Mein Name ist Michel, ich studiere „Space Engineering“ an der Universität Bremen und habe während meines dritten Master-Semesters ein freiwilliges Auslandspraktikum in Brüssel absolviert. Mit dem folgenden Erfahrungsbericht möchte ich euch einen kleinen Einblick in meine Zeit in Belgien geben und meine Arbeit bei „Space Applications Services“ vorstellen.
Land & Stadt
Da mich viele Kommilitonen mit der Frage konfrontiert haben, warum ich mich denn gerade für Brüssel entschieden hätte, möchte ich euch eingangs mit den vielen Annehmlichkeiten vertraut machen, die die „Hauptstadt Europas“ bereithält.
Zunächst einmal muss ich festhalten, dass Belgien mehr als nur „Bier, Pommes und Waffeln“ ist (obgleich die Belgier dahingehend ihr Handwerk verstehen). Vielmehr bietet das Land eine wahnsinnige kulturelle, historische und gesellschaftliche Vielfalt. Das zeigt sich nicht zuletzt an der Dreisprachigkeit (Niederländisch, Französisch und Deutsch) und der Einteilung in drei sehr unterschiedliche Regionen (Flandern, Wallonien und Brüssel-Hauptstadt).
Besonders die „Region Brüssel- Hauptstadt“, in der ich gelebt und gearbeitet habe, kann dabei als urbane Metropolregion auftrumpfen: Hier stehen modernste Glas-Hochhäuser neben uralten Kathedralen und Streetart-Hauswände neben gold-verzierten Palästen. Darüber hinaus bietet Brüssel eine sehr hohe Dichte an grünen Parks, ausgefallenen Läden und exotischen Restaurants.
Die mit Abstand größte Besonderheit von Brüssel ist für mich aber das EU-Viertel. Hier kann man das Herz Europas förmlich schlagen hören. Ein Besuch im „Haus der europäischen Geschichte“ oder dem Europaparlament zeigt einem, wie verwurzelt die Länder Europas sind und wie wichtig transnationale Zusammenarbeit ist.
Einstellung & Unternehmen
Da ich „Space Engineering“ studiere, kamen für mein Praktikum nur Raumfahrtunternehmen in Frage. Nach einer mehrwöchigen Recherche bin ich schlussendlich auf die Firma „Space Applications Services“ gestoßen. Ich bewarb mich im Januar 2020, hatte 2 Wochen später mein „technical screening“ und Mitte Februar ein finales Bewerbungsgespräch samt Zusage. Da mein Praktikum erst zum Wintersemester 2020/2021 beginnen sollte, hatte ich noch ganze 7 Monate Zeit, um mich auf mein Praktikum vorzubereiten (Versicherungen abschließen, Unterkunft buchen etc.), die letzten Formalitäten mit dem Praktikumsbetrieb zu klären und mich für die Förderung durch das Erasmus+ Programm zu bewerben.
„SpaceApps“ ist ein kleines, mittelständisches Unternehmen, dass Konzepte für innovative Raumfahrtprodukte entwickelt. Der Hauptsitz in Belgien verfügt über 2 Büroetagen und ein ausgiebiges Labor samt „Clean Room“. Hier arbeiten in etwa 60 Ingenieure, Wissenschaftler und Praktikanten tagtäglich an Raumfahrzeugen, Robotern, Explorationssystemen und VR-Simulatoren. Zu den Hauptkunden gehört unter anderem die Europäische Weltraumorganisation ESA; die diversen Projektpartner, die sich an SpaceApps’ Projekten beteiligen, verteilen sich dabei über ganz Europa (z.B. DLR, TU München, Open University etc.).
Arbeit & Projekt
Im Oktober 2020 war es so weit und mein erster Tag bei Space Applications Services stand vor der Tür. Am ersten Arbeitstag wurde ich von meiner Personalerin begrüßt, mit einem Laptop und sonstigem Arbeitsmaterial ausgestattet und meiner Abteilung vorgestellt. Daraufhin begann ich damit, mich in das Projekt einzulesen und mich mit der Konstruktionssoftware „Solidworks“ zu beschäftigen.
