Einleitung
Bereits während meines Masterstudiums überlegte ich mit dem Erasmus Programm ins Ausland zu gehen, allerdings durchkreuzte die Covid-19 Pandemie meine Pläne. Kurz vor meinem Abschluss erfuhr ich dann von der Möglichkeit des Erasmus+ Praktikums und entschied mich diese Chance zu nutzen, um einige Zeit im Ausland zu leben und neue Erfahrungen zu sammeln. Um auch ein Praktikum zu finden, das zu meinen Studieninhalten (Erziehungswissenschaft) passt, recherchierte ich sehr lange. Leider waren meine Türkisch Kenntnisse nicht gut genug, um beispielsweise mit Kindern oder Jugendlichen zu arbeiten oder ich konnte per E-Mail keinen Kontakt herstellen. Durch die Seite der Universität Bremen fand ich schließlich das „International Student Advising Office“ der Bilgi Universität in Istanbul. Die Anzeige war zwar veraltet, doch ich bewarb mich im November 2021 und erhielt bald eine Bestätigung von dort und vom Erasmusbüro in Bremen.

Meine Praktikumsstelle
Das „International Student Advising Office“ der Bilgi Üniversitesi ist Teil des „Student Affairs“ Büros und fungiert vornehmlich als Unterstützung der internationalen Vollzeitstudierenden. Die Studierenden können die Mitarbeitenden über E-Mail, Instagram, Facebook und persönlich kontaktieren und Fragen zu Themen wie der Aufenthaltsgenehmigung, der Organisation der Uni oder dem Leben in Istanbul stellen. In diesem Büro arbeiten zwei Vollzeitangestellte und zwei bis vier Erasmus-Praktikant:innen um der großen Anzahl an Studierenden gerecht zu werden. Viele der Studierenden wenden sich auch an das Büro, wenn sie Probleme mit ihren Kursen, Professor:innen oder Aufenthaltsgenehmigungen haben. Die Mitarbeitenden helfen ihnen dann so gut es geht oder verweisen auf andere hilfreiche Stellen/Personen.

Im gleichen Gebäude befindet sich auch das Erasmus und Bilateral Office der Bilgi Universität. Die Erasmus-Studierenden haben häufig ähnliche Fragen und Probleme, bleiben jedoch meist nur für ein Semester. Das Erasmus Office ist außerdem für die türkischen Studierenden zuständig, die ins Ausland gehen möchten. Dadurch sind die Aufgabenbereiche doch sehr verschieden.

Das „Student Affairs“ Büro ist sowohl für internationale als auch türkische Studierende zuständig. Hier werden beispielsweise Studierendenkarten und Studienbescheinigungen erstellt oder Anträge, die die Organisation des Studiums betreffen, eingereicht. Die Bilgi Universität ist eine private Uni, wodurch für die Studierenden hohe Kosten anfallen (ca. 6.000 US-Dollar pro Semester). Für Fragen oder Probleme rund um die Semesterbeiträge müssen die Studierenden sich an das „Accounting Office“ wenden.

Die Bilgi Universität besteht aus drei verschiedenen Campi, das „International Student Advising Office“ befindet sich auf dem Hauptcampus in Eyüpsultan. Auf dem Gelände befand sich im osmanischen Reich das Elektrizitätswerk für die Stadt Istanbul. Einige der Gebäude sind noch erhalten und es gibt ein Museum, in dem über der Vergangenheit des Geländes berichtet wird.

Meine Aufgaben
Meine Aufgaben bestanden zum größten Teil darin E-Mails zu beantworten und die Dokumente der Studierenden für ihre Aufenthaltsgenehmigungen zu prüfen und für das Immigrationsamt vorzubereiten. Die Hauptarbeitssprache war Englisch, durch das internationale Umfeld wurden jedoch auch viele andere Sprachen gesprochen (bspw. Türkisch, Arabisch, Deutsch, Kroatisch oder Russisch). Für die Beantwortung von Fragen per Mail, Instagram oder Facebook wird ein Word-Dokument mit Antwortvorlagen bereitgestellt, das meistens ausreichte. Die Vorbereitung der Dokumente für die Aufenthaltsgenehmigungen ist sehr wichtig für die internationalen Studierenden und muss sehr gewissenhaft ausgeführt werden. Viele Studierende sind zudem unsicher, wie sie sich im Amt verhalten sollen oder ob sie die richtigen Dokumente haben. Sie brauchen also häufig auch eine Person, die sie beruhigt und professionell das Vorgehen erklären kann.

Zu Beginn meines Praktikums war ich noch oft unsicher und fragte bei den anderen Praktint:innen oder meinen Anleiterinnen nach, doch nach ein paar Wochen wurde ich immer sicherer und zum Ende meines Aufenthalts war ich die Erfahrene und die neuen fragten mich um Hilfe. Nach drei Monaten wurde ich auch gefragt, ob ich bei der Auswahl neuer Praktikant:inne helfen könne. Ich nahm an Bewerbungsgesprächen teil und meine Einschätzungen wurden in die Entscheidungsfindung miteinbezogen. Ich konnte mich außerdem in der Organisation der Arbeitsplätze einbringen und ein paar Verbesserungen einleiten. Zur Semesterpause gab es allerdings auch Phasen, in denen kaum Arbeit anfiel. Die Zeit nutzte ich, um meine Kenntnisse der türkischen Sprachen und Gebräuche auszubauen. Durch die anderen internationalen Praktikant:innen lernte ich auch viel über deren Länder und Kulturen, was sehr interessant und lehrreich war.

