Let’s talk about deep time!

von Hanna Knahl

Abbildung 1 –So könnte die Antarktis vor 90 Millionen Jahren ausgesehen haben. Quelle: Alfred-Wegener-Institut / James McKay

„Regenwald in der Antarktis“ klingt nach einem Aprilscherz? Oder wie ein Klima-Apokalypse-Szenario für die Zukunft? Es war tatsächlich einmal der Fall. Machen wir eine Zeitreise in die faszinierende Epoche der Dinosaurier!

Abbildung 2 – Das Datum der Publikation ist ein lustiger Zufall. Die Erkenntnisse dieser Arbeit sind vielleicht erstaunlich, aber sie sind echte Wissenshcaft. Quelle: Screenshot (bearbeitet) [2]

Bei „Deep Time“ Klimaforschung geht es darum, in die Vergangenheit zu reisen – und zwar sehr weit zurück – zum Beispiel in die Kreidezeit, vor fast 100 Millionen Jahren. Was ist das Spannendste an der Kreidezeit? Viele würden sagen: die Dinosaurier! Aber in dieser Epoche ging es um viel mehr als nur um Dinosaurier. Dieser Artikel wird uns ein erstaunliches Gesicht der Antarktis zeigen, das sich uns durch die Untersuchungen von Klages et al., 2020 [1] offenbart.

Wie sah das weniger bekannte Gesicht der Antarktis in der Kreidezeit aus? Quelle: Eigene Grafik

Die Antarktis hat mehr als ein Gesicht

Heute ist die Antarktis von einem riesigen Eisschild bedeckt. Aber in der Kreidezeit muss der Kontinent ganz anders ausgesehen haben, denn das Klima der Erde war viel heißer als heute. Zeig uns dein anderes Gesicht, Antarktis!

Wie erfahren wir etwas über die Antarktis während der Kreidezeit?

Die Vegetation und das Klima in „Deep Time“, also der tiefen Vergangenheit, lassen sich aus Meeressedimenten ablesen. Schichten von Sedimenten bewahren Informationen über das Klima, in dem sie entstanden sind. In diesem speziellen Fall ist die ehemalige Oberfläche des antarktischen Kontinents unter den Ozean gesunken. Daraufhin bildeten sich Sedimente und konservierten so den alten Waldboden. Wissenschaftler um Johann Klages vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven (AWI) konnten aus diesen speziellen alten Sedimenten einen Kern bohren.

Die Expedition

Abbildung 3 – Die Expedition fuhr ans andere „Ende“ der Welt. Der Bohrplatz liegt im Amundsen Meer, Koordinaten 73.57°S, 107.09°W, 946 m unter dem Meeresspiegel. Bildquelle: Google Earth

Um in der Antarktis einen Sedimentkern zu bohren, braucht man eine gut geplante Forschungsexpedition und eine ausgeklügelte technische Ausrüstung. Die Polarstern-Expedition PS104 fuhr zum Bohrplatz in der Amundsen-See in der Westantarktis (siehe Abbildung 3). Während Polarstern über dem gesuchten Bohrplatz trieb, wurde das Bohrgerät namens „MeBo“ 950 Meter tief auf den Meeresboden abgesenkt. Es bohrte sich dann mit einem Rohr in den Meeresboden, das das Sediment Schicht für Schicht einsammelt. Klingt einfach, aber das Roboterbohrgerät MARUM-MeBo70, das am Zentrum für Marine Umweltwissenschaften (MARUM) in Bremen entwickelt wurde, sieht technisch sehr kompliziert aus (siehe Abbildung 4). Nach der ferngesteuerten Bohrung wurde der Sedimentkern mit dem MeBo zurück an Deck der Polarstern gebracht (siehe Abbildung 4).

Abbildung 4 – Der Sedimentkern wurde mit dem Roboterbohrgerät MeBo gebohrt. Vom Forschungsschiff (RV) Polarstern aus wurde es auf den Meeresboden herabgelassen und die Bohrung wurde ferngesteuert. Nach der Bohrung wurde MeBo an Deck gehoben (von links nach rechts). Quelle: Alfred-Wegener-Institut / Thomas Ronge

Viele Hände waren nötig, um den frischen Bohrkern von insgesamt 30 Metern Länge zu analysieren und zu konservieren (Abbildung 5).

Abbildung 5 – Das Nasslabor auf Polarstern voller fleißiger Menschen wie Johann Klages (r.). Erste Blicke werden auf die Sedimente geworfen, bevor sie sorgfältig verpackt werden. Quelle: Alfred-Wegener-Institut / Thomas Ronge

Es ist der erste Sedimentkern, der so weit im Süden gebohrt wurde. Daher trägt er entscheidend dazu bei, die Wissenslücke über die Antarktis in „Deep Time“ zu schließen. Und was erzählt uns der Kern?

Wurzelsystem eines Regenwalds

Abbildung 6 – Line scan (Foto) und CT des Bohrkerns. Quelle: Klages et al., 2020 [1] (verändert)

3 Meter der Sedimente (siehe Abbildung 6 (unterer Teil)) enthalten eine große Vielfalt an Informationen. Zunächst einmal die sehr wichtige Auskunft über die Zeit. Dieser Teil des Bohrkerns ist etwa 90 Millionen Jahre alt – er stammt also aus der Mitte der Kreidezeit (für die Fachleute: Turonian-Santonian).

