Die Struktur des Bachelorstudiengangs “Public Health” an der Universität Bremen bietet Studierenden die Möglichkeit, das obligatorische Vertiefungspraktikum im Ausland zu absolvieren, weshalb ich im 5. Fachsemester an einer Schule für Menschen mit besonderen Bildungsbedürfnissen in Chile tätig war. Im Rahmen dieses 16- wöchigen Auslandsaufenthalts hatte ich das Glück, durch das PROMOS Stipendium unterstützt zu werden.

Die Idee, ein Praktikum im Ausland zu absolvieren reizte mich seit Beginn des Studiums, da ich bereits auf wertvolle und nachhaltige Auslandserfahrungen während meiner Ausbildung zur Erzieherin zurückgreifen kann.

Das Praktikumsland habe ich bewusst und aufgrund meiner Studienschwerpunkte ausgewählt. In Deutschland bin ich bereits beruflich in der Arbeit mit adipösen Kindern und Jugendlichen tätig, weshalb sich mein Interesse darin bekundete, das Gesundheits- und Bildungssystem eines Landes kennenzulernen welches sich aus statistischer Sicht ebenfalls mit Adipositas und seinen Komorbiditäten konfrontiert sieht.

Durch Eigenrecherche fand ich heraus, dass es in Chile in den vergangenen Jahren einen stetigen Zuwachs an übergewichtigen Menschen und Diabetes Typ2 gab, Prognose weiter steigend. Diese Informationen regten mein Interesse an, da ich bis zu diesem Zeitpunkt weitestgehend uninformiert über das Gesundheitssystem und die Lebensmittelindustrie in Chile war. Außerdem konnte ich den Fakt der steigenden Prognose von Übergewicht bis dahin nicht mit meinem bisherigem Wissen über das Vorkommen vereinen. Das Ziel dieses Praktikums sollte es daher sein, herauszufinden, welche Gründe das Wachstum von Adipositas in einem Teil Südamerikas zu verzeichnen hat.

Die Entscheidung des Praktikumsgebers traf ich rückblickend weitestgehend unüberlegt und übereilt. Da ich allerdings auf finanzielle Fördermittel in Form von Stipendien und Auslandsbafög angewiesen war, hatte ich diverse Bewerbungsfristen einzuhalten, um den Anspruch auf Förderung nicht zu verlieren. Aufgrund anfänglicher Unwissenheit über die Bewerbungsfristen von PROMOS und die Bearbeitungsdauer von BAföG kam ich überraschend in Zeitnot und entschied mich daher für den ersten Praktikumsvorschlag der Vermittlungsagentur. Angehenden PraktikatInnen mit außereuropäischem Vorhaben empfehle ich daher, sich bereits ein Jahr vor geplanter Ausreise über finanzielle Unterstützungsmöglichkeiten zu erkundigen.

Auf die Vermittlungsagentur bin ich durch Recherche im Internet aufmerksam geworden und kann sie auch wärmstens weiterempfehlen. Bereits beim ersten Besuch der Internetpräsenz gewann ich ein vertrauensvolles Gefühl, welches sich auch langfristig bestätigte. Meine Kriterien bei der Suche nach einer Vermittlungsagentur richteten sich aufgrund meines Budgets vor allem nach der Höhe der Vermittlungsgebühr. Allerdings war es mir ebenso wichtig, bei Problemen vor Ort Unterstützung zu erhalten, weshalb das engagierte deutsch-chilenische Paar die perfekte Anlaufstation für mich war. Jegliche Anfragen meinerseits wurden zeitnah bearbeitet, sodass ich auch bei dringlichen Dokumenten mit schnellster Bearbeitung rechnen konnte. Die allgemeine Organisation von Praktikumsstelle, Unterkunft und weiteren organisatorischen Belangen im Gastlandgestalteten sich für mich glücklicherweise absolut aufwandsarm, da ich nur auf Angebote und Fragen seitens der Agentur reagieren musste.

