Als ich angefangen habe zu studieren, studierte ich in der Fächerkombination Englisch und Geschichtswissenschaft auf Lehramt. Nach vier Semestern wechselte ich von Geschichte zu Politik. Das Fach Englisch behielt ich bei. Die Studienordnung des englischen Seminars sieht im Bachelorstudium ein dreimonatiges Auslandsstudium in einem englischsprachigen Land oder alternativ ein Auslandspraktikum vor. Da ich bereits alle meine Englischkurse absolviert hatte und mit Politikwissenschaft nachzog, habe ich mich bewusst für ein 3 monatiges Auslandspraktikum an einer Schule entschieden anstatt für einen 6 monatigen Besuch einer Universität im englischsprachigen Ausland. Dieser Entschluss erschien mir sinnvoll, da ich bereits zwei Schulpraktika in Bremen absolviert hatte und ich nun die Möglichkeit sah, Unterrichtspraxis in einem Praktikum an einer Schule in einem englischsprachigen Raum zu gewinnen. Gerade die Möglichkeit, Unterschiede zwischen dem deutschem und einem ausländischen Bildungssystem – insbesondere der Unterrichtsmethodik sowie den inhaltlichen Schwerpunkten beim Lehren einer Fremdsprache – aus nächster Nähe zu erfahren, machten für mich den Reiz dieses Praktikums aus.
Ich bewarb mich zuerst selbst um ein Praktikum an Schulen in England und den USA. Leider hagelte es Absagen, sofern die jeweiligen Schulen überhaupt antworteten. Nach einer Google-Suche erfuhr ich, dass es Organisationen gibt, die Praktika an Schulen im Vereinigten Königreich inklusive einer Gastfamilie vermitteln. Also bewarb ich mich bei der Organisation InternEDUK (Internships in Education in the UK). Die Vermittlung einer Schule samt Gastfamilie verlief total unproblematisch und schnell. Die Organisation InternEdUK vermittelte mir ein Praktikum an der City of Norwich School in Norwich. Die Kommunikation mit der Schule erfolgte über einen Kontaktlehrer, der mich auch über die Dauer des Praktikums beratend begleiten sollte. Meine Schule war die CNS School in Norwich, die mit ca. 1500 Schülern und Schülerinnen und 190 Angestellten eine relativ große Schule darstellt. Die Schule wurde 1910 durch den Zusammenschluss zweier Schulen gegründet. Die CNS School ist eine comprehensive school, die ungefähr einer deutschen Gesamtschule entspricht. Die City of Norwich School ist eine koedukative Sekundarschule und hat eine sechste Schule (Sixth Form) mit Akademiestatus. Unterrichtet wird in den Jahrgängen 5-12, während ich größtenteils in den Jahrgängen 7 bis 12 eingesetzt wurde. Im Regelfall habe ich lediglich hospitiert, bekam aber auch die Chance selber Unterricht zu halten.
Am 18.April 2019 flog ich von Bremen nach London Stansted und nahm von da aus den Zug nach Norwich. Die Zugfahrt war relativ bequem und ich erreichte meinen Zielort nach ca. 90 Minuten, wo ich von meinem Host mit dem Auto abgeholt wurde. Die Stadt Norwich hat mich angenehm überrascht. Mit knapp 190 000 Einwohnern ist sie deutlich kleiner als Bremen, hat aber dennoch einiges mit ihr gemein. Beide Städte sind alte Kathedralstädte mit einer historischen Innenstadt. Besonders die vielen kleinen Straßen, welche von z.T. sehr alten Gebäuden flankiert werden, haben es mir angetan. Eine lebendige und vielfältige Kneipenszene tat ihr übriges, um mich von dieser Stadt zu überzeugen. Als ich ankam, war das Wetter sehr sommerlich und meine ersten Erkundungstouren in die Stadt fühlten sich an wie ein klassischer Urlaub. Leider schlug das Wetter sehr schnell um und entsprach mehr dem Stereotyp des typischen „englischen Wetters“. Mit meinem Host, gab es leider ziemlich schnell Schwierigkeiten. Nachdem ich dies InternEDUK mitgeteilt hatte, wurde mir innerhalb eines Tages eine neue Gastfamilie vermittelt, mit welcher ich hervorragend klar kam. Die Gastmutter hatte von 2005-2008 in meiner Heimatstadt Münster gelebt und war, so wie ich, begeisterter Star Trek Fan. Sie wohnte mit ihren 2 Kindern in einem Haus in Wymondham, kurz außerhalb von Norwich. Der Bus zur CNS School brauchte von meiner neuen Adresse anstatt 40 Minuten, nur noch 20 Minuten, da er über die Autobahn fuhr. So empfand ich den Wechsel vollends als Upgrade.
