Über Eisbohrkerne Teil III

von Hanna Sophie Knahl

Eiskerne bewahren Geschichten aus der Vergangenheit. Diese wollen wir nun mit anderen Geschichtsbüchern in Verbindung bringen können. Illustration: Hanna Knahl

Wir haben nun schon viel über Eisbohrkerne erfahren. Wir wissen, wo wir sie finden, wie wir sie bohren und wie wir ihnen Informationen über das vergangene Klima entlocken können. ABER eine wichtige Information fehlt uns noch. Der Zeitstempel. Wie bestimmen wir, aus welcher Zeit das Eis stammt, das wir mit unseren Handschuhen halten? Wir werden sehen, auch für die Verschlüsselung dieses Geheimnisses benutzt das Eis besondere Sprachen.

Dies ist der letzte Artikel der Reihe „Über Eisbohrkerne“. Hier geht es zu Teil I und Teil II.

Die wichtige Information: Die Zeitstempel

Mit den Geschichten aus den Eisbohrkernen allein ohne Bezugspunkte in der Zeit können wir nur bedingt viel anfangen. Geschichtsbücher verschiedener Kulturen, wie die der europäischen oder der japanischen, sind in Epochen aufgeteilt. Auch die Geschichte der Erde wird in verschiedene geologische Zeitalter eingeteilt. Den verschiedenen Informationen, wie den Kulturen bzw. den Zuständen der Erde, werden Zeitstempel zugeordnet. Um die Geschichten aus unseren Eiskernen mit diesen anderen Informationen aus der Vergangenheit in Verbindung bringen zu können, müssen wir die Zeitstempel in den Eiskernen finden. Wenn wir die Zeitstempel ausfindig gemacht haben, können wir beispielsweise auch in einem Biologie-Buch nachschlagen, welche Tiere zu der entsprechenden Zeit gelebt haben.

Zur Bestimmung des Alters der Eisschichten gibt es verschiedene Techniken.

Auf Spurensuche nach vulkanischen Fingerabdrücken

Gute Anhaltspunkte für das Alter liefern Vulkanausbrüche. Bei einem Vulkanausbruch werden oft riesige Mengen an Asche in die Luft geschleudert. Wie diese Asche zusammengesetzt ist, hängt vom Vulkan ab. Jeder Vulkan hat seinen eigenen chemischen Fingerabdruck. In Form von Asche wird dieser Fingerabdruck im Eis hinterlassen. Wie die Asche ins Eis kommt?

Eruption des Grímsvötn (Island) am 19. Dezember 1998 – zweiter Tag der Eruption, Bild: Freysteinn Sigmundsson, Nordic Volcanological Centre, Institute of Earth Sciences, University of Iceland

Die Asche kann hunderte, manchmal sogar tausende Kilometer weit durch die Luft transportiert werden. Irgendwann sinkt sie zu Boden oder wird durch Schnee und Regen aus der Luft gewaschen und verteilt sich dann auch auf dem Eisschild. Zusammen mit dem Schnee bildet sich mit den Jahren eine Eisschicht, in der die Asche miteingefroren wird. Manchmal ist sie sogar als dunklere Schicht mit bloßem Auge im Eiskern zu sehen (wie im Bild unten). Wenn nicht, müssen wir wieder zu einem Übersetzungstool greifen. In diesem Fall heißt das, das Eis muss geschmolzen werden. Natürlich nur ein kleiner Teil, sonst ist ja gleich bei einer einzigen Messung unser Bohrkern futsch! Im Wasser werden dann die Spurenstoffe gemessen. Wir suchen nach Schwefel- und Staubteilchen, den Fingerabdrücken der Vulkane. Konnten wir einen Vulkan identifizieren, schauen wir in den Geschichtsbüchern der Menschen nach, wann dieser Vulkan ausgebrochen ist. Diese Daten sind oft präzise dokumentiert, da Vulkane schon immer eine Gefahr für Menschen darstellten, aber auch eine gewisse Faszination weckten.

Gute gemacht, mit den vulkanischen Fingerabdrücken haben wir die ersten Zeitstempel gefunden!

