Von Thiemo Benthien
Abbildung 1 – Quelle: Tumisu @ Pixabay.
Stell dir vor, Du könntest Deine kognitiven Fähigkeiten verbessern, Deine körperliche Leistungsfähigkeit steigern und sogar Deine Sinne erweitern – alles durch Implantate und Prothesen. Klingt nach Science-Fiction? In Wirklichkeit sind leistungssteigernde Technologien längst Realität. Doch während einige die Vorteile dieser Entwicklungen preisen, gibt es auch ernsthafte ethische Bedenken. Werden wir bald eine Gesellschaft von „Supermenschen“ haben? Was passiert mit denen, die sich keine teuren Implantate leisten können? Wie werden wir die Sicherheit dieser Technologien gewährleisten können?
Technologie Upgrade für den Körper
In erster Linie werden diese Technologien zum Verbessern der körperlichen Fähigkeiten oder für die Unterstützung von Menschen mit körperlichen Einschränkungen eingesetzt. Eine der aufregendsten Entwicklungen in diesem Bereich sind Implantate. Sie werden direkt in den Körper eingeführt, um die Funktionen des Körpers zu verbessern. Darunter fallen Implantate, die z.B. das Hören oder Sehen verbessern können.
Eine weitere vielversprechende Technologie ist die Prothetik, die das Leben von Menschen mit Amputationen oder anderen körperlichen Einschränkungen verbessern kann. Fortschrittliche Prothesen können die Bewegung der Gliedmaßen nachahmen. Neben Implantaten und Prothesen gibt es auch andere Technologien, die die körperliche Leistungsfähigkeit erhöhen. Ein Beispiel hierfür sind Exoskelette, die das Gewicht eines Gegenstands tragen können. Dadurch ermöglichen sie den BenutzerInnen, schwerere Gegenstände zu heben und zu tragen, als sie es normalerweise könnten.
Um mögliche ethische Bedenken zu verstehen und einen umfangreicheren Einblick in die Thematik zu erlangen werden wir die wichtigsten Kategorien zunächst einmal erklären.
Technologie Upgrade für die Sinne
Die fünf Sinne des Menschen sind Sehen, Hören, Tasten, Schmecken und Riechen. Ist einer dieser Sinne eingeschränkt oder auch gleich mehrere, könnten Implantate die Rettung sein.
Zur Unterstützung beim Hören werden Hörgeräte und Cochlea-Implantate eingesetzt. Hörgeräte sind in der Regel die erste Wahl für Menschen mit leichten bis mittelschweren Hörverlusten. Bei stärkeren Schwierigkeiten beim Hören oder sogar Taubheit werden Cochlea-Implantate verwendet.
Hörgeräte sind kleine Geräte, die Schallwellen verstärken und auf die Ohren übertragen, um das Hören zu verbessern. Sie werden hinter dem Ohr oder in der Ohrmuschel getragen und können so eingestellt werden, dass sie die individuellen Hörbedürfnisse der BenutzerInnen erfüllen. Hörgeräte können auch mit verschiedenen Funktionen ausgestattet sein, wie zum Beispiel Rauschunterdrückung und drahtloser Verbindung mit anderen Geräten wie Telefone und Fernseher.
Cochlea-Implantate hingegen werden direkt in das Innenohr implantiert und werden von schwerhörigen und tauben Menschen verwendet. Sie wandeln Schallwellen in elektrische Signale um, die direkt an den Hörnerv weitergeleitet werden, um ein Hörerlebnis zu erzeugen. Im Gegensatz zu Hörgeräten werden Cochlea-Implantate vom Chirurgen eingesetzt und man benötigt eine spezielle Schulung, um sie richtig zu verwenden.
Studien haben gezeigt, dass Cochlea-Implantate bei vielen Menschen mit Hörverlust dazu beitragen konnten, das Hörvermögen zu verbessern. Das zeigt auch eine Studie aus dem Jahr 2007. Nach ihr helfen Cochlea-Implantate außerdem bei Kindern mit Hörverlust dabei, die Sprachentwicklung zu fördern und die Lebensqualität zu verbessern [1].
