Planung/Bewerbung
Mir war schon vor Beginn meines Studiums bewusst, ich müsse ins Ausland gehen. Wenn man Englisch studiert und professionell sprechen möchte, muss man zumindest ein paar Monate im englischsprachigen Ausland leben. Mir war klar, ein ganzes oder sogar mehrere Jahre wie meine Cousinen würde ich nicht bleiben, das kam gar nicht in Frage.

Während mein Studium immer weiter fortschritt und ich mich durch die kompakten, zusammenhängenden Mathematikmodule längerfristig vor dem gefürchteten Auslandsaufenthalt drücken konnte, informierte ich mich sogar über Härtefallanträge angesichts einiger gravierender privater Probleme.

Dennoch suchte ich schon im September letzten Jahres das CareerCenter und namentlich Herrn Thomas Obieglo auf, um meine Möglichkeiten erörtert zu bekommen. Studieren wollte ich keinesfalls – nicht nur, weil das Studieren an sich überhaupt nicht meinen Wünschen und Bedürfnissen entspricht sondern weil ich mir vor allem nicht vorstellen konnte und wollte, einer Mathematik-Vorlesung in englischer Sprache folgen zu müssen. Schnell waren Herr Obieglo und ich daher überein gekommen, ein Praktikum vorzuziehen.

Ich hatte nie einen anderen Beruf als Lehrerin in Erwägung gezogen, Lehrassistenz schien daher interessant. Meine Angst vorm Weggehen bremste jedoch auch dies – eine der Möglichkeiten als Lehrer in Übersee zu arbeiten war über eine Organisation, die einen mindestens 6-monatigen Aufenthalt verlangte. Viel zu viel für mich.

Innerhalb des letzten Jahres hatte sich aber meine Begeisterung fürs Tauchen wieder in mein Bewusstsein geschlichen und ich war gerade drauf und dran meinen Divemaster in Bremen zu machen. Ein kleines Ideenpflänzchen war gesäht: warum nicht als Divemaster oder Tauchlehrer arbeiten? Mir war bereits bewusst, wie viel Einfluss und Vorteile mir das Tauchen lehren für das Mathematik-Unterrichten brachte. Viele unterschiedliche Menschen denen man die physikalischen und mathematischen Zusammenhänge des Tauchens auf aber-viele mögliche Arten erklären kann und muss. Die Kreativität im Beispiele finden und um die Ecke denken hatte mir schon bei vielen anderen didaktischen Herausforderungen geholfen.

Abermals mit der Hilfe von Thomas Obieglo entstanden die ersten Entwürfe und schließlich eine Bewerbung, die den englischen Standards entsprach. Lehrerberichte, die auf die Fähigkeiten von Schülern ausgerichtet sind, fielen mir nie schwer, aber eine A4 Seite darüber zu schreiben, was ich konnte und worin ich besonders gut war, beschäftigte mich über drei Monate. Zurückblickend finde ich diese Herangehensweise jedoch viel besser und selbstbewusstseinsstärkender als die Prozedur deutscher Bewerbungen.

Ich bewarb mich schließlich bei etwa 10 Tauchschulen in ganz England. Für mich kam nur das UK infrage, ich wollte schließlich RP-English lernen, aber es dauerte fast ein weiteres halbes Jahr, bis ich eine Antwort erhielt. Porthkerris Divers aus Cornwall, noch hinter Plymouth und Falmouth, wollten mich und boten gleichzeitig die Bedingungen an, unter denen ich mitarbeiten und gleichzeitig lernen konnte. Was ich nicht bedacht hatte: Wie, um Gottes Willen komme ich nach Porthkerris und wo soll ich dort, am hinter letzten Fleckchen Englands leben?

Anreise
Meine Herausforderung: die nächsten Orte waren je mindestens 10 Minuten von Porthkerris entfernt und 30, wenn man, wie ich für mich vermutete, laufen musste. Porthkerris Divers unterhält außerdem einen großen Campingplatz und ’self-catering accommodations‘, also Wohnungen, die man für viel Geld pro Nacht mieten kann.

Ich habe nie viel vom Zelten gehalten und auch, wenn ich ein paar Nächte auf einer Luftmatratze aushalten könnte, drei Monate und dann auch noch bis in den doch etwas kühleren Oktober hinein, das wäre selbst für den hartgesottensten Camper zu viel. Mein Partner war die Rettung: er hatte ein Auto und schlug vor, einen Caravananhänger zu kaufen. Da mittlerweile nur noch etwas mehr als ein Monat bis zum Abreisedatum übrig war, nahm ich dieses Angebot an und wir kauften den kleinsten Anhänger, den ich je gesehen habe. Zwei Meter breit, 3-irgendwas lang und keine Inneneinrichtung, kein Strom. Egal, wir waren glücklich.