Zwischen unserem Erstkontakt und der tatsächlichen Erledigung aller bürokratischer Organisation mit dem Gastland lagen nur 3 Monate, was sicher auch mit den beschriebenen Stipendienfristen erklärbar ist. Dennoch spiegelt es die Zuverlässigkeit der Agentur wieder. Auch die Organisation der Unterbringung verlief reibungslos. Nachdem ich mich über den Praktikumsort Curanilahue informiert hatte, entschied ich mich alsbald für das Wohnen in einer Gastfamilie. Meine Kommilitonin und Freundin Hanna hatte das Glück, ebenfalls eine Praktikumsstelle, als auch ein Zimmer bei der gleichen Gastfamilie zu erhalten, sodass wir im September 2018 gemeinsam nach Curanilahue aufbrachen.

Für mich stellte sich jedoch ziemlich schnell heraus, dass meine Vorstellungen vom Leben in einer Gastfamilie andere waren, als sie der Realität entsprachen. Wir lebten in einem 3- Generationen- Haushalt, weshalb es eigentlich immer Ansprechpartner und Trubel gab. Gemeinsame Aktivitäten an Wochenenden, wie ich sie mir im Vorfeld erhofft hatte, um das authentische Leben der Einheimischen kennenzulernen, fanden aber leider nicht statt. Allerdings reihten sich innerhalb der Familie während unseres Aufenthalts einige Unglücksfälle aneinander, die vielleicht mit dazu beitrugen, dass wir eher neben, als mit der Familie zusammenlebten. Zudem klärten uns ArbeitskollegInnen während der Praktikumszeit darüber auf, dass unsere Mietkosten bei der Gastfamilie mit umgerechnet 300 Euro pro Monat verhältnismäßig teuer waren.

Die Wochenenden nutzte ich in der Regel dazu, das Naturschauspiel der Bio-Bio Region zu entdecken. Die Überbrückung von Entfernungen in Chile sollte in diesem Zusammenhang auf jeden Fall Beachtung finden. Das Dorf Curanilahue liegt beispielsweise in einem Tal in der Bio-Bio Region und ist dadurch ziemlich isoliert. Mit den öffentlichen Bussen kann es daher passieren, dass man für knapp 200 Km mal schnell mehr als 5 Stunden unterwegs ist. Chiles Hauptstadt Santiago ist in ungefähr acht Busstunden problemlos erreichbar. Im Allgemeinen besteht das Transportnetzwerk in Chile fast ausschließlich aus einem gut funktionierendem Bussystem. Im Vergleich zum Fernbussystem in Deutschland ist der Komfort in Chile sichtlich gehobener, die Fahrtzeiten aufgrund der Länge des Landes jedoch deutlich höher.

Die Aufenthaltserlaubnis (tarjeta de Turismo) in Chile ist 90 Tage gültig. Diese erhält man automatisch bei der Einreise in das Land. Nach Ablauf der Frist ist es verpflichtend ein Visum bei der Ausländerbehörde zu beantragen, um bei der Rückreise keine finanziellen Probleme zu erhalten. Dieses kostet umgerechnet knapp 50 Euro. Es ist jedoch auch möglich für einen Wochenendausflug die Grenze nach Argentinien zu passieren, um sich einen neuen Stempel für weitere 90 Tage in den Reisepass eintragen zu lassen. In meinem Fall hat die kurze Ausreise problemlos funktioniert und es gab weder bei der Ausnoch Einreise Fragen oder Schwierigkeiten seitens der Grenzbehörde.

Bereits vor meiner Ausreise holte ich mir Informationen über Chiles Sicherheit ein. Im Allgemeinen kann ich den Informationsportalen des Internets zustimmen, dass es problemlos möglich ist, allein das Land zu erkunden. Vor allem in Regionen, die touristenreich sind, hatte ich nie Unbehagen. Wichtig ist in jedem Fall seinen Reisepass immer griffbereit zu haben.

Der Praktikumsort selbst jedoch glänzte weniger mit überragender Sicherheit. Aus dem städtischen Analysebericht aus dem Jahr 2018 geht hervor, dass Curanilahue (ca. 30000 EinwohnerInnen) geprägt wird von zunehmender Kriminalität, Drogenhandel undProstitution. Diese Fakten werden vor allem durch eine hohe Rate an Arbeitslosigkeit und dadurch resultierendem Mangel an Perspektiven vor Ort spürbar.

