Ich studiere an der Universität Bremen den Zwei-Fächer-Bachelor Kulturwissenschaft und English-Speaking Cultures. Die Entscheidung, ein Auslandspraktikum zu absolvieren, entstand vor allem aus dem Wunsch, meine Kenntnisse aus diesen beiden Studiengängen zu verbinden und dabei sowohl das kulturwissenschaftliche Pflichtpraktikum als auch den obligatorischen Auslandsaufenthalt in einem Englischsprachigen Land abzudecken.

Vorbereitungen und Formelles
Ich begann die Suche nach einem Praktikumsplatz im Herbst 2016 während meines fünften Semesters und beschloss bald, mich dabei auf Großbritannien und Irland zu konzentrieren, um mich für das ERASMUS-Programm bewerben zu können. Die Suche über die üblichen Suchmaschinen für Praktikumsplätze im Internet erwies sich recht schnell als erfolglos: Die ohnehin zahlenmäßig begrenzten und in der Regel unbezahlten Ausschreibungen im Bereich der Kultur- und Kunstvermittlung erwiesen sich in Kombination mit der finanziellen und organisatorischen Herausforderung eines Auslandsaufenthalts als Hürde. Ich beschloss daher, meine Strategie zu ändern und stattdessen Initiativbewerbungen an Organisationen zu schreiben, deren Ausrichtung in mein Interessensfeld passte.

Auf diese Weise stieß ich im Februar 2017 auf die Website der Glasgow Women’s Library, kurz GWL. Die Selbstbeschreibung der Organisation als Bewahrer und Vermittler von Wissen über Frauen(geschichte), der inklusive Ansatz sowie die große Bandbreite an Projekten und Veranstaltungen gefiel mir direkt, obwohl ich ursprünglich nicht gezielt nach feministisch ausgerichteten Organisationen gesucht hatte. Ein entscheidender Impuls bestand für mich auch in der Tatsache, dass auf der Website ausführliche und verständliche Informationen über mögliche Praktika verfügbar waren. Ich nutzte daher das zur Verfügung gestellte Bewerbungsformular, welches meiner Meinung nach sehr sinnvoll ausgebaut war. Es legte einen deutlichen Fokus auf die individuellen Interessen und Stärken der Bewerber*innen, anstatt eine formellere Beurteilung nach Noten oder Lebenslauf vorzunehmen, was ich als angenehme Abwechslung zu den üblichen Bewerbungsverfahren empfand.

Nach Abschicken des Formulars stand ich schnell in Emailkontakt mit den GWL Mitarbeiterinnen und bekam nach einem Skype Interview im März, einen Monat nach der ursprünglichen Bewerbung, den Praktikumsplatz fest zugesagt. Es wurde direkt thematisiert, dass die Stelle unbezahlt sei, allerdings wurde mir eine Erstattung jeglicher Reisekosten innerhalb von Glasgow zugesagt. Für den Zeitraum des Praktikums einigten wir uns auf Juni bis September 2017, was mehr als genug Zeit ließ, sich um die Formalitäten vor der Abreise zu kümmern.
Diese formellen Vorbereitungen bestanden zunächst aus der Bewerbung für das ERASMUS+ Stipendium, die über das International Office der Uni Bremen abgewickelt wurde. Dafür mussten einige Formulare von meinen Betreuungspersonen bei GWL unterschrieben und ausgefüllt werden, was aber recht unkompliziert per Email gelöst wurde. Die Anerkennung des Praktikums in meinen beiden Fachbereichen war durch einen Sprechstundenbesuch bei den zuständigen Dozenten auch schnell geklärt. Die Nachbereitung des Auslandsaufenthalts an der Universität würde vor allem aus dem Einreichen der entsprechenden ERASMUS Dokumente beim International Office, der Auswertung im Rahmen eines Seminars sowie zwei Praktikumsberichten auf jeweils Deutsch bzw. Englisch bestehen.

Die bürokratisch komplizierteste Vorbereitung war der Antrag auf Auslands-BAföG, da dies über das für Aufenthalte in Großbritannien zuständige Amt in Hannover erfolgen musste. Um die Finanzierung fristgerecht zu erhalten, sollte man sich also so früh wie möglich über das für das Zielland zuständige Amt informieren und um einen (zur Not formlosen) Antrag kümmern.

Da ich das Praktikum selbstständig organisiert habe, standen keine universitären Ressourcen in Form von Unterkünften oder lokaler Betreuung außerhalb des Praktikums zur Verfügung. Stattdessen habe ich Anfang April 2017 meinen Flug gebucht und wenige Wochen später nach kurzer Suche auf www.spareroom.co.uk ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft gefunden. Nach einem Skype Gespräch mit der Hauptmieterin habe ich dann nicht nur die Zusage für das Zimmer bekommen, sondern es hat sich letztendlich sogar eine Freundschaft aus diesem Kontakt entwickelt. Generell würde ich empfehlen, verschiedene solcher lokalen Suchmaschinen für Unterkünfte auszuprobieren und eher persönliche, gezielte Anfragen an andere Studenten zu schicken, anstatt massenhaft die gleiche Nachricht an eher anonyme Inserate zu senden.

