehr zu Herrn Büskens: http://www.math.uni-bremen.de/zetem/cms/detail.php?template=parse_title&person=ChristofBueskens
Mehr zum Zentrum für Technomathematik: http://www.math.uni-bremen.de/zetem/
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