oder: was hat Harry Potter mit Fahrrädern zu tun?
von Inga Meyenborg
Wie viel wiegt dein Fahrrad? 10 Kilo? 20 Kilo? 50 Kilo?
Zwei Typen von Menschen können diese Frage meistens ziemlich genau beantworten: Diejenigen, die wettkampforientiert auf ihrem Fahrrad unterwegs sind und diejenigen, die ihr Fahrrad jeden Morgen aus einem sicheren Kellerabteil nach oben an die frische Luft tragen. Die einen wollen durch jedes eingesparte Gramm noch schneller unterwegs sein und die anderen, nun ja, die wollen ihr Fahrrad nachts sicher verstaut wissen, ohne dafür täglich Langhanteltraining im Fitnessstudio absolvieren zu müssen.
Aber die Bremer*innen tragen nicht nur viele Fahrräder, sie radeln auch besonders viel: In Bremen werden 25 % der Wege mit dem Rad zurückgelegt.[1] Damit wird in keiner anderen deutschen Stadt mit mehr als 500.000 Einwohner*innen mehr geradelt.[2]
Aber wovon hängt nun das Gewicht eines einzelnen Fahrrads ab? Zum einen natürlich von der Ausstattung. Klar, dass deshalb Sportler*innen zunächst einmal auf Bauteile wie Ständer oder Gepäckträger verzichten. Und dann? Sobald das Rad auf seine grundlegenden Bestandteile reduziert ist, hängt das Gewicht vor allem von den eingesetzten Materialien ab. Die Urform des heutigen Fahrrads bestand aus Holz und wog etwa 20 kg – das ist etwa so viel wie ein Sack Pflanzenerde. Vorgestellt wurde die sogenannte “Laufmaschine” vor etwa 200 Jahren in Mannheim, im Juni 1817, von Karl Drais.
Abbildung 1: Von der Laufmaschine[3] bis zum ersten Tretkurbelrad.[4] Das linke Bild zeigt die “Laufmaschine” (auch Laufrad genannt), erfunden von Karl Drais, welches er 1817 das erste Mal in Mannheim vorstellte. Das rechte Bild zeigt das “Michaulinen” Rad mit Tretkurbelantrieb des Franzosen Pierre Michaux. Er stellte es erstmals auf der Pariser Weltausstellung 1867 vor.
Etwa 50 Jahre später musste dann nicht mehr mitgelaufen werden, es konnte erstmals getreten werden. Die sogenannten “Michaulinen” besaßen einen aus Schmiedeeisen[5] gefertigten Rahmen und Holzräder, womit sie ein Gewicht von 26 kg auf die Waage brachten.[6] Um die Stabilität dieser Tretkurbelräder zu steigern, wurden in der weiteren Entwicklung erst die Räder mit Eisen ummantelt und dann auch die hölzernen Speichen durch metallische ersetzt.[7] Dies wirkte sich natürlich auf das Gewicht aus, welches auf 30 – 40 kg stieg.[8] Ganz schön unhandlich, wenn man bedenkt, dass man das Gewicht eines kleinen Kühlschranks erstmal in Gang bringen musste.
Um das Fahrrad also benutzerfreundlicher zu gestalten, wurde an Funktionsweise, Form, Material und Fertigungsverfahren getüftelt. Die Stangen wurden schließlich nicht mehr geschmiedet, sondern es wurden aus Stahl[9] Rohre geformt. In den 1980er Jahren konnte dann ein weiteres Material nutzbar gemacht werden, welches den Stahl von seiner Rolle als meistverwendetes Rahmenmaterial verdrängte. Aluminium hat mit 2,7 g/cm^3 eine deutlich geringere Dichte als Stahl.[10] Vergleicht man zwei gleich große Würfel der beiden Materialien, bringt Alu nur ein Drittel des Gewichts von Stahl auf die Waage. Außerdem hat es den Vorteil, dass es nicht rostet.
Da reines Aluminium viel zu weich wäre, müssen allerdings noch andere Elemente, wie zum Beispiel Magnesium oder Silizium, beigemischt werden, damit das Material den Belastungen beim Radfahren standhält.