Die Stadt Istanbul und ihre Bewohner:innen
Als ich mich für einen Erasmusaufenthalt entschied, fiel auch schnell die Entscheidung für Istanbul als Reiseziel. Durch Freund:innen in Deutschland konnte ich Kontakt zu einer türkischen Studentin herstellen, die bereit war mich für 6 Monate zu beherbergen. Dadurch hatte ich bereits von Anfang an Kontakt zu Einheimischen, da meine Mitbewohnerin mir unseren Stadtteil (Kadiköy) zeigte und mich mit ihren Freund:innen bekannt machte. Das Erste, was mir auffiel war, dass viele der Menschen in der Türkei nicht oder nur sehr rudimentär Englisch sprechen. Selbst die Jüngeren hatten häufig Probleme mit mir zu kommunizieren, was primär am türkischen Bildungssystem liegt. Selbst die Lehrenden machen häufig grammatikalische Fehler, wodurch die Lernenden natürlich diese übernehmen oder die Motivation verlieren. Dies wird noch durch eine autoritäre und wertende Lernkultur verstärkt. Trotzdem waren die meisten sehr interessiert und offen für meine Sichtweisen auf die Stadt und das Land und gaben sich große Mühe Gespräche zu führen.

Ein weiterer Eindruck, der sich schnell verfestigte, war die gespannte politische Situation in der Türkei. Die Lage der Wirtschaft ist schwierig und die stetige Inflation verschärft die prekäre Lebenssituation vieler Einwohner:innen. Zusätzlich nahm auch der Krieg in der Ukraine im Frühling 2022 seinen Einfluss, da Menschen sowohl aus der Ukraine als auch aus Russland vermehrt einreisten. Mein Eindruck ist, dass sich das Land in zwei große Lager teilt: die Wähler:innen von Erdogan und die Anhänger:innen von Atatürk. Ersterer bekommt vor allem aus den traditionellen und religiösen Kreisen Unterstützung, während die Partei Atatürks liberaler ist. Beide Lager sind jedoch sehr nationalistisch, was für mich zunächst befremdlich war. Der Nationalstolz ist sehr groß und wird gerne zur Schau getragen, beispielsweise durch Flaggen, aber auch durch Fotos und Tattoos von Atatürk. Ich habe persönlich keine Unterstützer:innen von Erdogan kennengelernt, seine Partei ist jedoch auch in Istanbul und besonders in den Kreisen von jungen Menschen wenig populär. Nächstes Jahr werden wieder Wahlen stattfinden und viele hoffen auf eine Veränderung. Bis dahin ist jedoch noch viel Zeit und es kann noch viel passieren.

Durch meine Praktikumsstelle wurde mir nahe gelegt mich von Kundgebungen und Massenveranstaltungen wie Fußballspielen etc. fernzuhalten. Daran habe ich mich weitestgehend gehalten und kann von keinen negativen Erfahrungen berichten. Die Sicherheit in den Gegenden, in denen ich mich bewegte, würde ich als sehr hoch beschreiben. Ich hatte kaum Bedenken mich auch nachts und alleine durch die Straßen oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu bewegen.

Istanbul ist eine sehr interessante und geschichtsträchtige Stadt. Ich verbrachte viel Zeit in Museen, auf Märkten und in den trubeligen Straßen. Überall sind Zeugen der langen und bewegten Geschichte der Stadt zu finden, beispielsweise der Sultanahmet Platz mit seinen Säulen und dem deutschen Brunnen. Die U-Bahn, die von Karaköy zur Istiklal Straße fährt, ist die zweit älteste der Welt und auch auf der jüngeren, asiatischen Seite Istanbuls finden sich interessante Gebäude, Plätze und Geschichten. Es gibt so viel zu entdecken, dass 7 Monate längst nicht ausreichen. Ich habe aber schon viel gesehen und gelernt und plane wieder zu kommen, um noch mehr zu sehen und meine Freund:innen hier zu besuchen.

Fazit
Zusammenfassend kann ich sagen, dass die Entscheidung ein Erasmus+ Praktikum in Istanbul zu machen sehr gut und lehrreich war. Ich habe viel über das Land, die Leute und die Arbeitsweisen gelernt. Nach der anstrengenden Zeit mit der Covid-19 Pandemie und meiner Masterarbeit tat es sehr gut neue Luft zu schnuppern und neue Eindrücke zu gewinnen. Von den Inhalten des Praktikums kann ich nur ein bisschen profitieren, aber die soft skills, die ich erwerben konnte, werden in Zukunft von großem Nutzen für mich sein. Auch die Freundschaften, die ich hier geschlossen habe, werden mich hoffentlich noch lange begleiten. Ich fühlte mich sehr wohl in dieser wunderschönen und aufregenden Stadt und werde den Trubel, das Essen und die Atmosphäre vermissen. Die Zeit in der Türkei hat mir auch wieder einmal gezeigt wie behütet und privilegiert ich aufgewachsen bin und welche Vorteile der deutsche Pass im Vergleich mit anderen hat. Gleichzeitig habe ich auch viel über Deutschland und meine Kultur und Traditionen gelernt. Ich kann allen, die mit dem Gedanken spielen für ein Semester oder 6 Monate ins Ausland zu gehen, nur empfehlen diese Chance zu nutzen.