Er enthält Pollen, Sporen und sogar ein sehr faszinierendes Wurzelsystem, das auf dem CT-Scan des Kerns gut zu sehen ist (Abbildung 6 (rechts) in grün). Diese Wurzeln sind die Überreste eines gemäßigten Tieflandregenwaldes, der ähnlich wie die schöne Zeichnung in Abbildung 7 (auch Teaserbild) ausgesehen haben könnte.

Es wurden über 60 verschiedene Pollen- und Sporentaxa gefunden, die ein sehr komplexes Ökosystem zeigen. Viele Taxa gehören zu Nadelbäumen und Farnen. Zusammen mit den Farnen könnten im Unterholz des Waldes blühende Sträucher gewachsen sein. Andere Taxa deuten darauf hin, dass Süßwasserkörper (z. B. Seen oder Flüsse) der Lebensraum von Cyanobakterienmatten waren.

Abbildung 7 – Eine Zeichnung, die auf Vegetations- und Klimarekonstruktionen anhand des Sedimentkerns und anderer Proxydaten beruht. Ein gemäßigter Regenwald mit hohen Nadelbäumen, Farnen, blühenden Sträuchern und Seen. Quelle: Alfred-Wegener-Institut / James McKay

Nur 900 km vom Paläo-Südpol entfernt ist also ein Regenwald gewachsen. Man stelle sich einen Regenwald vor, der wegen der Polarnacht über vier Monate im Dunkeln liegt. Das ist wirklich eine aufregende Nachricht!
Heutzutage sind gemäßigte Regenwälder so weit im Süden nicht zu finden ( dort ist überall Eis). Solche Regenwälder findet man heute in Kanada [3] oder Chile [4]. Natürlich ist dies immer noch ein gemäßigter Regenwald und nicht vergleichbar mit tropischen Regenwäldern wie dem Amazonas. Aber er unterscheidet sich doch sehr von dem eisigen Gesicht, das uns die Antarktis heute zeigt.

Konnte dort überhaupt Eis exitieren?

Um Eis wachsen zu lassen, braucht man Temperaturen unter 0 °C und Niederschlag. Um ein Eisschild über Jahre hinweg aufrechtzuerhalten, braucht man selbst im Sommer Temperaturen um 0 °C als Maximum.

Werfen wir einen Blick auf das rekonstruierte Klima des Kerns:

  • Niederschlag: 1.120 mm pro Jahr (das ist eine ganze Menge)
  • Jährliche Durchschnittstemperatur: 13°C (sehr warm)
  • Wärmster Sommermonat: 18,5°C (definitiv zu heiß)

Es hätte also genug Niederschlag gegeben, aber es war zu warm, um an diesem Ort Eis wachsen zu lassen.

Aber diese Daten sind nur punktuell und befinden sich in der Westantarktis. West und Ost können in der Antarktis sehr unterschiedlich sein. Wir brauchen ein breiteres Bild! Wechseln wir nun vom Experiment zur Theorie, nämlich zum Klimamodell COSMOS. Das Modell lief mit verschiedenen CO2-Werten, was eine der empfindlichsten Einstellungen in einem Klimamodell ist. Die beste Übereinstimmung mit dem Bohrkern konnte mit einem CO2-Wert von über 1100 Teilchen pro Million und Volumen (ppmv) erzielt werden, während die rekonstruierte CO2-Konzentration bei 1000 ppmv liegt. Es sind also hohe CO2-Werte (heute etwa 419 ppm [5]) und eine dichte Vegetation erforderlich, um ein Klima zu simulieren, das einen gemäßigten Regenwald so weit im Süden ermöglicht. Unter diesen Modellbedingungen wäre auch die Ostantarktis zu warm gewesen, um Eis zu bilden. Oder andersherum: Hätte es erhebliche Eismassen gegeben, hätte dieser Regenwald kaum existieren können.

Ein neues Gesicht der Antarktis

Abbildung 8 – Gesichter der Antarktis: Das coole, eisige Gesicht von heute (links) und das schöne, heiße Regenwaldgesicht aus der Kreidezeit (rechts). Quellen: Angepasst von Pixabay (links), Alfred-Wegener-Institut / James McKay (right)

Zusammenfassend geht diese Studie von einer weitgehend eisfreien Antarktis in der mittleren Kreidezeit aus, in der es stattdessen einen gemäßigten Regenwald gab. Was für ein Unterschied zu dem weißen Kontinent, den wir heute kennen! Wir haben also heute ein neues Gesicht der Antarktis kennen gelernt. Gibt es noch mehr Gesichter, die wir kennen lernen können? Wir werden sehen…

Abbildung 9 – Mal sehen, wohin uns der Sedimentkern der PS104 Expedition beim nächsten Mal führen wird… Quelle: Alfred-Wegener-Institut / Thomas Ronge

Quellen

[1] Klages, J.P., Salzmann, U., Bickert, T. et al. Temperate rainforests near the South Pole during peak Cretaceous warmth. Nature 580, 81–86 (2020). https://doi.org/10.1038/s41586-020-2148-5

[2] https://www.nature.com/articles/s41586-020-2148-5#MOESM2 (accessed 08.08.2023)

[3] https://www2.gov.bc.ca/gov/content/environment/natural-resource-stewardship/cumulative-effects-framework/regional-assessments/west-coast (accessed 09.08.2023)

[4] https://dopa-explorer.jrc.ec.europa.eu/ecoregion/60404 (accessed 09.08.2023)

[5] https://gml.noaa.gov/ccgg/trends/global.html (accessed 09.08.2023)