Aber auch für eine Aluminiumlegierung kann eine für Stahl ausgelegte Rahmenkonstruktion nicht 1:1 übernommen werden. Damit es den gleichen Belastungen wie ein Stahlrahmen standhält, muss entweder der Durchmesser des Rahmenrohrs vergrößert werden oder die Wandstärke des Rohrs dicker sein. Trotzdem sind Räder aus Aluminium meistens leichter – es kommt hier aber auch sehr auf die Qualität der verarbeiteten Werkstoffe an. Dass Aluminium Stahl nicht ganz verdrängt hat, hängt auch damit zusammen, dass dünnere Rahmen optisch manchmal gewünscht sind und Stahl dazu bessere Eigenschaften besitzt, was die Dauerbelastung angeht. Je nach Gestaltung und Qualitätsklasse bringen die Räder aus Alu und Stahl bei den klassischen Stadträdern zwischen 12 – 13 kg auf die Waage.
Mit der Forschung und Verbesserung von metallischen Leichtbauwerkstoffen beschäftigt sich auch eine Abteilung am Institut IWT.[11] Doch egal ob Aluminium oder Stahl: bei der Konstruktion mit diesen Werkstoffen ist häufig viel Material enthalten, welches eigentlich gar nicht nötig wäre. Denn beide Stoffe sind isotrop. Das bedeutet, dass die Eigenschaften sich in alle Richtungen gleich verhalten, wie man es auch von Wasser kennt. Ein klassischer metallischer Fahrradrahmen ist daher also in alle Richtungen mit den gleichen Kräften belastbar. Das ist aber eigentlich gar nicht erforderlich, da er in der Praxis hauptsächlich vor allem in Längsrichtung, also entlang der Rahmenstreben belastet wird.[12]
Aufgrund dessen hat sich ein weiteres Material in den Leichtbau – Fahrradmarkt eingebürgert: kohlenstofffaserverstärkte Kunststoffe, kurz CFK. Dafür werden aus bestimmten kohlenstoffhaltigen Materialien dünne Fäden gesponnen, die durch einen chemischen Prozess in Kohlenstoff umgewandelt werden. Diese erzeugten Kohlenstofffasern halten sehr hohen Belastungen stand. Allerdings nur, wenn man an ihnen zieht. Um eine Kohlenstofffaser zu zerreißen, braucht man zehnmal so viel Kraft wie bei einem Aluminiumfaden mit den gleichen Maßen. Macht man jedoch einen Knoten in die Kohlenstofffaser und belastet ihn dann nicht nur in Längs- sondern auch in Querrichtung, reißt er sofort durch.
Abbildung 2: Das linke Bild zeigt eine 6 µm dicke Kohlenstofffaser im Vergleich zu einem 50 µm dicken menschlichen Haar.[13] 1.000 bis 24.000 einzelne Fasern werden zu einem Garn zusammengefasst. Diese Garne werden dann weiterverarbeitet, zum Beispiel indem sie verflochten werden.[14]
Vorstellen kann ich mir das wie bei Rharbarber.[15] So ein dünner Rhabarberstängel schafft es, seine extrem großen und schweren Blätter problemlos zu halten. Bin ich jetzt jedoch etwas unvorsichtig im Beet unterwegs und trete auf den Stängel darauf, bricht er ziemlich schnell durch. Wenn du dir die Bruchstelle genauer anschaust, kann man die einzelnen Fasern im Rhabarberstängel erkennen.
Schaut man sich die Bruchstelle genauer an, sieht man dann, dass der Rhabarber auch aus vielen einzelnen Fasern besteht, die von Pflanzengewebe umgeben und zusammengehalten werden. Um diesen Zusammenhalt bei den Kohlenstofffasern zu schaffen, werden die verwebten Fasern mit flüssigem Kunstharz getränkt, welches dann aushärtet.
Abbildung 3: Richtungsabhängiger Rhabarber und richtungsabhängiges Wasser. Beim Rhabarber brauche ich mehr Kraft, um ihn zu zerreißen, wenn ich am Stängel ziehe als wenn ich ihn durchbreche. Beim Wasser ist es egal, ob ich das Auto von links nach rechts durch die Pfütze schiebe oder es von oben nach unten durchs Wasser bewege.
Wird nur das reine Material betrachtet, ist das Verhältnis von Stabilität zu Gewicht bei CFK nicht besser als bei Alu oder Stahl. Allerdings bietet CFK den Vorteil, dass man die Fasern entsprechend der wirkenden Belastungen ausrichten kann. Dabei positioniert man die meisten Fasern so, dass sie entlang der Rahmenstreben führen. Ein paar Fasern werden auch quer dazu angebracht. So wird dafür gesorgt, dass einem das Fahrrad nicht sofort zerbricht, wenn man es am Rahmen packt, um es die Kellertreppe hochzutragen.
