Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen – Wie unser Verhalten dem Faschismus den Weg ebnet
Lange Zeit schien es ruhig um die politische Lage der westlichen Länder. Sechzehn Jahre Kanzlerinnenschaft von Angela Merkel brachten die Illusion von unerschütterlicher Stabilität und damit auch eine gewisse Lethargie; Videos von Pegida-Demos voller alberner Deutschlandhüte wurden nur müde belächelt, rechtsextreme Straftaten als Einzelfälle deklariert, 1945 schien in weiter Ferne. Selbst nachdem nach acht Jahren Obama 2016 erstmals Donald Trump ins Amt des US-Präsidenten gewählt wurde, waren sich die meisten Beobachter*innen einig: Trump ist als Bedrohung nicht ernst zu nehmen und seine Macht wird nicht von Dauer sein.
Doch nun stehen wir da und langsam setzt die Panik ein. Warum ist Trump denn nun schon wieder im Amt? Trotz Verurteilung als Sexualstraftäter, trotz des Aufrufs zum Sturm aufs Kapitol 2021, trotz seiner Aussage, wenn er erneut Präsident würde, bräuchte danach in Zukunft niemand mehr wählen gehen? Und wie kann es eigentlich sein, dass hierzulande eine in großen Teilen erwiesenermaßen rechtsextreme Partei 76 Sitze im Bundestag erhält? Wann ist das alles passiert? Die Antwort lautet: Unter unser aller Nasen. Während wir auf dem Sonnendeck die Augen vor den gefährlichen Strömungen verschlossen hielten, sind wir zielsicher in unsicheres Fahrwasser geschippert. Das war keine geheime Mission der Nazis, von der niemand etwas ahnen konnte, das war kein plötzlicher, unvorhersehbarer Umsturz. Jede Stufe auf der Eskalationsleiter können wir abends in der Tagesschau mitverfolgen. Und sicher, dabei hat man manchmal ein ungutes Gefühl, ein kleines Zwicken in der Magengegend, und für’s Gewissen wird dann ein bisschen missbilligend kommentiert, aber so richtig aktiv geworden sind die meisten nicht – sonst stünden wir jetzt schließlich nicht an diesem Punkt.
Wir, das sind nicht nur wir Einzelnen oder Deutschland oder Europa. Wir, das ist die Menschheit. Die Weltbevölkerung. Der Rechtsruck ist nicht nur ein ostdeutsches oder gar nur ein amerikanisches Problem (auch, wenn es häufig so schön einfach ist, ungläubig den Kopf über „die Amis da drüben“ zu schütteln). Bei uns sieht es nicht viel besser aus, und das gilt für die meisten Länder. Der politische Ton wird rauer, auch unter den demokratischen Parteien. „Achtet auf die Sprache“, hatte Angela Merkel 2020 während einer Rede verkündet. „Denn die Sprache ist sozusagen die Vorform des Handelns. Und wenn die Sprache einmal auf die schiefe Bahn gekommen ist, kommt auch sehr schnell das Handeln auf die schiefe Bahn und dann ist auch Gewalt nicht mehr fern.“ Diese Aussage zeigt, dass man, wie Merkel, keinesfalls links(-extrem) sein muss, um kritisch auf den aktuellen Ton von Spitzenpolitiker*innen demokratischer Parteien zu blicken, die mit populistischen Phrasen gegen Minderheiten schießen, welche vor einigen Jahren noch ausschließlich der AfD oder anderen rechtsextremen Parteien vorbehalten waren. Man muss nur ein Mensch mit demokratischer Grundhaltung sein, mit festen Überzeugungen und wachem Blick. Mit antifaschistischen Werten und der Bereitschaft, aktiv für diese einzustehen.
Und wann, wenn nicht jetzt? Wenn wir nicht wollen, dass sich nach einer Pandemie, einem Rechtsruck in den Parlamenten und nach der Rückkehr von Kurzhaarbobs auch Zustände à la 1933 in die Parallelen zwischen den 2020ern und den 1920ern einreihen, dann ist jetzt der Zeitpunkt, einzugreifen, aus der Schockstarre zu erwachen und die Angst produktiv zu nutzen. Indem man sich in politischen Gruppen engagiert, ob uniintern oder außerhalb, indem man parteipolitisch aktiv wird oder für seine Überzeugungen im alltäglichen Handeln einsteht, Zivilcourage beweist, Populismus nicht unkommentiert lässt, die unangenehme Diskussion mit dem AfD-wählenden Nachbarn nicht aus Bequemlichkeit umschifft.
Nur so werden wir verhindern können, in fünfzig Jahren beschämt entgegen der Wahrheit zu behaupten: „Wir haben damals ja von nichts gewusst!“
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