Um das Sehvermögen von Menschen zu unterstützen, wird zunächst meist zur Brille oder zu den Kontaktlinsen gegriffen. Darauf folgen elektronische Brillen, die die Sehkraft von Menschen mit verschiedenen Arten von Sehbehinderungen verbessern, indem sie Bilder vergrößern oder kontrastreicher machen. Einen medizinischen Eingriff erfordern dann Retina-Implantate. Diese Implantate werden bei Menschen mit erblichen Augenkrankheiten eingesetzt, um ihnen zu helfen, ihre Sehkraft zu verbessern. Bei anderen Krankheiten, wie Diabetes kann nicht nur die Netzhaut, sondern auch das gesamte Sehsystem betroffen sein. In dem Fall sind die Möglichkeiten zur Wiederherstellung der Sehfähigkeit eingeschränkt.
Doch auch für diese Menschen gibt es Hoffnung durch die aktuelle Forschung, wie z.B. in Bremen. Hier versucht ein Konsortium aus fünf Arbeitsgruppen in der EU und Kanada mit dem Projekt „I See“ verbesserte Sehprothesen zu entwickeln. In dem Projekt sind auch Dr. Udo Ernst und Dr. David Rotermund vom Institut für Theoretische Physik der Universität Bremen involviert.
Abbildung 2 – Das menschliche Auge. Könnte es so zukünftig aussehen? Quelle: Victoria_Watercolor @ Pixabay.
Nach den WissenschafterInnen können die Prothesen verbessert werden, indem zum einen Rücksicht auf die schon vorhandene Aktivierung der Sehhirnrinde genommen wird und zum anderen bei der Stimulation auf die Art der Informationskodierung im Gehirn Rücksicht genommen wird. Die Arbeitsgruppe aus Bremen entwickelt dabei fortschrittliche Datenanalyse-Methoden, die helfen sollen, die „Sprache des Gehirns“ zu analysieren [2].
Auch die Fähigkeiten der weiteren Sinne können etwa durch elektronische Nasen, taktile Sensoren oder elektronische Zungen unterstützt werden. Diese Technologien sind allerdings eher seltener. Gängiger sind noch Zahnimplantate, Herzschrittmacher, Blasenschrittmacher und Insulin-Pumpen.
Vom Verlust zur Stärke dank Prothesen
Prothesen wurden in den letzten Jahrzehnten erheblich weiterentwickelt und sind sehr wichtig bei der medizinischen Versorgung für Menschen mit Amputationen geworden. Prothesen sind künstliche Gliedmaßen, wie Beine oder Arme, die entweder vollständig oder teilweise amputierte Körperteile ersetzen.
Moderne Prothesen sind in der Regel so konstruiert, dass sie möglichst so funktionieren wie die echten Körperteile. Sie können individuell angepasst werden, um die Bedürfnisse und Fähigkeiten der BenutzerInnen zu erfüllen. Es gibt verschiedene Arten von Prothesen, darunter Armprothesen, Beinprothesen und Prothesen für andere Körperteile wie Finger und Zehen.
Leistungssteigernde Prothesen, auch als bionische Prothesen bezeichnet, sind eine spezielle Art von Prothesen, die elektronische Komponenten und künstliche Intelligenz nutzen, um eine höhere Funktionalität zu ermöglichen. Zum Beispiel können einige bionische Armprothesen mit Sensoren ausgestattet sein. Diese geben den BenutzerInnen eine Rückmeldung auf ihre Bewegung und helfen dabei, Objekte mit mehr Präzision zu greifen.
Abbildung 3 – Beispiel für eine bionische Unterarmprothese. Quelle: Stefan Dr. Schulz @ Pixabay.
Obwohl Prothesen keine vollständige Wiederherstellung der natürlichen Gliedmaßen schaffen, beeinflussen sie die Menschen mit Amputationen. Sie ermöglichen es ihnen, ihre Fähigkeiten und Unabhängigkeit wiederzuerlangen und ein aktives Leben zu führen. Dank der Fortschritte in der Technologie und Medizin werden Prothesen immer leistungsstärker, präziser und funktionaler, und es ist wahrscheinlich, dass sie in Zukunft noch weiter verbessert werden.