Mithilfe dieser Methoden konnte der Weltrekord für das leichteste Fahrrad auf 2,7 kg gesetzt werden. Damit wiegt es gerade mal so viel wie drei Harry Potter Bücher.
Abbildung 4: Wiegen beide gleich viel: Das leichteste Fahrrad der Welt und drei Harry Potter Bücher. Für das Rad hat der Amerikaner Jason Woznick jedoch nicht zum Zauberstab gegriffen sondern nutzte Bauteile vom deutschen Tüftler Günter Mai und Formel 1 Komponenten.[16]
Es gibt noch weitere Unterschiede zwischen Metallen und CFK. Während Metall sich erst verformt bevor es bricht, versagt CFK sehr plötzlich. Aufgrund dieses Versagensverhaltens eignen sich Fahrräder mit Bauteilen aus CFK daher eher nur für den Wettkampfsport. Für den Alltag sind die Bauteile zu empfindlich. Auch bei kleinen Stürzen entstehen Mikrorisse, die mit dem bloßen Auge nicht sichtbar sind und meistens erst durch Röntgenbilder erkannt werden können. Das gefährliche an den Mikrorissen ist, dass das Bauteil dann ganz plötzlich versagen kann, was besonders bei schneller Fahrt zu schweren Unfällen führen kann.
Neben Fahrrädern lassen sich aus Verbundwerkstoffen natürlich noch viele andere Leichtbauprodukte herstellen. In Bremen forscht das Faserinstitut Fibre an der Materialentwicklung von Hochleistungsverbundwerkstoffen.[17]
Auch auf dem Gebiet der Metalle wird weiter daran geforscht, das Material nur dort einzusetzen, wo es aufgrund der Belastungen notwendig ist. Durch die Verwendung von neuen Fertigungsverfahren, wie der additiven Fertigung eröffnen sich hier ganz neue Möglichkeiten. [Für Informationen über dieses Verfahren lies dir auch unseren Artikel “Zahn verloren? Keine Sorge, ich druck’ dir einen Neuen! ” durch].
Das Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven hat mithilfe dieses Verfahrens den Prototypen eines Fahrrads gebaut. Dabei haben die Wissenschaftler*innen sich an dem Prinzip des Aufbaus von Kieselalgen orientiert. Kieselalgen sind einzellige Lebewesen, die zur Gruppe der Algen zählen. Sie sind meistens etwa 40 µm bis 2 mm groß. Um sich vor ihren Feinden zu schützen, haben sie harte, aber gleichzeitig sehr leichte Schalenstrukturen gebildet. Aus einer Datenbank suchen die Forscher*innen je nach Anforderung die passende Kieselalgenart heraus. Daran orientiert werden dann die Bauteile entworfen und schließlich aus einer Aluminiumlegierung mit dem selektiven Laserschmelzen gedruckt und zusammengebaut.[18]
Abbildung 5: Kieselalgen (links) dienen als Inspiration für den Aufbau des Bionic Bikes. Durch das Prinzip der Struktur der Kieselalgen (mitte) lässt sich viel Gewicht sparen.[19] Durch die Form und Art der Herstellung ist das 60 % leichter.[20]
Durch die additive Fertigung lässt sich viel Material einsparen und es wird nur sehr wenig Abfall erzeugt. Aber wie wäre es mit noch nachhaltigeren, nachwachsenden Rohstoffen?
In Osnabrück sitzt das Unternehmen Onyx Composites. Dieses Unternehmen hat das Hanfbike entwickelt.[21] Hier werden statt Kohlenstofffasern Hanffasern verwendet. Die Festigkeit ist ähnlich wie bei Aluminium – allerdings kann durch die Fasern wieder die Anisotropie ausgenutzt werden. Die Hanfbikes sind damit schwerer als CFK-Räder, aber leichter als Alu-Räder.
Das Unternehmen myBoo aus Kiel verwendet einen weiteren nachwachsenden Werkstoff.[22] Sie fertigen Räder aus Bambusrohren, die mit Aluminiumkomponenten und harzgetränkten Hanfseilen miteinander fixiert werden. Die Festigkeit erhält auch Bambus aus seiner faserigen Struktur. Bambusräder sind insbesondere für die Stadt gut geeignet, da der Werkstoff sehr gut dämpft.