Für chilenische Verhältnisse lebt eine Vielzahl von Menschen in Curanilahue in prekären Lebenssituationen, was besonders in meinem Praktikum deutlich wurde. Mein Praktikum absolvierte ich an der Escuela Diferencial mit täglichen Arbeitszeiten von 8:30 Uhr – 16:30 Uhr. Seit 1984 beschult sie Menschen mit Behinderungen und besonderen Lernbedürfnissen in einer Altersspanne von 2 -25 Jahren. Während meines Praktikums betreute und beschulte die Einrichtung circa 60 SchülerInnen mit verschiedenen kognitiven und körperlichen Beeinträchtigungen.

Aufgrund der örtlichen Rahmenbedingungen, als auch den physischen und psychischen Einschränkungen der SchülerInnen, besitzt die Schule allerdings keinen primären Bildungsauftrag, sondern übernimmt die Funktion, die einzelnen Schülerinnen entsprechend ihrer kognitiven Möglichkeiten in ihrer Entwicklung von Autonomie zu unterstützen. Das Ziel ist es hierbei, die SchülerInnen zu kompetenten Persönlichkeiten heranwachsen zu lassen, um eine langfristige Integration in den Arbeitsmarkt zu begünstigen.

Hierfür werden verschiedene, zum Teil altersbedingte Projekte zur Verselbstständigung in den schulischen Räumlichkeiten angeboten. Während beispielsweise der öffentliche Computer- und Musikraum allen Altersgruppen zugänglich ist, werden in der Holz- als auch Nähwerkstatt ausschließlich die bevorstehenden Schulabgänger in ihren manuellen Fertigkeiten beschult. Im Idealfall besitzen alle SchülerInnen nach Beendigung ihrer Schullaufbahn (25 Jahre) die Fertigkeiten des Lesens und Schreibens, als auch Grundkenntnisse in der Alltagsmathematik, gewährleistet werden kann dies allerdings nicht.

Ich war mir lange meiner Aufgaben nicht im Klaren, was mich anfangs sehr frustrierte, da ich mich unnütz fühlte. Die Schule war leider auch unerfahren mit PraktikantInnen, weshalb viel Motivation und Eigeninitiative gefragt war. Nach den ersten Wochen des Beobachtens habe ich jedoch die Zusammenarbeit mit dem schulinternen Kinesiologen für mich entdeckt und anschließend vor allem Bewegungsangebote angeboten und Projekte im Bereich Lebensmittelaufklärung durchgeführt.

Die größte Herausforderung hierbei war allerdings die Sprache, denn die Chilenen sprechen in ihrem ganz eigenem Rhythmus. Nämlich ziemlich schnell und verwaschen, weshalb zu Beginn wirklich viel Kommunikation auf Interpretationsbasis stattfand. Allerdings definieren sich ChilenInnen besonders über Herzlichkeit, weshalb die sprachliche Barriere rasch überbrückt werden konnte. Außerdem entwickelte sich dadurch eine große Handlungskompetenz meinerseits, da einige Situationen nicht verbal zu lösen waren und ich mir dementsprechend neue Lösungswege überlegen musste.

Während meiner Zeit in Chile musste ich vor allem an meiner Toleranz und Offenheit arbeiten. Meine Ausgangsfrage konnte ich während des Praktikums ebenso beantworten, habe meine Perspektive jedoch geändert, denn Gastfreundlichkeit in Chile definiert sich sehr über „Essensangebote“. Besonders das chilenische Körperideal unterscheidet sich deutlich von der deutschen Denkweise, weshalb beleibte Frauen noch immer Wohlstand ausstrahlen.

Nachdem ich jedoch innerhalb der chilenischen Supermarktketten dem Monopolist der Lebensmittelindustrie Südamerikas auf die Spur gekommen bin, wird sich meine Bachelor Arbeit unter anderen Gesichtspunkten sicher weiter mit dem Vorkommen von Diabetes II in Chile auseinandersetzen.Ich danke PROMOS für die finanzielle Unterstützung, denn dieses Stipendium hat mit zur Ermöglichung des Auslandsaufenthaltes beigetragen. Das Praktikum selbst bringt zwar vorerst keine beruflichen Möglichkeiten mit sich, auf die ich in Deutschland zurückgreifen könnte, hat mich aber besonders an meinen persönlichen Schlüsselkompetenzen arbeiten lassen.