Mein eigentlicher Praktikumsbeginn war der 23. April. Ich betrat morgens einen großen Gebäudekomplex, der aus verschiedenen Stilrichtungen bestand. Der Hauptteil war das ursprüngliche Schulgebäude, ein schöner Altbau, dessen Eingang von 2 Säulen flankiert wurde. Zusätzlich gab es noch einige Neubauten und Gebäude, die ursprünglich eher provisorischer Natur schienen. In der Schule erhielt ich einen provisorischen Besucherausweis, bis mein Staff-Ausweis fertig war. Jeder Angestellte der Schule muss während seines Aufenthaltes auf dem Gelände einen Ausweis sichtbar um seinen Hals tragen. Für Schülerinnen und Schüler der Jahrgänge 5-9 war dies nicht vonnöten, da sie durch ihre verpflichtende Schuluniform zu erkennen sind. Die Jahrgänge 10-12 waren von der Schuluniformpflicht befreit und mussten ebenfalls einen Ausweis tragen. Dieser Ausweis öffnete die Eingänge zur Schule und für die Klassenzimmer bekam ich einen elektronischen Türöffner. Die Angestellten der Schule mussten keine spezifische Uniform tragen, Jeans und T-Shirt waren jedoch nicht erlaubt. Zusätzlich fand auch ein non-uniform-day statt, an dem jede Person anziehen konnte, was sie wollte.
Der Stundenplan der Schülerinnen und Schüler war in 2 Wochen aufgeteilt. Woche A und Woche B. Dies betraf also auch die Lehrenden und somit mich. Anfangs war es nach dem Wochenende noch etwas verwirrend herauszufinden, in welcher Woche man sich befand, aber es dauert nur eine kurze Zeit und ich hatte mich an diesen Umstand gewöhnt.
Hauptsächlich bestand meine Aufgabe darin, den Unterricht zu beobachten und gegebenenfalls Hilfestellung anzubieten. Letzteres war besonders im Deutschunterricht der Fall, da ich als Muttersprachler besonders dazu geeignet war, die Schülerinnen und Schüler zu unterstützen. Oftmals wurde im Hauptgebäude kleine Räumlichkeiten (sogenannte „pods“) für mich reserviert. Dort machte ich dann kurze Sprachübungen mit kleinen Gruppen, die aus 2-4 Personen bestanden. Ich stellte ihnen Fragen, die sie auf Deutsch zu beantworten hatten, ließ sie Bilder beschreiben oder einen fiktiven Urlaub buchen. Die Lehrenden teilten mir mit, dass sich die Aussprache vieler Schülerinnen und Schüler schnell verbesserten. Die Schülerinnen und Schüler begegneten mir alle mit Respekt und ich selber würde sie als freundlich und interessiert beschreiben. Ich wurde oftmals mit Fragen nach meinem Lieblingsessen, meiner Lieblingsserie oder meinem Lieblingsfilm und welchen Sportverein ich unterstützen würde regelrecht bombardiert. Besonders meine Meinung, und die Meinung der Deutschen generell, zu dem Brexit war häufig Gegenstand der Fragen. Anzumerken ist, dass Norwich gegen den Brexit gestimmt hat und ich unter den Schülern und Schülerinnen auch niemanden gefunden habe, der sich positiv dazu geäußert hat.
Die technische Ausstattung der Schule befand sich auf hohem Niveau und denen der durchschnittlichen deutschen Schulen weit überlegen. Jeder Klassenraum verfügte über einen Computer, mit dem über einen Projektor Inhalte an die Wand projiziert werden konnten. Der PC konnte über die Leinwand per Touch bedient werden. Zusätzlich hatte jeder Computer eine kleine, dennoch hochauflösende Kamera, mit der die Lehrenden ihre eigenen Notizen auf die Leinwand übertragen konnten. Das Anschauen von Youtube Videos gehörte ebenso zum Unterrichtsalltag wie das Hochladen der Hausaufgaben auf eine spezifische Webpage für die jeweiligen Klassen. Die Informatikräume waren ebenfalls gut ausgestattet und mit neuen Computern ausgerüstet. Die Schule machte insgesamt einen hervorragend vernetzten Eindruck.
