Wieso Spanien? Ich habe mich bereits ca. ein Jahr vor meinem geplanten Pflichtpraktikum um verschiedene Stellen innerhalb Deutschlands bemüht. Leider ist meine Suche nach einem dreimonatigen Praktikumsplatz trotz großer Bemühungen erfolglos verlaufen. Nach diversen Absagen und Angeboten über sechsmonatige Praktika, habe ich glücklicherweise einen passenden Praktikumsplatz in Madrid gefunden.
1. Bewerbung und Anreise
Die erste Hürde, ein Praktikum in der laut Prüfungsordnung angedachten Zeit zu finden, war bewältigt. Ich wurde angehalten ein Bewerbungsschreiben, meinen Lebenslauf und meine derzeitige Notenübersicht an mein zukünftiges Praktikumsunternehmen zu senden. Im Anschluss fand das Bewerbungsgespräch via Skype und natürlich auf Englisch statt. Es handelte sich hierbei um das für mich erste englischsprachige Interview im beruflichen Kontext.
Nachdem ich eine Zusage erhielt, kümmerte ich mich zügig um die Bewerbung um ein ERASMUS-Stipendium. Dieses Vorhaben gestaltete sich dank der strukturierten Übersicht auf der Webseite des International Offices als leicht verständlich und schnell erledigt. Zudem steht Herr Bücken einem jederzeit unterstützend beiseite. (Vielen Dank an dieser Stelle!) Sobald vertraglich alles festgehalten war, buchte ich auch gleich meinen Hinflug. Ich zahlte ca. 80 € inklusive einem 23 kg Aufgabegepäckstück bei Iberia, der bekanntesten und zugleich größten spanischen Fluggesellschaft. Am Terminal in Madrid angekommen, begrüßte mich auch gleich Mitte Januar die warme Sonne Spaniens sowie meine neue spanische Vermieterin.
2. Arbeitsplatz
Meine Firma widmet sich der Entwicklung von Lösungen hinsichtlich der Begutachtung sowie Abwicklung von Kfz-Unfallschäden, Wartungen und Fahrzeugreparaturen. Des Weiteren bietet das Unternehmen Softwarelösungen für den Automobilsektor an.
Der Hauptsitz meiner Firma ist in einem modernen Bürokomplex in einem Vorort von Madrid untergebracht. An meinem ersten Tag war ich eine halbe Stunde früher an dem mit meiner zukünftigen Chefin verabredeten Treffpunkt. Ich wartete diese Zeit ab und noch zusätzlich eine weitere halbe Stunde. Dieser erste Eindruck, der darin bestand, dass Spanier*innen es anscheinend nicht sehr genau mit zeitlichen Angaben nehmen, zog sich durch meine gesamte Praktikumszeit. Ich würde die typische spanische Arbeitsweise als recht gemütlich und eher langsam beschreiben.
Das Unternehmen hat einen großen amerikanischen Partner und weitere Filialen in Europa wie z. B. in Portugal, Frankreich und England. Alle Mitarbeiter*innen an meinem Standort sprechen spanisch, aber es herrscht ein internationales Klima, da unser Team aus Kolleg*innen zahlreicher Länder besteht.
Ein wirklich positiver Aspekt der spanischen Arbeitsweise ist in der Freundlichkeit, gar schon Warmherzigkeit, zu sehen. Die meisten Mitarbeiter*innen haben persönliche Beziehungen zueinander und unterhalten sich auch über Privates (anders als in der deutschen Arbeitsmentalität meiner Meinung nach).
Ich habe eine fast schon freundschaftliche Bindung zu meiner Vorgesetzten aufgebaut und auch zu vielen anderen Teamkolleg*innen. Darüber hinaus vertritt meine Firma eine flache hierarchische Struktur und so wollte meine Chefin nicht als solche, sondern einfach nur als Teamkollegin, als Maria, angesehen werden.
Mein erster Arbeitstag bestand in einem langen Behördengang und anschließend aus einem Schubs ins kalte Wasser, denn Maria setzt bei ihrer Führung der Personalabteilung, des Human Resource Management Departments, auf innovative Ideen. Ganz nach dem 70/20/10 Modell wurde mir meine erste Aufgabe erklärt und dann saß ich, zugegeben leicht überfordert, an meinem neuen Schreibtisch. Learning by doing ist das oberste Motto in meinem Betrieb und so tastete ich mich selbstständig an die erste Herausforderung heran, die darin bestand, den Engagement Survey des letzten Jahres auszuwerten und die Ergebnisse der einzelnen Abteilungen mittels PowerPoint Präsentationen zu illustrieren. Es folgten Aufgaben im Recruitment Cycle, der Personalbeschaffung, die das Inserieren von Stellenanzeigen, das Führen von Bewerbungsgesprächen und das Anwenden sowie Auswerten von Persönlichkeitstests umfassten. Ich war außerdem u. a. verantwortlich für das Veröffentlichen von Ankündigungen und Mitteilungen im Intranet der Firma.