Es folgten Tage des Umbaus und der Planung, Fähren- und Zugpreisvergleiche, Pfund bei der Bank bestellen, Shoppingtouren für eine Campingtoilette, Gasflaschen und -kocher und was sonst noch zum Camperlebensstil dazu gehört. Am 12. Juli morgens um halb vier war der Caravan bereit, voll bepackt, Beef Jerky als Proviant dabei und viel, sehr viel Kaffee. Deutschland, Niederlande, Belgien, Frankreich, in Calais die 14 Uhr Fähre verpassen und zum Glück das Flexi-Ticket gebucht, sodass die nächste Fähre zwei Stunden später die unsere war, und Großbritannien.

Links fahren – Hilfe! Wir gewöhnten uns doch recht schnell daran und fuhren Richtung Westen. Mit einem Caravan kann man leider nur 80 km/h fahren, genug Zeit, die immer grüner werdende Landschaft zu genießen, aber nicht schnell genug, um die restlichen 575 km noch am gleichen Abend zu schaffen. Um 10 Uhr abends hielten wir auf einem Waldparkplatz und fielen todmüde ins frisch gebaute Bett. Morgens um halb 7 fuhren wir weiter, verfuhren uns in den kurvigen Straßen Cornwalls und mussten mitsamt Caravan den steilsten Berg der Gegend, 25% um genau zu sein, erklimmen. Aber endlich, nach genau 24 Stunden pure Fahrzeit begrüßte uns der Strand Porthkerris‘ und eine überglückliche Gruppe Mitarbeiter.

Die Kreidefelsen von Dover

Extrem enge Straßen von Cornwall und eine Übersetzung der Geschwindigkeitsbegrenzungen

Der Strand von Porthkerris, ganz im Hintergrund lässt sich Falmouth erahnen

Unterkunft
Es stehen in Porthkerris mehrere Campingplätze zur Verfügung: Die Shore Area, eine begrünte Fläche direkt am Strand, der Lookout, eine auf halbem Berg gelegene flache Ebene sowie das Campingfield, ehemalige Weizenfelder die nun abgeerntet und dem gemeinen Camper zur Verfügung gestellt wurden und ganz oben auf einem Hügel liegen. Auch ‚Electric Hook Up Pitches‘ stehen zur Verfügung, aber wegen nicht Vorhandenseins elektrischer Leitungen in unserem Caravan entschieden wir uns für die längeren Laufwege, dafür aber die beste Aussicht auf dem Feld und haben es innerhalb der drei Monate selten bereut. Die Toiletten, Duschen und der Arbeitsplatz sind zwar drei Gehminuten und etwa 70° Steigung entfernt, aber der Sonnenaufgang, mit dem man jeden Tag geweckt wird, war all den Muskelkater in den Waden wert.

Der Caravan auf dem Campingfield, das Zuhause für drei Monate

Sonnenaufgang

Praktikum
Porthkerris ist eine über 100 acre große Farm, den Besitzern Jo und Mike gehören außerdem knapp 1 ½ Meilen Strand, zwei große Catamaran-Boote, zehn Pferde, Hühner, Schafe, Ziegen und diverse Vogelarten, darunter zwei Pfaue. Zur Tauchbasis selbst gehört der Shop, quasi das Büro mit Schulungsraum im Dachboden, ein Toilettenblock mit Duschen und Waschmaschine, ein Kompressorraum mit drei Kompressoren zum Flaschen füllen und ein Strandcafé. Betrieben wird das ganze von bis zu neun ständigen Mitarbeitern und fünf weiteren Springern.

Gemeinsamer Ausflug auf der ‚KITTEN‘ um die Red Arrows zu sehen

Meine Jobbeschreibung war umfangreich, DiveMaster Intern zu sein bedeutet bei den Porthkerris, alles mindestens einmal gemacht zu haben. Angefangen mit der Büroarbeit, also Buchungen annehmen und koordinieren, mit Kunden sprechen, kassieren, verkaufen und Bestellungen machen, über Flaschen füllen mit Einweisung in die Funktion eines Kompressors und das Berechnen mit folgendem Abfüllen von Nitrox, also mit Sauerstoff angereichertem Atemgas, bis hin zu dem Bereich, der mich am meisten interessierte und bereicherte: das Unterrichten neuer Tauchschüler.

Zu diesem Zweck arbeiteten die Porthkerris mit dem Betreiber eines Divecenters 30 min weiter südlich zusammen. Ihm unterstand und assistierte ich während meines Aufenthalts. Ohne weiter in die Spezifikationen des Tauchens und nötigen Prozeduren des Unterrichts einzugehen, war dieser Mann eines der Beispiele, wie ich nicht unterrichten möchte. Selbstbeigebrachte Theorie, wenig hinterfragt, keine Rückmeldung nach gemachten Tauchgängen, weder Kritik noch Lob – all das, was ich als Lehrer nicht nur in meinen Fachdidaktikseminaren beigebracht bekam, sondern auch selbst immer anwendete. Und seine Tauchschüler gaben mir Recht, keiner von ihnen fühlte sich wirklich sicher, und nach meiner Einschätzung war auch keiner von ihnen so weit, wie sie hätten sein müssen. Aber wie alteingesessene Lehrer eben oft sind, ließ er sich nicht von neuen Ideen beeindrucken. Schnell ließ ich jegliche Nachfragen und merkte mir, seine Herangehensweisen eher als „So sollte man es nicht tun“ in meinem Gedächtnis abzuspeichern.

