Ich habe an der Universität Bremen den Masterstudiengang Transnationale Literaturwissenschaften – Literatur, Theater, Film studiert und habe 2020 die Gelegenheit genutzt, ein zwölfmonatiges Praktikum im Ausland zu machen, das von Erasmus + gefördert wurde.
Im Studium waren viele Inhalte sehr theoretisch. Ich habe vor dem Masterstudium im Verlagswesen gejobbt und wollte gern die Gelegenheit nutzen und wieder mehr in die Praxis gehen.

1. Vorbereitung
Ich entschied mich dafür, das im Studium erlangte theoretische Wissen mit meiner Arbeitserfahrung im Verlagswesen zu kombinieren und Erfahrungen im Buchhandel zu sammeln. Die Wahl der Stadt hing dabei mit politischen Überlegungen zusammen. In Barcelona ist eine große queere Szene, die ich aus internationalen aktivistischen Zusammenhängen kenne und die ich gerne aus der Nähe erleben wollte. Der persönliche Anschluss an die Stadt ermöglichte es außerdem, diese nicht in einer Position von Konsum und Tourismus zu erleben. Ich lernte bei einem Besuch in der Stadt das Buchladenkollektiv kennen, bei dem ich schließlich das Praktikum absolvierte.

Mich interessierten insbesondere die Form kollektiver Organisation und die inhaltliche Ausrichtung der im Laden angebotenen Bücher. Ich fragte das Kollektiv, ob es möglich wäre, ein Praktikum bei ihnen zu absolvieren. Wir wechselten viele E-mails miteinander aus und ich besuchte einige Monate bevor ich die Förderung für das Praktikum beantragte das Plenum des Kollektivs, um gemeinsam herauszufinden, ob und wie ein Praktikum bei ihnen möglich wäre. Schließlich fanden wir gute Abmachungen und Bereiche, um die ich mich im Praktikum kümmern könnte, meine Förderung wurde bewilligt, und so kam es, dass ich zwölf Monate in dem Buchladenkollektiv verbrachte.

Bevor es losging füllte ich also die bürokratischen Akte aus, schloss eine Auslandskrankenversicherung ab, führte verschiedene Engagements in der Stadt, in der ich in Deutschland lebe, zuende, packte Kisten und verließ für ein Jahr meinen Wohnzusammenhang.

2. Beginn
Besonders aufregend ist der Beginn einer neuen Etappe. Eine neue Stadt, eine neue Sprache, neue Netzwerke – ich war sehr froh, dass ich in der Stadt, in der ich das Praktikum absolvierte, gute Freund*innen habe, die mir jede Menge Starthilfe gaben: von einem alten Smartphone, durch das ich gut in Kommunikation mit weiterlaufenden Verpflichtungen in Deutschland bleiben konnte, bis zu einem Fahrrad, und, ganz außerordentlich wichtig, einem billigen Wohnort bei Freund*innen. Ich wusste von Beginn an, dass die finanzielle Situation eine schwierige sein würde: durch das Erasmus-Stipendium konnte ich zwar eine Grundsicherung haben, doch da im Vorfeld des Praktikums nur 70% der Förderung ausgezahlt werden, war das Geld extrem knapp. Eine richtige Miete hätte ich mir nicht leisten können. Ohne meinen Freund*innenkreis vor Ort sowie den Anschluss an solidarische Ökonomien hätte ich mir das Praktikum trotz der Förderung nicht leisten können.

3. Das Praktikum
Ich wurde sehr warm willkommen geheißen im Kollektiv. Die Menschen nahmen sich Zeit, mich in die Arbeit einzuführen. Die ersten Wochen verbrachte ich insbesondere damit, das Computersystem zu verstehen, das im Buchladen genutzt wurde. Jeder Verkauf eines Buches, jede Bestellung, jede Stornierung, jede Aktion eines Kund*innenkontos wie Guthabenaufladen hatte, wie mir schien, kryptische Vorgangsweisen, um zum gewünschten Ergebnis zu gelangen. Es dauerte viele Stunden, bis ich die Basics gelernt hatte und souverän alleine die Kund*innen betreuen konnte.

Ich verbrachte auch viel Zeit damit, mich mit den Büchern vertraut zu machen. Dafür sortierte ich viel im Buchladen herum, staubte Bücherstapel ab, versuchte mir Titel, Inhalte und Autor*innen einzuprägen, und die theoretischen wie literarischen Diskurse kennenzulernen, die in der Buchauswahl repräsentiert wurden. Zu Beginn des Praktikums konnte ich keine drei Seiten auf der neuen Sprache lesen, und nur ganz rudimentär die Inhalte verstehen. Das war natürlich eine Herausforderung! Nach und nach ging es schon besser, und am Ende konnte ich theoretische Abhandlungen zu verschiedenen Themen ziemlich gut verstehen, auch wenn ich natürlich weiterhin eher langsam im Lesen war. Es waren dann aber natürlich Erfolgserlebnisse, wenn ein*e Kund*in den Laden betrat und ich ihr*ihm Beratung anbieten konnte und zielgerichtet die entsprechenden Empfehlungen im Laden finden und die Inhalte erläutern konnte! Nach und nach übernahm ich auch die Betreuung und Akquise eines großen Verlags, wählte also neue Artikel aus und war in enger Kommunikation mit den Vertreter*innen des Verlags.