In diesem letzten Abschnitt möchte ich euch auf dringend Benötigtes aufmerksam machen, um in Spanien zu arbeiten: die NIE Nummer und eine Sozialversicherungsnummer. Bei dem Beantragen von beidem stand Maria mir mit tatkräftiger Unterstützung beiseite, was auch erforderlich war. Das größte Problem an dieser Stelle besteht darin, dass selbst die Spanier*innen (auch die verantwortlichen Beamt*innen) nicht wissen, wie genau was wo beantragt werden muss. Ich kann euch daher nur empfehlen bei einem Praktikum in Spanien diese Punkte bei eurem zukünftigen Praktikumsunternehmen rechtzeitig anzusprechen.
3. Unterkunft
Nachdem mir zunächst Unterstützung hinsichtlich der Wohnungssuche durch mein Unternehmen zugesagt wurde, oblag das Organisieren einer geeigneten Unterkunft letztendlich alleine mir.
1. Die Mieten in Madrid sind horrend!
2. Die Wohnungen oder WG-Zimmer werden nicht nur überwiegend zu sehr übertriebenen Preisen angeboten, sondern sind qualitativ auch noch sehr schlecht (im Vergleich zu deutschem Standard).
3. Vorsicht vor Betrügern ist immer und überall geboten, aber so viele Scammer wie in Madrid sind mir bei noch keiner Wohnungssuche begegnet.
Nach einer recht langen und mühsamen Zeit des Suchens, bin ich bei der Plattform Homestay überraschend auf eine passende Bleibe gestoßen. Ein Kellerstudio (sehr häufig und üblich in Spanien) für 600 € Monatsmiete. Das gute Stück wurde gerade erst frisch renoviert und neu ausgestattet, also ein absoluter Glücksgriff. Ich hatte zudem die weltbeste Vermieterin, welche mir mit ihrer Familie das Eingewöhnen in Spanien erleichtert hat. Nichtsdestotrotz hatte ich zwischenzeitlich ein Schimmelproblem und musste mich bis ans Ende meines Aufenthalts mit ein paar Ameisen als Untermieter arrangieren. Sowas wird hier in Spanien allerdings auch sehr entspannt gesehen und glaubt mir, wenn ich euch sage, es geht wesentlich schlimmer (z. B. tagelang ohne warmes Wasser, Heizung, WLAN und eine gefühlt 30 Jahre alte schäbige Innenausstattung der Wohnräume wie bei einigen ERASMUS-Studenten hier vor Ort). Es ist eben zu berücksichtigen, dass der spanische Wohnstandard anders ist.
4. Sonstiges
1. Ich habe alles in Madrid mit meinem deutschen Personalausweis erledigt. Wenn ihr Diskussionen von vornherein aus dem Weg gehen möchtet, seid ihr mit eurem Reisepass gut beraten. Der wird hier nämlich am liebsten gesehen.
2. Am schnellsten und unkompliziertesten bin ich mit dem Cercanías-System, Nahverkehrszüge, auch vergleichbar mit unserer S-Bahn, in das Zentrum von Madrid gelangt. Solltet ihr Gebrauch von diesen Zügen machen, ladet euch zur Sicherheit die entsprechende App namens „Renfe Cercanias“ runter. Wer mit Bus oder Metro durch Madrid fährt, kann zum Beispiel die Allrounder-App „Citymapper“ nutzen. Ich persönlich habe definitiv schon einfachere U-Bahn-Systeme als das von Madrid kennengelernt. Man kann sich auch nicht immer auf die ausgewiesene Linie im Inneren der Wagons verlassen, da hier anscheinend auch mal Wechsel stattfinden. Dies hat bei mir anfangs zu etwas Verwirrung und Verunsicherung geführt. Aber je öfter man insgesamt die öffentlichen Verkehrsmittel nutzt, umso geübter und vertrauter wird man mit ihnen.
3. Das Verhältnis des „Durchschnittsspaniers“ zur englischen Sprache verdeutlicht das folgende Foto am besten:
Ich selber spreche leider auch nur ein grundlegendes Spanisch, also auch nicht ganz optimal, aber immerhin fließend Englisch. Wenn man mit Englisch nicht weiterkommt und auch Spanglish die Lage nicht verbessert, dann mit Händen und Füßen. Keine Sorge! Die Spanier*innen sind über die Maßen hilfsbereit, offen und um gegenseitiges Verständnis bemüht.
Obwohl mein Praktikumsunternehmen recht international aufgestellt war und man sehr gute Englischkenntnisse vermuten könnte, wurde ich eines Besseren belehrt. In den oberen Managementpositionen wurde fließendes Englisch mit einem teils doch sehr starken spanischen Akzent gesprochen, was einen von Zeit zu Zeit vor Herausforderungen stellte. Andererseits gab es auch einige Kolleg*innen (meist aus anderen Kulturkreisen), die ein absolut verständliches Englisch sprachen (die englischen Muttersprachler*innen eingeschlossen, eine sehr willkommene Abwechslung).
Aber zu behaupten, Madrid würde über keine Sprachenvielfalt verfügen, stimmt nun auch wieder nicht. Madrid ist meinem Empfinden nach voller Diversität und gutem Geschmack:
Vielen Dank für den Bericht! Ich bin gerade auf der Suche nach einer Praktikumsstelle in Madrid und deswegen interessiert mich das sehr! Wie heißt denn das Unternehmen, bei dem du gearbeitet hast?
Liebe Grüße aus Kiel 🙂