Vielleicht werden wir in Zukunft mehr solcher Naturfaserbikes durch die Stadt rollen sehen. Oder was glaubst du – aus welchem Material wird das Fahrrad der Zukunft bestehen?
Abbildung 6: Links das Hanfbike[23] und rechts das Bambusrad.[24]
Aber wie ist man jetzt am leichtesten unterwegs? Nun ja, die materialsparendste Variante ist es natürlich, ohne Fahrrad unterwegs zu sein. Und das kommt in Bremen tatsächlich auch gar nicht so selten vor. 6.000 Räder wurden 2018 geklaut, das sind 1.100 mehr als im Jahr davor.[25] Aber zum Glück haben wir in Bremen gleichzeitig ein gut ausgebautes Straßenbahnnetz und kommen dank der BSAG auch ohne Rad schnell von A nach B.[26] Damit es aber gar nicht erst zum Diebstahl kommt, hat die Polizei Bremen auch ein paar nützliche Tipps auf ihrer Webseite parat.[27]
Zum Schluss noch ein Tipp für alle Studierenden, denen Werkzeug oder Kenntnisse fehlen, um einen platten Reifen zu flicken: In der Fahrradselbsthilfewerkstatt bekommst du kostenlos Werkzeug und Tipps zur Reparatur. Nähere Infos dazu findest du auf der Internetseite der Werkstatt.[28]
[1] https://www.ziv-zweirad.de/fileadmin/redakteure/Downloads/PDFs/radverkehr-in-zahlen.pdf
[2] https://www.wfb-bremen.de/de/page/stories/standortmarketing/lebensqualitaet/bremen-im-europa-vergleich-eine-der-groessten-fahrradstaedte
[3] https://media.giphy.com/media/6Pv2uDUmkg1qM/giphy.mp4
[4] https://www.youtube.com/watch?v=iuJPtHta4ls und https://makeagif.com/gif/le-velocipede-michaux-o0nQpH
[5] Der Hauptbestandteil ist hierbei Eisen mit einem geringen Anteil Kohlenstoff (unter 0,1 %).
[6] https://adfc-kvjl.de/wp-content/uploads/2018/03/Geschichte-des-Fahrrads-Teil-1-6.pdf
[7] http://monnem-bike.de/wie-alles-begann/die-geschichte-des-fahrrads/
[8] Abhängig von der Ausführung und je nach Quelle
[9] Eisen mit einem maximalen Anteil Kohlenstoff von 2,06 %. Weitere Elemente wie Chrom und Molybdän werden hinzugefügt um die Eigenschaften dem Bedarf anzupassen.
[10] Die Dichte von Stahl beträgt ~7,85 g/cm^3.
[11] http://www.iwt-bremen.de/werkstofftechnik/leichtbauwerkstoffe/
[12] Ein paar weitere Informationen zu den beim Rad fahren wirkenden Kräften: https://www.lehrerfreund.de/technik/1s/kraefte-am-fahrrad1/4000
[13] https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Cfaser_haarrp.jpg
[14] https://www.craftechind.com/the-rise-of-carbon-fiber-reinforced-plastics/
[15] An der Hochschule Bremen wird untersucht, was man von Rharbarber für technische Anwendungen lernen kann: http://www.hs-bremen.de/internet/de/forschung/projekte/detail/index_18292.html
[16] https://www.redbull.com/gb-en/check-out-the-worlds-lightest-custom-road-bike
[17] https://www.faserinstitut.de/
[18] https://www.awi.de/forschung/besondere-gruppen/bionischer-leichtbau/projekte/bionic-bike/interview-paul-bomke.html
[19] http://www.haute-innovation.com/de/magazin/leichtbau/elise-bionic-bike-gedrucktes-faltrad.html
[20] https://www.wfb-bremen.de/de/page/stories/standortmarketing/wissenschaft/bionic-bike-dank-kieselalgen-zum-neuen-faltrad, [Alfred Wegener Institut/ Paul Bomke]
[21] http://www.onyx-composites.de/
[23] http://www.onyx-composites.de/
[25] https://www.butenunbinnen.de/nachrichten/gesellschaft/kriminalstatistik-bremen-straftaten-100.html
[26] https://www.bsag.de/unternehmen.html
[27] https://www.polizei.bremen.de/rat_und_hilfe/rund_um_das_fahrrad-7002
[28] https://www.asta.uni-bremen.de/service/fahrradwerkstatt/
Super geschriebener und informativer Artikel :-). In diesen Blog werde ich mich noch richtig einlesen
Cooler Artikel