Motivation und Vorbereitung
Da ich an der Universität Bremen English-Speaking Cultures und Frankoromanistik für das gymnasiale Lehramt studiere, sind zwei Auslandssemester im Bachelor obligatorisch für mich. Mein Semester für Französisch habe ich 2016 im Rahmen des Erasmus Programms in Paris verbracht und sehr genossen, weshalb ich mich auf das neue Abenteuer in England sehr freute. Da ich bereits im Ausland studiert habe, wollte ich nun eine neue Erfahrung in Form eines Praktikums machen, um so nicht nur meine Sprachkenntnisse zu verbessern, sondern mich gleichzeitig im Hinblick auf meinen späteren Beruf weiterzuentwickeln. Ich fertigte eine Liste mehrerer Schulen in verschiedenen Städten an, darunter Nottingham, Bristol, Liverpool, Brighton und Norwich. Mein Bewerbungsschreiben passte ich an die jeweiligen Schulen an. Schnell meldeten sich die ersten Interessenten: zwei Schulen in Norwich und eine in Bristol boten mir einen Praktikumsplatz an und ich freute mich sehr darüber. Erstere ist eine überschaubare Stadt mit knapp 200.000 Einwohnern, 200 Kilometer südöstlich von London gelegen. Aufgrund des überaus herzlichen und ausführlichen E-Mail Kontakts mit verschiedenen Personen an der Ormiston Victory Academy (OVA) in Costessey, Norwich, entschied ich mich für diese Schule und bereute es keine Sekunde.

Die Vorbereitung auf das Praktikum gestaltete sich sehr einfach. Ich bewarb mich um ein Erasmus-Stipendium, welches mir schnell zugesagt wurde und schickte der Schule auf Anfrage ein polizeiliches Führungszeugnis zu. Meinen Flug buchte ich über RyanAir von Bremen nach London, von wo aus ich mit einer günstigen Reisebuslinie (Megabus) den weiteren Weg nach Norwich antrat.

Unterkunft und Praktikum
Glücklicherweise half mir die Schule eine Unterkunft zu finden, sodass ich recht schnell wusste, ich werde während meines 15-wöchigen Aufenthaltes bei einer jungen Lehrerin der Academy wohnen. In dem sehr fairen Mietpreis von 400 Pfund pro Monat für ein privates Zimmer inklusive Badezimmer, waren auβerdem der Transport zur- und von der Schule und alle Malzeiten des Tages inkludiert. Die OVA liegt etwas auβerhalb Norwichs, wo auch meine Gastgeberin zusammen mit ihrem Partner und zwei Hunden in einem Reihenhaus lebt. Die Gegend ist sehr ruhig und familiär und zur Schule sind es nur 10 Minuten mit dem Auto. An meinem Ankunftstag wurde ich von meiner Gastgeberin abgeholt und super nett aufgenommen. Ich fühlte mich von Anfang an wohl und fand es sehr schön, abends gemeinsam mit den beiden zu essen und sich über den Tag auszutauschen.

Am Tag nach meiner Ankunft ging es um 7:30 Uhr los in die Schule. Dort wurde ich sofort herzlich empfangen und lernte das junge, dynamische Team des Modern Foreign Languages Departments kennen, in dem ich für die nächsten Monate arbeiten sollte. Der erste Tag war ein Teacher Training Day, also ein Tag an dem lediglich das Personal in der Schule ist und das kommende Schuljahr bespricht. So hatte ich einen ganzen Tag Zeit, um das Team kennenzulernen und die Schule zu erkunden, ohne dass die knapp 1.000 Schülerinnen und Schüler anwesend waren. Außerdem erstellte ich mit meiner Mentorin meinen Stundenplan, der zur einen Hälfte aus Französisch- und zur anderen aus Deutschunterricht bestand.

In Großbritannien sind die Stufen in Yeargroups eingeteilt. Die weiterführenden Schulen starten mit Year 7, zu welchem Zeitpunkt sich die SuS im Alter von 11-12 Jahren befinden.