Neben ihm gab es jedoch auch noch zwei andere Tauchinstruktoren, denen ich bei ihrer Arbeit zuschauen und behilflich sein durfte, und diese zwei waren doch deutlich professioneller und auch fachdidaktisch kompetent. Nach einigen Stunden des Zuschauens und Einlebens durfte ich große Teile der theoretischen Ausbildung übernehmen. Hinderten mich auch hin und wieder Sprachbarrieren an der kompetenten Übersetzung (wer wüsste auch sofort, was Atemminutenvolumen in Englisch heißt?! respiratory minute volume übrigens), litt mein Unterricht nach Aussage der Schüler und bei-sitzenden Lehrer nicht darunter und mir wurde immer wieder die Aufgabe der theoretischen Vorbereitung übertragen, sei es bei einem Open Water Kurs, dem Advanced oder auch nur bei einem Try Dive, also einem Schnuppertauchkurs. Meine bisherigen Erfahrungen machten sich bezahlt und auch mein Eindruck, mathematisches Verständnis einbringen zu können und zu müssen, bestätigte sich mehrfach.

Da neben mir noch andere DiveMaster ausgebildet wurden und ich durch meine bisherige Ausbildung große Teile schon wusste oder konnte, war es mir außerdem möglich, den anderen hilfreich zur Seite zu stehen und bei Schwierigkeiten mit Vergleichen oder Beispielen dabei zu sein. Meine Englischkenntnisse verbesserten sich täglich und merklich, meine Ausdrucksfähigkeit in professionellen Gesprächen durch den täglichen Kundenumgang, besondere physikalische und professionsbezogene Ausdrücke wurden gefestigt; auch zwischenmenschliche beziehungsbezogene oder emotionale Gespräche hatten einen großen Einfluss auf mein Vokabular.

Leben in Porthkerris, Helston und Umgebung
Dank des Autos meines Freundes konnten wir nicht nur Porthkerris zu Fuß erkunden, sondern auch in das 30 min entfernte Helston fahren. Porthkerris selbst liegt einen fünf-minütigen Fußmarsch durch den Wald entfernt von Porthallow, wo der vom Porthkerris-Staff oft frequentierte Pub ‚The Five Pilchards‘ steht. Aber da es auch dort nicht viel mehr zu sehen gibt als genau diesen Pub, zog es uns an den ersten freien Tagen nach Helston. Helston ist eine Kleinstadt mit einer bezaubernden Einkaufsstraße in der es von selbstständigen Läden und Charity Shops nur so wimmelt. Dank letzterer kommen wir mit mehreren Kilo Kleidung mehr nach Hause. Im weiteren Umfeld Porthkerris‘ verliebten wir uns in zwei Pferde auf der Farm der Bolenowe Animal Sanctuary, wanderten Lizard Point entlang und besuchten die Seal Sanctuary in Gweek.

Eine Robbe aus der Seal Sanctuary und zwei kleine Eindrücke aus Helston

Fazit
Beginnen wir mit dem schlechten: 3 Monate in einem 6m² Caravan zu zweit ist sehr, sehr anstrengend. Die Vorzüge einer Wohnung wurden mir spätestens während eines Besuchs aus der Heimat bewusst, der sich in einer der Accommodations eingemietet hatte: eine innen liegende Toilette, eine Dusche, die nicht nach 8 Minuten aus geht und nach einem weiteren Pfund verlangt sowie eine Heizung. Mir ging der fehlende Platz auf die Nerven, so schön ein Frühstück im Bett auch ist, irgendwann wünscht man sich einen Tisch. Kochen war mit der Gasflasche auch eher ein „Essen heiß machen auf Zeit“, wir wussten nicht, wie lange das Gas noch reicht (kurz vor Ende bekamen wir noch etwas Gas geschenkt, das entspannte etwas).

Und trotz all des Ärgers, der kalten Nächte, des fehlenden Stroms und der unglaublich vielen verschimmelten Sachen in Abwesenheit eines richtigen Kühlschranks: ich würde es immer wieder machen. Mein Vokabular und meine Aussprache wurden immer wieder gelobt und ich hoffe, mein Englisch hat sich nicht nur für Cornische Ohren besser angehört als zu Beginn. Zu quasi jedem Modul aus meinem Englischstudium konnte ich in der Praxis Erfahrungen sammeln – seien es die linguistischen Besonderheiten der Cornischen Sprache oder auch nur die dialektischen Unterschiede der Menschen aus aller Welt. Und auch für die Mathematik hat sich dieser Aufenthalt gelohnt. Viele verschiedene Menschen mit unterschiedlichen Herangehensweisen an Mathe forderten mich heraus, meine Kreativität in Sachen Erklärungsversuchen und Beispielen auszuschöpfen.

Vielleicht muss ich in Zukunft auch Mathematik in Englischer Sprache unterrichten – so wie es aussieht, werden wir nach Cornwall ziehen.