Ankunft und Alltag in Schottland
Glasgow ist die größte Stadt Schottlands bzw. drittgrößte Stadt in Großbritannien und liegt eine einstündige Zugfahrt von der bei Touristen beliebteren Hauptstadt Edinburgh entfernt. Statt hübschen, verwinkelten Gassen findet man in Glasgow deutlich mehr Industrie, Großstadt-Flair und den unverwechselbaren (für manche unverständlichen) Dialekt der Glaswegians. Nachdem mich der erste Eindruck etwas verunsichert hat, ist mir diese etwas verrückte aber dennoch extrem offene und freundliche Stadt allerdings schnell sehr ans Herz gewachsen. Besonders im kulturellen Bereich ist Glasgow unglaubliche vielfältig und es vergeht kein Tag, an dem keine interessanten Veranstaltungen in den Bereichen Musik, Theater oder Film stattfinden.

Abseits der belebten Innenstadt und der mit Straßenmusikern gesäumten Buchanan Street ist der bekannteste und bei vielen beliebteste Stadtteil sicherlich das West End. Dort ist unter anderem die University of Glasgow angesiedelt, weshalb die Gegend recht studentisch geprägt ist und mit vielen Cafés, Bars und alternativen Geschäften aufwarten kann. Sehenswert sind dort auch die weltberühmte Kelvingrove Art Gallery und Museum und der angrenzende Kelvingrove Park sowie die botanischen Gärten.

Auch außerhalb des Zentrums hat Glasgow viele schöne Stadtteile, in denen man gut und günstig wohnen kann. Meine Wohnung befand sich in der Southside nahe den Gorbals, wo Wohnungspreise aufgrund der industriellen Gegend relativ niedrig waren, man jedoch trotzdem sehr schnell zu Fuß im Zentrum und den umliegenden Stadtteilen sein konnte. Zur Fortbewegung in der Stadt gibt es mehrere Bahnhöfe, ein kleines U-Bahn Netz, diverse Busunternehmen und eine gut ausgebaute Infrastruktur für Fahrradfahrer. Trotz der Größe der Stadt findet man sich schnell zurecht und es gab immer neue schöne Orte zu entdecken.

Mit Zug oder Bus kommt man leicht und zu vertretbaren Preisen aus der Stadt heraus. Der Loch Lomond Nationalpark ist beispielsweise in einer Stunde zu erreichen, während man in zwei bis drei Stunden bereits in den Highlands sein kann. Gerade im Sommer bietet es sich an, die Landschaft dort zu genießen und zu erkunden. Da in Schottland das Jedermannsrecht gilt, kann man auf quasi jedem besitzerlosen Stück Land legal campen.

Das Praktikum
Beim Praktikum in der Glasgow Women’s Library konnte ich wie erhofft meine beiden Studienfächer verbinden und viel Neues dazulernen. Ich habe vor allem die Projektkoordinatorin bei der Planung und Durchführung von Veranstaltungen unterstützt, konnte aber auch viele andere Bereiche der Organisation kennenlernen. Dazu gehörte unter anderem das Verwalten des Empfangsbereichs, das Recherchieren diverser Themen, die Organisation von Ausflügen zu kulturellen Veranstaltungen und das Auswerten von Interviews. Auch der allgemeine Einblick in die Arbeitsweise und den Aufbau einer solchen Organisation war sehr lehrreich.

Es herrschte ein extrem freundliches, offenes Arbeitsklima und ich habe mich in allen Fragen und Bedenken von den Mitarbeiterinnen gut unterstützt gefühlt. Da viele Freiwillige für GWL tätig sind, hat man immer wieder neue Leute kennengelernt und hat sich nie allein gefühlt. Flache Hierarchien und der inklusive Ansatz der Organisation haben es möglich gemacht, auf sehr verschiedenen Ebenen und in allen Bereichen mitwirken zu können.

Dennoch war gerade wegen dieser Offenheit bei den Aufgaben viel Eigeninitiative gefordert, was zwar zu Beginn etwas gewöhnungsbedürftig, im Endeffekt aber sehr sinnvoll für die Praktikumserfahrung war. Ich musste lernen, meine Arbeitszeit selbstständig einzuteilen und sinnvoll einzusetzen, sowie mit allen Mitarbeiterinnen über meine Tätigkeiten und Ideen zu kommunizieren. Dadurch war man als Praktikant als tatsächlicher und ernstzunehmender Bestandteil des Teams eingespannt, was ich als sehr lobenswert empfinde. Nichtsdestotrotz bestand kein zu großer Leistungsdruck und Fragen nach Hilfestellung oder Kritik wurden immer hilfsbereit entgegengenommen.

Fazit
Zusammenfassend war das Auslandspraktikum eine sehr prägende und hilfreiche Erfahrung für mich, sowohl auf professioneller als auch auf persönlicher Ebene. Ich hatte die Möglichkeit, meine Sprachkenntnisse aus dem Englischstudium in einem alltäglichen und beruflichen Kontext einsetzen und zu erweitern. Für das Studium der Kulturwissenschaft konnte ich bereits vorhandene Interessen in dem Bereich der Kulturvermittlung vertiefen und neue Interessensgebiete wie z.B. die Thematiken Feminismus und Gender entdecken.

Sowohl die Arbeit beim Praktikum als auch das Leben in einem neuen Umfeld und die damit einhergehenden Herausforderungen haben mir zu mehr Selbstständigkeit und Vertrauen in meine Fähigkeiten verholfen. Und nicht zuletzt hat es auch sehr viel Spaß gemacht, diese Inhalte aus dem Studium praktisch anzuwenden, professionelle Kontakte zu knüpfen, Freundschaften zu schließen und Schottland als Land zu entdecken. Es hat sich definitiv gelohnt, den Organisationsaufwand auf sich zu nehmen, um über den Tellerrand zu schauen und für einige Monate in einen neuen Alltag abseits vom Studium einzutauchen.