Year 11 ist das Abschlussjahr, in diesem Jahr dreht sich alles um die Vorbereitungen auf die GSCE-Prüfungen. Wahlweise können die Jugendlichen dann noch auf ein College gehen, um dort ihre A-Levels zu absolvieren (Äquivalent zu den Abiturprüfungen in Deutschland). Während meines Praktikums hatte ich das Privileg, den Unterricht von Year 7-11 zu begleiten, unterschiedliche Lehrkräfte zu unterstützen und deren Unterrichtsmethoden kennenzulernen. Bereits von Beginn an bemerkte ich einige Unterschiede zum Deutschen Schulsystem, angefangen mit dem offensichtlichsten: die Schuluniform. An der OVA tragen alle Schülerinnen und Schüler Bluse, Blazer, Krawatte und Stoffhose bzw. Rock. Auch das Kollegium hat einen smarten Dresscode zu befolgen, weshalb beispielsweise Jeansstoff oder Sneaker nicht erlaubt sind. Zudem gibt es bezüglich des Curriculums Differenzen, da Fremdsprachen keine Pflicht an englischen Schulen sind. Es müssen Englisch, Mathematik, Naturwissenschaft und Physical Education (Sport) belegt werden. Weiterhin müssen vier Fächer aus verschiedenen Bereichen gewählt werden, wie beispielsweise Business, Geography, Hair and Beauty, Modern Foreign Languages, Child Care, Performing Arts und Life Skills. Diese Fächer sind allerdings nicht festgelegt, sodass man problemlos seine Schulzeit ohne eine Fremdsprache zu lernen absolvieren kann. Dies finde ich sehr schade, denn meiner Meinung nach sind Fremdsprachen eine enorme Bereicherung und ich habe bereits viele Briten kennengelernt, die sich über diesen Zustand beschwert haben. Was mir positiv aufgefallen ist, ist die Modernität der Schule. Der gesamte Unterricht verläuft über PowerPoint, gelegentlich ergänzt von Textbuchaufgaben und es gibt in jedem Klassenraum einen Computer. Das Kollegium ist außerdem sehr jung, weshalb die Aufgaben oft alltagsnah sind und die Schüler interessieren.

Der Schultag beginnt um 8:25 Uhr mit dem Briefing: alle Lehrkräfte versammeln sich in einem Hörsaal und es werden für zehn Minuten aktuell anstehende Themen Rund um die Schule besprochen. Der Schultag für die Schüler beginnt um 8:40 Uhr mit dem sogenannten „form“- Unterricht. Dort werden außerunterrichtlich relevante Aspekte wie British Values gelehrt. Der reguläre Unterricht geht von 9 bis 14:45 Uhr und beinhaltet insgesamt fünf Schulstunden. Zwischendurch gibt es eine 15-minütige Pause und eine 30-minütige Mittagspause. Einige Kurse für die höheren Yeargroups werden auch in der sechsten Stunde angeboten, sodass der Unterricht um 15:45 Uhr aufhört. Viele Lehrkräfte bleiben lange darüber hinaus in der Schule und bereiten beispielsweise weitere Unterrichtsstunden vor, weshalb man oft 9-10 Stunden des Tages dort verbringt.