Staubschichten in einem Eisbohrkern. Foto: Sepp Kipfstuhl

Schritt für Schritt tiefer in die Vergangenheit

Nun haben wir also zu einigen Schichten den exakten Entstehungszeitpunkt festgestellt, aber was machen wir mit den Schichten dazwischen? Zählen! Kein Witz, im Eis gibt es Jahresschichten, ähnlich wie die Jahresringe von Bäumen. Dazu erinnern wir uns nochmal daran, dass im Eis die Temperatur abgelesen werden kann. Wenn der Schnee gefallen ist als es kalt war, enthält die Schicht wenig schweren Sauerstoff. Wenn es aber warm war, enthält sie mehr schweren Sauerstoff. Das gilt für Warm- und Kaltzeiten genauso wie für Sommer und Winter. Die Abfolge von zwei dünnen Schichten mit einmal wenig und einmal viel schwerem Sauerstoff stellt also ein Jahr dar und so können wir Jahr für Jahr zurückzählen. So können wir viele Zeitstempel für die Schichten zwischen den Vulkanschichten bestimmen!

Der eisige Schatz ist entschlüsselt!

Geschafft! Wir haben nun große Schritte zur Entschlüsselung des Geheimnisses des Eises gemeistert.

Foto: Sepp Kipfstuhl

Wir haben den Eingang zur riesigen Eisbibliothek gefunden und schon viele Sprachen der eisigen Bücher entschlüsselt. Wir verstehen nun, was uns die kleinen Luftbläschen über die Atmosphäre der Vergangenheit mitteilen können. Dem Eis entlocken wir die vergangene Temperatur – ganz ohne Thermometer. Damit erfahren wir etwas über das Klima und können Jahresschichten zählen. Auch Vulkane haben ihren Fingerabdruck auf einigen Seiten des eisigen Buchs hinterlassen. Sie helfen uns die Zeitstempel zu finden. Und wir können gespannt sein, welche Geheimschriften noch im Eis schlummern und welche Wege wir in Zukunft finden, um sie zu entschlüsseln!


Du möchtest diese Sprachen auch erlernen?

Im englischen Masterstudiengang Environmental Physics (Deutsch: Umweltphysik) am Fachbereich 1 der Uni Bremen lernst du die verschiedenen Grundlagen unseres Klimasystems (Atmosphäre, Ozean, Land, Eis) vor allem aus physikalischer, aber auch aus chemischer und mathematischer Sicht kennen. Auch in diesem Studiengang gibt es eine Exkursion auf einen Alpengletscher sowie ein Modul zum Thema Paläoklima (Vergangenheit der Klimageschichte), in dem Eisbohrkerne und vieles mehr behandelt werden. Für die Masterarbeit in der du die Sprachen anwenden kannst, würde sich die Arbeitsgruppe Glaziologie am Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven anbieten. So haben es jedenfalls zwei Studentinnen gemacht, die bei diesem Artikel mitgeholfen haben. Danke an dieser Stelle dafür! 🙂


Gedanken zum Abschluss

Klimaaktivist*innen und Umweltphysikstudent*innen der Uni Bremen nahmen letztes Jahr an der Gletscherexkursion zum Fernagtferner in den Alpen teil und fanden einen Gletscher vor, der schon seit vielen Jahren, gar Jahrzehnten stark abschmilzt. Der Weg der Exkursionsteilnehmer*innen von der Hütte bis zur Gletscherkante wird fast jedes Jahr länger. Sie finden immer einen wunderschönen, faszinierenden und gewandelten Bewahrer von Informationen über die Vergangenheit vor. Doch bei der aktuell abzusehenden Klimaerwärmung wird er wohl nicht erhalten bleiben.

Klimaaktivist*innen der Students for Future Bremen nahmen dieses Banner mit auf den Fernagtferner in Österreich, um diese Botschaft festzuhalten: „There is no planet B“. Foto: Christian Haas

Kommentar der Autorin:

„Diesen Gletscher gibt es nur ein einziges Mal, genauso wie es diesen Planten nur einmal gibt. There is no plante B! Er ist unsere Lebensgrundlage und es wert, ihn zu bewahren!“


Quellen/Weiterführende Links

Die Artikel-Reihe „Über Eisbohrkerne“ basiert auf dem Podcast-Adventskalender „Eis hoch 24“ aus dem Jahr 2020.

Youtube: https://www.youtube.com/channel/UC8ZphUO3AC8Xbt4SwXd589A

Die Themen dieses Artikels werden ausführlicher insbesondere in Folge 7 (historische Vulkanausbrüche), Folge 8 (Ascheschichten), Folge 9 (Vulkanforschung) & Folge 10 (Datierung) behandelt.

Datierung

http://www.si-journal.de/index2.php?artikel=jg20/heft2/sij202-3.html

http://pastglobalchanges.org/download/docs/magazine/2014-1/PAGESmagazine_2014(1)_26-27_Rasmussen_et_al.pdf