Planungs- und Fertigungstechnische Fortschritte
Additive Fertigung und künstliche Intelligenz (KI) spielen eine zunehmend wichtige Rolle bei der Entwicklung von leistungssteigernden Prothesen und Implantaten. Additive Fertigung, oder 3D-Druck, ermöglicht es, komplexe Teile herzustellen, die mit traditionellen Fertigungsmethoden nicht möglich wären. Dadurch können maßgeschneiderte und individuell angepasste Prothesen und Implantate hergestellt werden, die besser an die spezifischen Bedürfnisse jedes Patienten angepasst sind.
KI-basierte Systeme können helfen, die Funktionalität von Prothesen und Implantaten zu verbessern, indem sie das Zusammenspiel von menschlicher Bewegung und Technologie optimieren. Zum Beispiel können intelligente Prothesen mit KI-gesteuerten Sensoren ausgestattet werden, die es der Prothese ermöglichen, auf natürliche Weise mit den Bewegungen des Benutzers zu interagieren. KI-gesteuerte Implantate können auch dazu beitragen, die Diagnose und Behandlung von Krankheiten zu verbessern, indem sie Daten sammeln und analysieren, um bessere Entscheidungen zu treffen.
Die Kombination von Additiver Fertigung und KI hat das Potenzial, Prothesen und Implantate noch leistungsstärker und funktionaler zu machen und gleichzeitig günstiger und schneller in der Herstellung.
Kannst du mir Sonntag beim Umzug helfen?
Die Waschmaschine in den dritten Stock zu bringen oder im unglücklicheren Fall acht Stunden pro Tag im Lager schwere Gegenstände von A nach B zu bringen, ist eine enorme Belastung für den menschlichen Körper. Abhilfe können an einigen Stellen Exoskelette schaffen. Exoskelette sind tragbare robotische Anzüge, die den Körper unterstützen und verstärken können. Sie werden häufig bei der Unterstützung von ArbeiterInnen in der Industrie und bei der Rehabilitation von PatientInnen mit neurologischen Erkrankungen eingesetzt. Exoskelette bestehen aus einer Kombination von mechanischen, elektronischen und computerbasierten Systemen, die es dem Benutzer ermöglichen, zusätzliche Kraft und Unterstützung zu erhalten.
Ein Exoskelett kann dazu beitragen, die Bewegungsmöglichkeiten und Unabhängigkeit von Personen mit Behinderungen oder Verletzungen zu verbessern. Zum Beispiel können Exoskelette beim Heilungsprozess von Patienten mit Schlaganfällen, Rückenmarksverletzungen und Parkinson-Erkrankungen eingesetzt werden, um Bewegung und Muskelkraft wiederzuerlangen. In der Industrie helfen Exoskelette ArbeiterInnen dabei, schwere Lasten zu heben und ihre Arbeitseffizienz zu verbessern.
Einige der neuesten Entwicklungen im Bereich der Exoskelette beinhalten intelligente Sensoren und künstliche Intelligenz, die dabei helfen, die Interaktion zwischen den BenutzerInnen und dem Exoskelett zu optimieren. In Zukunft könnten Exoskelette auch bei der Unterstützung von älteren Menschen eingesetzt werden, um den Alltag zu erleichtern und die Mobilität zu verbessern.
Die Macht des Geistes
Die Letzte hier zu nennende technologische Entwicklung ist die Computer-Gehirn-Schnittstelle. Computer-Gehirn-Schnittstellen sind eine aufregende neue Technologie, die die Art und Weise verändert, wie wir mit Computern interagieren. Diese Schnittstellen verwenden Elektroden, um Signale vom Gehirn der BenutzerInnen aufzunehmen und sie dann in Aktionen umzuwandeln, die von einem Computer ausgeführt werden können. Dadurch wird eine direkte Kommunikation zwischen dem Gehirn und einem Computer ermöglicht.
Computer-Gehirn-Schnittstellen haben eine Vielzahl von Anwendungen, einschließlich der Steuerung von Rollstühlen, Robotern und Prothesen für Menschen mit Behinderungen. Sie können auch verwendet werden, um die Kommunikation für Menschen zu verbessern, die aufgrund von Verletzungen oder Krankheiten wie amyotrophe Lateralsklerose (ALS) oder einem Schlaganfall nicht mehr sprechen können. Darüber hinaus bieten Computer-Gehirn-Schnittstellen Potenzial für Anwendungen in der Gaming-Industrie, bei denen Benutzer ihre Charaktere durch Gedanken steuern können.
