Nachdem ich bereits 2020/21 knapp acht Monate mit ERASMUS+ an der finnischen Universität Oulu studiert und meine Zeit dort sehr genossen habe, und mir durch einen weiteren Auslandsaufenthalt auf Spitzbergen meine Leidenschaft für ökologische Feldarbeit noch einmal bewusst geworden ist, wollte ich im letzten Sommer meines Biologiestudiums eine Rückkehr nach Finnland mit der praktischen Arbeit unter freiem Himmel verbinden und habe einige Forschungsstationen kontaktiert und mich auch auf bezahlte Feldassistenzstellen beworben. Da letztere selten sind und voranging an einheimische Studierende vergeben werden, habe ich mich für ein unentgeltliches Praktikum entschieden und wurde dabei durch ERASMUS+ unterstützt.

29.04.-22.05.22 3.5 Wochen auf der Värriö Subarctic Research Station
120 km über dem Polarkreis und nur wenige Kilometer von der Russischen Grenze liegt das Värriö Strict Nature Reserve. Der Zutritt ist nur mit Genehmigung gestattet, beispielsweise für die Arbeit auf der gleichnamigen Forschungsstation, die 1967 gegründet wurde und heute vom Institute für Atmosphären und Erdsystemforschung der Universität Helsinki betrieben wird. Neben Langzeitbeobachtungen von Mottenabundanz, Nisterfolgen von Meisen und anderen Höhlenbrütern, Beerenertrag, Mornellregenpfeifer-Population und anderen ökologischen Parametern liegt der aktuelle Forschungsschwerpunkt auf der Atmosphärenchemie/-physik. Mit der SMEAR I Messstation werden seit 1991 die komplexen Wechselwirkungen zwischen Bio- und Atmosphäre entschlüsselt. So werden beispielsweise biogeochemische Kreisläufe untersucht, Aerosolentstehung studiert und Schadstoffbelastung gemessen.

Bei meiner Ankunft auf der Station lagen noch 60 cm Schnee und die ökologische Feldsaison hatte daher kaum begonnen, was meine Tätigkeiten im wesentlichen auf tägliche Schneehöhen- und Niederschlagsmessungen, wöchentliche Sicherung von Video- und Audiodaten des LIFEPLAN Projektes zur globalen Biodiversitätserfassung, Reinigung und Reparatur einiger der 380 Nistboxen, Sammlung und Sortierung von Baumstreuproben (d.h. Kiefernnadeln, Birkenblätter, Rinde, Zapfen etc.), und Begleitung von Schneetransekts für Spurenbeobachtung und Schneedichtemessungen beschränkte. Außerdem habe ich vom Stationsleiter Mikko Sipilä einen umfassenden Einblick in die weitgehend automatisierten physikalischen Messungen und die Forschungsthemen seiner Arbeitsgruppe erhalten, welche für mich aufgrund meines vorangegangenen Physikstudiums ebenso spannend war, wie die ökologischen Projekte. Neben dem wechselnden Stationspersonal durfte ich einige interessante Gäste kennenlernen, darunter renommierten Wissenschaftler und eine Umweltaktivistin. Die vielen anregenden Gespräche beim morgendlichen Kaffee oder beim gemeinsamen Kochen habe ich sehr geschätzt!

23.05.-10.07.22 7 Wochen am Kevo Subarctic Research Institute
Ende Mai ging es für mich auf die Forschungsstation Kevo, die nur 18 km südlich der Norwegischen Grenze im äußersten Norden Finnlands (ebenfalls in einem strikten Naturreservat) liegt. Dort war der Polartag bereits angebrochen und der meiste Schnee geschmolzen. Das 1956 gegründete Institut gehört zur Universität Turku und ist mit Vorlesungssaal, Kantine und Unterkunft für etwa 50 Gäste deutlich größer als die Värriö Station. Hier werden das Subarktische Ökosystem und Mensch- Natur-Interaktionen, wie Auswirkungen von Rentierzucht oder Luftverschmutzung, untersucht.

Zusammen mit meiner finnischen Kollegin habe ich verschiedene Experimente und Monitorin- gprogramme betreut, wie etwa die 145 Nistboxen, die Lichtfallen für Insekten oder das Kola- Experiment, welches die Schwermetall- und Schwefelsäurebelastung durch die Erzverhüttung auf der russischen Kola-Halbinsel simuliert. Außerdem haben wir drei Mottenkulturen versorgt, die nach mehreren schweren Ausbrüchen in der Umgebung (zuletzt 2005-2009) studiert werden.

Zu diesen allwöchentlichen Aufgaben, kamen stetig einzelne Tätigkeiten hinzu, wie beispielsweise Spitzmausfang zur Populationsschätzung, Bodenprobennahme und Arthropodenextraktion und eine Exkursion nach Norwegen, sodass es immer abwechslungsreich blieb. Die wöchentliche Kontrolle der Nistboxen wurde schnell zu meiner Lieblingsaufgabe: einige Boxen erforderten sogar Anreise per Boot, welche wir nach einer kurzen Einweisung in die Außenboarder eigenständig nutzen durften, und so war schon der Weg durch den „Kevo Amazon” ein Highlight. Dann ging es mit GPS ausgestattet quer durch den Wald von einer Überraschung zur nächsten: ein Rotschwanznest kurz vor Fertigstellung, 9 inkubierte Eier der aufmüpfigen Kohlmeise oder die ersten Küken der deutlich genügsameren Lapplandmeise, die aussehen wie kleine Aliens. Nur in den letzten zwei Wochen meines Aufenthalts, als es der Sommer endlich zu uns geschafft hatte, aber mit ihm auch die Moskitoplage ihren Höhepunkt erreichte, waren die „Boxenstops” weniger angenehm. Unaufhaltsam wurde man von der schwarzen Wolke, die um einen surrte, attackiert, und die ersten Nestlinge, die bereits ausgeflogen waren, hinterließen nicht selten tote Geschwister, die wohl den schwankenden Temperaturen (bis knapp über 0°C Mitte Juni) nicht standgehalten hatten.

An den Wochenenden hat mich unser Betreuer auf ökologische Wanderungen mitgenommen, bei denen ich meine Artenkenntnis erweitern und die Umgebung erkunden konnte. Abends ging es dann oft in eine von zwei Bars im 18 km entfernten kleinen Ort Utsjoki. Und obwohl die Sonne während meines gesamten Aufenthalts nie unterging, haben wir Ende Juni den längsten Tag des Jahres, Juhannus (Mittsommer), nach Finnischer Tradition gemeinsam gefeiert.