Die Anwesenheit und die Leistungen der Schülerinnen und Schüler wurden in digitale Listen auf dem Schulserver eingetragen. Die Klassenlehrerenden konnten somit vor dem Unterricht die aktuellen Leistungen der jeweiligen Schüler und Schülerinnen aufrufen. Der Schulserver bot viele Statistiken für die Schülerinnen und Schüler, die von den Lehrenden regelmäßig observiert wurden und auch von zuhause übers Internet abrufbar waren. Zu diesen Informationen gehörten neben dem Leistungsniveau auch Alter, Geschlecht, Adresse, Stundenpläne und sonstige Informationen, wie z.B. Allergien oder sonstige Anomalien.
Montag, Mittwoch und Freitag fand jeweils eine kurze Besprechung im Lehrerzimmer statt, in der aktuelle Fragen und Probleme bzw. Änderungen im Stundenplan besprochen wurden. Schulbeginn für die Schülerinnen und Schüler war 8:30 Uhr mit der „Form Period“. Dies fand in dem jeweiligen Klassenzimmer statt und es wurden zum Teil unterrichtsrelevante Themen, aktuelle Ereignisse aber auch schuladministrative oder gesellschaftlich relevante Sachen besprochen. Mit der Form Period begann jeder Schultag außer Mittwoch. Mittwoch trafen sich alle Klassen der jeweiligen Jahrgänge zur „Assembly“. Dort wurden ebenfalls aktuelle Ereignisse, schuladministrative oder gesellschaftlich relevante Sachen erörtert. Die Leistungen der einzelnen Klassen wurden auch miteinander verglichen (z.B. die durchschnittliche Anwesenheit), sowie einzelne Schülerinnen und Schüler lobend erwähnt, die besonders viele positive Eintragungen auf den Schullisten bekommen haben. Ab 9:00 Uhr begann der reguläre Unterricht. Jede Unterrichtsstunde dauert 60 Minuten. Ab 11 Uhr gab es eine 20 minütige Pause, in der die Schülerinnen und Schüler auf dem Pausenhof oder in die Kantine gingen. Die Mittagspause ging von 13:20 Uhr bis 14:05 Uhr. Um 15:05 endete mit der fünften Stunde (14:05 Uhr bis 15:05 Uhr) die reguläre Unterrichtszeit für die meisten Schüler und Schülerinnen.
Fazit
Zusammenfassend kann ich sagen, dass mir mein Praktikum sowie die gesamte Zeit in England sehr gefallen haben. Ergänzend und vergleichend zu den bereits absolvierten beiden Schulpraktika in Deutschland hat mir jedes Praktikum so auch dieses in England noch einmal eine andere Sichtweise auf den Lehrerberuf ermöglicht. Die kulturellen sowie die schulischen Unterschiede zwischen Deutschland und England waren interessant aus nächster Nähe zu beobachten. Auch aus didaktischer Perspektive hat mir dieses Praktikum ein breites Spektrum an Erfahrungen geboten. Der Unterricht war geprägt durch eine Vielzahl unterschiedlicher Lehrmethoden, die mit moderner Technikausstattung angereichert waren. Besonders die technischen Rahmenbedingungen an der Schule haben mir imponiert. Auch das eigene selbständige Unterrichten in Klassen und Kleingruppen und die Interaktion mit Schülerinnen und Schülern aus einem anderen Land, sie beim Lernen der deutschen Sprache und Kultur zu unterstützen, haben mir sehr viel Freude bereitet. Die Kolleginnen und Kollegen an der Schule waren allesamt sehr nett, kooperativ und hilfsbereit. Ich hatte zudem die Möglichkeit, an verschiedenen schulischen Veranstaltungen und Ausflügen u.a. nach London teilzunehmen.
Norwich ist zweifelsohne eine schöne und äußerst lebenswerte Stadt. Auch habe ich einen anhaltenden Kontakt zu meiner Gastfamilie geknüpft.
Obwohl ich mit meinem ersten Host kein Glück hatte und ich am Ende des Praktikums leider krank wurde und an der Schule ausfiel, werde ich die Zeit in England und an der CNS School als sehr positive Lebenserfahrung in Erinnerung behalten.
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