Welche Herausforderungen gibt es?
Die Herausforderungen in diesem Bereich schließen mehrere verschiedene Bereiche ein. Das Thema Sicherheit ist ein wichtiger Aspekt dieser Diskussion. Eine der Hauptbedenken betrifft die potenziellen Risiken einer Operation zur Implantation oder Anpassung von Prothesen oder Implantaten. Operationen können mit einer Reihe von Komplikationen verbunden sein, wie Infektionen, Blutungen und Nervenschäden.
Ein weiteres Sicherheitsrisiko betrifft die Möglichkeit von Fehlfunktionen der Implantate oder Prothesen, die zu Verletzungen oder Schäden führen können. Eine fehlerhafte Sensortechnologie könnte beispielsweise fehlerhafte Messungen liefern und damit das Verhalten des Geräts beeinträchtigen. Darunter fällt auch die begrenzte Lebensdauer von Implantaten. Das Projekt „Hermimplant“ an dem die Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Walter Lang, des Instituts für Mikrosensoren, -aktoren und -systeme der Universität Bremen beteiligt ist beschäftigt sich mit diesem Thema. Dabei soll speziell die Lebensdauer von Implantaten, die für chronische Krankheiten eingesetzt werden, also eine lange Zeit im menschlichen Körper verbringen, erhöht werden [3].
Ein weiterer Aspekt ist der Missbrauch von Daten, die von diesen Geräten gesammelt werden. Diese Daten können sowohl vom Hersteller als auch von Dritten abgefangen werden und könnten möglicherweise für unethische Zwecke missbraucht werden, wie beispielsweise der Überwachung oder dem Diebstahl von Identitäten [4].
Auch gesellschaftliche und medizinethische Themen sind Teil der Debatte: Wer hat Zugang zu diesen Technologien, die häufig mit enormen Kosten verbunden sind? Ist es fair, wenn gesunde Menschen ihre körperlichen Fähigkeiten verbessern dürfen, oder erhalten sie einen unfairen Vorteil?
Es muss bei der Technologisierung und Weiterentwicklung Rücksicht auf die Menschen genommen werden, die abgehängt werden könnten. Dadurch sollen weitere soziale und gesellschaftliche Ungerechtigkeiten verhindert werden.
Werden wir bald eine Gesellschaft von „Supermenschen“ haben?
Zunächst ist es wichtig zu erkennen, dass leistungssteigernde Implantate und Prothesen nicht allein ausreichen, um einen „Supermenschen“ zu schaffen. Aspekte wie Training, Ernährung und Genetik spielen eine wichtige Rolle in Bezug auf die Leistungsfähigkeit des Menschen.
Allein aufgrund des Kostenaspekts ist eine weite Anwendung der Technologien auf einen Großteil der Gesellschaft äußerst unwahrscheinlich. Es ist jedoch denkbar, dass sich die Verwendung von leistungssteigernden Implantaten und Prothesen in Zukunft weiterverbreiten wird. Wenn dies der Fall ist, könnten wir möglicherweise eine Gesellschaft von „verbesserten“ Menschen sehen. Wobei sich diese Verbesserung lediglich auf körperliche Aspekte bezieht und zum Menschen noch Einige weitere Dinge dazugehören. Es ist jedoch wichtig, dass wir uns bewusst machen, wie die Verwendung von leistungssteigernden Implantaten und Prothesen unsere Gesellschaft beeinflussen könnte und, dass wir diese Technologien verantwortungsvoll einsetzen.
Quellen
Studie zu Cochlea-Implantaten: [1] https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/nejmct0706268
Projekt „I See“: [2] https://www.uni-bremen.de/universitaet/hochschulkommunikation-und-marketing/archiv/detailansicht/neurowissenschaftler-wollen-blinden-wieder-seheindruecke-ermoeglichen
Projekt „Hermimplant“: [3] https://www.uni-bremen.de/imsas/forschung/projekte-ag-lang/hermimplant
Beitrag zur ethischen Diskussion von Computer-Gehirn-Schnittstellen: [4] https://journalofethics.ama-assn.org/article/ethical-and-social-challenges-brain-computer-interfaces/2007-02
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