Ab Mitte März veränderte sich dann das Praktikum sehr, da Corona zu einem Lockdown führte, und Buchläden für mehrere Monate schließen mussten. Da das Buchladenkollektiv ein sehr niedrig wirtschaftender Laden ist, traf die Schließung der Verkaufsfläche besonders hart. Als Kollektiv wurden nun Onlineplena abgehalten und die Lage besprochen, um Lösungen zu finden: wie sollten wir weiter die Miete zahlen? Wie sollten wir weiter Bücher unter die Leute bringen? Es stellte sich schnell heraus, dass die Lockdownzeit um ein vielfaches arbeitsintensiver sein würde und der Druck, der mit dem finanziellen Überleben des Ladens, aber auch mit Fragen der gesellschaftspolitischen Gesamtlage zusammenhing, extrem hoch war. Das führte dazu, dass wir auf Hochdruck an Konzepten und Auswegen arbeiteten.

Einer dieser Auswege bestand in der Beteiligung an einem landesweiten Mietstreik von Einzelhandel und Wohnraum. Wir steckten Wochen der Arbeit in Organisation von Plena und Austauschstrukturen von Betroffenen einerseits, und Kommunikation und Aushandlungsprozessen mit den Eigentümer*innen andererseits – und waren damit erfolgreich. Wir erreichten die Aussetzung der Mietzahlungen für die gesamte Zeit, in der die staatlichen Verordnungen die Schließung von Buchläden beschlossen, und konnten weitere Einzelhandelskollektive mit dieser Erfahrung unterstützen. In die gleiche Zeit fiel der Auszug des Lebensmittelkollektivs, mit dem wir den Ladenraum zur Hälfte teilten, und damit die Suche nach neuen Mitmieter*innen. Parallel etablierten wir Onlineveranstaltungen zu verschiedenen Themen: Buchpräsentationen, literarische Performances, Diskussionsrunden. Diese zu organisieren, zu koordinieren, zu bewerben und durchzuführen war viel Arbeit. Außerdem nutzen wir die Zeit, um die Räumlichkeiten zu renovieren, das Katalogisierungsprinzip zu überarbeiten, die thematische Anordnung im Laden zu verändern, Bestände zu revisieren und innerkollektive Prozesse anzustoßen und auszuhandeln. Als der Lockdown zuende ging, knüpften wir nahtlos an den regulären Betrieb an.

4. Fazit
Diese ganzen Tätigkeiten waren für mich sehr lehrreich. Insbesondere die Pandemie und die damit zusammenhängenden Schwierigkeiten, welchen das Buchladenkollektiv entgegensehen musste, lehrten mich extrem vieles. Ich konnte die im Studium erlernten Inhalte in die Auswahl des Bestands, die Überarbeitung der Katalogisierung, sowie die Veränderung der thematischen Anordnung der Bestände anwenden. Die Tatsache, dass ich das Praktikum in einem kollektiv organisierten Betrieb absolvierte, ermöglichte eine tiefe Beteiligung in allen Prozessen und Feldern: jedes Engagement ist wichtig und wird ermuntert, und die basisdemokratische Organisation ermöglichte es, auf Augenhöhe mitzuarbeiten. Dies bedeutete auch, viel Verantwortung mitzuübernehmen und mir selbständig benötigte Kompetenzen anzueignen.

Meine Rolle im Kollektiv zu finden war ein längerer Prozess, und ich enthielt mich beispielsweise aus Entscheidungen zum Mietstreik, da ich wusste, dass ich nicht langfristig Teil des Kollektivs sein würde und somit potentielle Konsequenzen nicht würde mittragen können, weil sie mich nicht betreffen würden. Die Veranstaltungsreihe, die wir online organisierten, war ein tolles Lernfeld. So ermöglichte es mir, die Organisation, Koordination und Gestaltung von Online-Formaten zu erlernen. Weiterhin konnte ich wichtige Erkenntnisse für meine persönlichen wie beruflichen Auseinandersetzungen gewinnen, und theoretisches Wissen, das ich in der Universität gelernt habe, praktisch umsetzen. Und schließlich war dieses Jahr unheimlich wichtig, um die Sprache zu lernen und somit mehr Kompetenzen in interkultureller Kommunikation zu erlernen. Alles in Allem waren diese zwölf Monate eine wichtige Erfahrung.