Nach dieser Eingewöhnungsphase bestand meine Hauptaufgabe darin, eine spezielle Nutzlast für den Mond-Rover LUVMI zu entwerfen und zu konstruieren. Dabei durfte ich sehr eigenständig arbeiten und meiner Kreativität freien lauf lassen. Anders als bei anderen Praktika musste ich also niemandem „zuarbeiten“, sondern hatte meinen ganz konkreten Verantwortungsbereich. Ich lernte die im Studium vermittelten Inhalte (Rechnungen, Systemauslegung etc.) praktisch anzuwenden und mir viel zusätzliches Wissen anzueignen.
Abgesehen von dieser Hauptaufgabe habe ich an einem Hackathon teilnehmen dürfen und ein ESA Proposal zum Thema „space-based solar power“ verfassen dürfen.
Freizeit & Ausflüge
Ein Vorteil von Belgien, den ich zuvor nicht erwähnt hatte, ist seine geringe Größe (Belgien ist kleiner als Niedersachsen). Was vielleicht gar nicht so vorteilhaft anmuten mag, entpuppt sich für Studenten ohne Auto schnell als große Annehmlichkeit, da fast jeder Ort in unter 3 Stunden mit dem Zug erreichbar ist (an der Stelle sei das super-günstige Weekend Ticket lobend zu erwähnen). Ob ans Meer oder in die nächste Großstadt, fast jeder Ort lässt sich per Wochenend-Tagesausflug besuchen.
In meinen 6 Monaten habe ich um die 10 Städtetrips gemacht – von Brügge, über Gent und Löwen bis nach Antwerpen habe ich fast jede größere Stadt gesehen. Dabei hat jede ihren eigenen Charme. Aber auch die Küste ist schnell erreicht. In Ostende oder Knokke-Heist kann man je nach Jahreszeit entweder schwimmen gehen und sich sonnen, oder aber eine riesige Eiswüste bestaunen.
Auch im direkten Brüsseler Umland gibt es viele Möglichkeiten in der Natur zu entspannen oder wandern zu gehen. Besonders der Haller Bos ist (vor allem im Frühling) ein großartiges Ausflugsziel. Der bekannte Stadtpark „Bois de la Cambre“ grenzt an ein riesiges Waldgebiet, sodass ich nicht einmal den eigenen Wohnort verlassen musste, um im Grünen zu landen. Hier habe ich zahlreiche Wochenenden verbracht.
Auslandspraktikum in Zeiten von Corona
Trotz all der schönen Momente möchte ich nicht den überschwänglichen Eindruck vermitteln, dass in Zeiten einer weltweit grassierenden Pandemie alles reibungslos verlief: Die zweite Corona-Welle, die sich im Herbst 2020 anbahnte, hatte mir nur ein einziges Wochenende übriggelassen, um Brüssels buntes (Nacht-)Leben (samt der vielen Restaurants, Cafés und Bars) zu erfahren. Bereits Ende Oktober trat ein strenger Lockdown in Kraft, sodass ich auch meinen liebgewonnenen Arbeitsplatz bei SpaceApps gegen den klapprigen Homeoffice-Schreibtisch in meinem Apartment eintauschen musste. Auch fiel es sehr schwer, trotz strikter Kontaktbeschränkungen sozialen Anschluss zu finden.
Wer in Zeiten von COVDI-19 ein Auslandspraktikum machen möchte, sollte definitiv viel Flexibilität mitbringen und mögliche Eventualitäten im Vorhinein einkalkulieren. So habe ich z.B. schweren Herzens auf eine WG verzichtet und mir lieber verschiedene Airbnbs gebucht, um im Falle eines Falles nicht in einem ungenutzten 6-Monats-Mietvertrag zu stecken. Kurze Randnotiz: Das hatte den Vorteil, dass ich verschiedene Wohnviertel Brüssels „ausprobieren“ konnte (erst habe ich in Laeken, in der Nähe des Atomiums gewohnt; dann in Saint-Josse-ten-Noode, im Osten der Stadt; zuletzt in Saint-Gilles, am südlichen Stadtrand).
Dennoch möchte ich klarstellen, dass ich mich jederzeit wieder für ein Auslandspraktikum entscheiden würde – selbst unter den derzeitig erschwerten Bedingungen. Ich hatte viele schöne Momente und lehrreiche Erfahrungen, die ich nicht missen wollen würde. Euch Praktikums-Interessierten da draußen wünsche ich jedoch, dass euer Praktikum in Zukunft unter einfacheren Rahmenbedingungen stattfinden kann.
Neueste Kommentare