Zu meinen Aufgaben als Fremdsprachenassistentin gehörte hauptsächlich die mündliche Kommunikation mit den Schülerinnen und Schülern in den jeweiligen Sprachen. Ich durfte sowohl die allerersten Sprachanfäge der Kinder in Französisch und Deutsch in Year 7 begleiten, als auch bei der intensiven Prüfungsvorbereitung auf die GSCE-Abschlussprüfungen in Year 11 helfen, was viel Abwechslung bot. Auch in den übrigen Jahrgängen arbeitete ich mit einzelnen Personen oder kleinen Gruppen außerhalb des Klassenraums, wobei sich die Kommunikation stets um das im Unterricht behandelte Thema drehte. Diese Arbeit ging von geskripteten GSCE-Fragen bis zur freien Konversation über Freunde, Familie und Alltag. Zudem bereitete ich einige Spiele zu den verschiedenen Themen vor, sodass ich besipielsweise mit den 7. Klässlern ein „Ich packe meinen Koffer und nehme mit“-Spiel auf Französisch gespielt habe. Zu meinen Aufgaben gehörte es auβerdem, insbesondere leistungsschwächere Schülerinnen und Schüler auf anstehende Prüfungen vorzubereiten und diese auch mit ihnen durchzuführen. So durfte ich mündliche Prüfungen in Year 7 Französisch und Year 10 Deutsch durchführen. Auβerdem besprach und korrigierte ich Hausaufgaben, half im Unterricht mit und betreute einige Detentions. Auch durfte ich eine Schülerin aus Year 11 in Französisch unterrichten und sie hinsichtlich des Sprechens und der Grammatik auf ihre Abschlussprüfung vobereiten. Das selbstbewusste Auftreten vor einer Schulklasse konnte ich in den Starter-Activities zu Beginn des Unterrichts üben, die ich einige Male in verschiedenen Klassen leitete. Des Weiteren hielt ich Präsentationen über Deutsche Musik & Kultur, was bei den Kindern sehr gut ankam. Schlieβlich wurden mir einige organisatorische Tätigkeiten zugeschrieben, wie beispielsweise das Vorbereiten und Ausführen verschiedener Sprachspiele für den „Open Evening“ (Informationsabend für Grundschulkinder und deren Eltern über das Angebot an weiterführenden Schulen).

Das Leben in Norwich
Trotz seiner überschaubaren Gröβe hat Norwich alles zu bieten, was man braucht. Die Innenstadt ist klein, aber sehr schön, mit gleich zwei Kathedralen. Eine Besonderheit sind auβerdem die vielen mittelalterlichen Gebäude, die man überall bestaunen kann. Es gibt zahlreiche kleine Cafés und gemütliche Pubs, in denen man schöne Stunden mit Freunden verbringen kann. Viele Pubs bieten regelmäβige Quiz- oder Bingo-Nights an, welche ich wärmstens empfehlen kann! Meine liebste Anlaufstelle für typisch britischen afternoon tea ist „Biddy’s Team Room“ – dort gibt es ausgezeichneten Kuchen, Scones und Sandwiches und eine gigantische Auswahl an Teesorten. Während meiner Zeit in England war ich sehr viel mit Freunden im Kino, da der Ticketpreis – egal für welchen Film – nur 5 Pfund pro Person beträgt. Die Busse in Norwich fahren regelmäβig, sind allerdings leider oft verspätet. Ein Returnticket von Costessey in die Innenstadt kostet 4,50 Pfund.

Ein weiterer Vorteil an Norwich ist seine Lage: mit dem Auto ist man innerhalb von 30 Minuten an der Küste, circa 2 Stunden Fahrt in die andere Richtung bringen einen nach London. Um von Norwich nach London zu gelangen, würde ich auf jeden Fall den Megabus empfehlen. Dieser fährt von Norwich’s Stadtmitte über die University of East Anglia direkt nach London ab 3 Pfund pro Ticket. So habe ich mehrmals Tagesausflüge in die Groβstadt unternommen. Einen weiteren Besuch ist definitiv Cambridge wert, die Stadt liegt etwa eine Stunde Zugfahrt von Norwich entfernt und eignet sich perfekt für einen weiteren Tagesausflug.

Fazit
Das Praktikum an der Ormiston Victory Academy war eine enorme Bereicherung für mich, sowohl auf professioneller als auch auf persönlicher Ebene. Ich habe unter Anderem gelernt noch geduldiger zu sein, mündliche Prüfungen zu evaluieren, bestimmte Inhalte verständlich zu erklären und dabei stets freundlich und professionell zu bleiben. Zudem habe ich einen guten Einblick in das britische Schulsystem erhalten, was ich überaus interessant fand. Diese Erfahrung hat mir definitiv gezeigt, dass der Lehrberuf der richtige für mich ist und ich bin froh, mich für ein Erasmus+ Praktikum entschieden zu haben. Ich habe eine sehr schöne Zeit verbracht, viel gelernt, neue Freundschaften geknüpft und werde auf jeden Fall zurückkehren!