Vom Januar bis Mai machte ich mit Erasmus+ ein Praktikum im staatlichen Museum Majdanek in Lublin, ganz im Osten Polens. Majdanek war von 1941 bis 1944 ein Konzentrationslager der NationalsozialistInnen, von September 1942 bis September 1943 spricht man auch von einem Vernichtungslager, weil während dieser Zeit mind. zwei Gaskammern in Betrieb waren. Majdanek spielte außerdem vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht eine Rolle im Rahmen der „Aktion Reinhardt“ der systematischen Vernichtung der europäischen Juden und Jüdinnen im Generalgouvernement, in dessen Folge mind. 1,8 Millionen Juden und Jüdinnen ermordet wurden. Dies geschah vor allem in den eigens dafür errichteten Vernichtungslagern Treblinka, Bełżec und Sobibór. In Majdanek wurden vor allem die geraubten Habseligkeiten verwaltet, das heißt gelagert, ausgebessert, ins Reichsgebiet geschickt. Im Sommer 1941, im Zuge des Überfalles des Deutschen Reichs auf die Sowjetunion ursprünglich als sog. „KGL Lublin- Kriegsgefangenenlager Lublin“, wurde das Lager schnell de facto zum „KL Lublin – Konzentrationslager Lublin“.
Der Name wurde 1943 durch die Deutschen angepasst. AnwohnerInnen sprachen, in Anlehnung an den benachbarten Stadtteil Majdan Tatarski, schon immer von „Majdanek“ wenn es um dieses Lager ging. Im Juli 1944 erreichte die rote Armee Lublin und auch das Lager Majdanek. Dieses wurde jedoch bereits ab April desselben Jahres von den Deutschen evakuiert, so dass die rote Armee bei der Befreiung des Lagers nur noch rund tausend Häftlinge vorfand. Lublin bekam eine besondere Rolle insofern, als dass es kurzzeitig von den Sowjets als polnische Hauptstadt deklariert wurde (der Ausbruch des Warschauer Aufstands war da bereits im vollen Gange und die großflächige Zerstörung der Stadt schien eine Hauptstadt für die Zukunft unmöglich zu machen – die Geschichte hat gezeigt, dass die WarschauerInnen ihre Stadt wieder aufbauten und als Hauptstadt beließen). Majdanek bekam auch eine besondere Rolle, weil bereits im November 1944 im nunmehr ehemaligen Konzentrations- und Vernichtungslager ein Museum eingerichtet wurde. Majdanek ist somit die erste Gedenkstätte dieser Art weltweit.
All diese Aspekte spielten eine große Rolle während meines Praktikums in der Bildungsabteilung des Museums. Die Bildungsabteilung ist verantwortlich für Gruppen, die sich das Museum angucken wollen und nicht nur eine Führung über das Gelände bekommen, sondern sich tiefergehend mit der Materie beschäftigen möchten. Die Gruppen die kommen sind vor allem polnische Schulgruppen. Aber auch deutsche und israelische Gruppen sind in einer hohen Anzahl vertreten. Darüber hinaus vereinzelt aus anderen, vor allem europäischen Ländern, bspw. Niederlande, Spanien, Ukraine, etc.
Diejenigen Gruppen die ich betreute waren, aus v.a. sprachlichen Gründen, nicht nur weil mein polnisch für eine Führung nicht ausreichend ist, sondern auch weil es für so viele deutsche Gruppen Bedarf gab, deutsche Gruppen. Diese waren einerseits Schulklassen, aber auch viele BundesfreiwilligendienstlerInnen. Eine der Aufgaben war es, die Gruppen über das Gelände zu führen. Themen dabei waren die Lagergeschichte an sich, Errichtung, warum wer wann und wie das Lager baute, wie die Lebensbedingungen für die Häftlinge waren, Widerstand im Lager aber auch außerhalb, die Vernichtung der europäischen Juden und Jüdinnen, die „Aktion Erntefest“, das größte Massaker in einem Konzentrationslager an Juden und Jüdinnen, Überlebensstrategien der Häftlinge, Häftlingskategorien und Häftlingszwangsgemeinschaft und weitere Themen.
Nach der ca. vierstündigen Führung, bei der die Gruppen ca. fünf Kilometer laufen mussten, hatten sie die Möglichkeit, das Wissen mit Workshopmappen zu vertiefen. Diese Workshopmmappen sind nach verschiedenen Themen sortiert und beinhalten im wesentlichen ZeitzeugInnen-Berichte, wissenschaftliche Abhandlungen über das entsprechende Thema, Biografien, teilweise Zeitungsausschnitte usw. Je nachdem wie lange die Gruppe vor Ort war kam noch ein Zeitzeugengespräch hinzu, eine Stadtführung (die allerdings von meiner Kollegin organisiert wurde) und/oder eine Fahrt nach Bełżec und Zamość. Bei einem Großteil der Aktivitäten begleitete ich die Gruppen. Dabei spielte auch eine Rolle, dass der Großteil der Gruppen die aus Deutschland kamen keine polnisch-Kenntnisse hatten und ich so vor Ort teilweise zur Sprachmittlerin wurde.
Im Vorfeld war meine Aufgabe das Zusammenstellen von Themen und das Heraussuchen von entsprechender Literatur. Hierbei kam mir nicht nur die museumseigene wissenschaftliche Bibliothek zugute sondern auch die Sammlung von ca. 2000 Büchern der SS-eigenen Lagerbibliothek. Als Historikerin die sich auf die Zeit des Nationalsozialismus spezialisiert hat, war dies eine spannende Gelegenheit, mich mit Quellen zu beschäftigen.
Da ich in der Bildungsabteilung gearbeitet habe, hatte ich leider nicht die Möglichkeit in dem Umfang wie ich es mir gewünscht hätte, im Archiv oder bei den Ausstellungen und AusstellungsmacherInnen zu sein. Aber durch verschiedene Programmpunkte der Gruppen gab es auch hierzu manchmal die Gelegenheit. Besonders eindrücklich in Erinnerung ist mir dabei ein deutsch-polnisches Lehrer_innenseminar gewesen: auch diese Seminar hatte Führungen sowohl über das Terrain der Gedenkstätte als auch in der Stadt Lublin, zu Orten nationalsozialistischer Herrschaft in Lublin, aber wir waren auch im Archiv der Gedenkstätte und haben einen Teil des Bestandes gesehen. Das war auch vor allem interessant um zu sehen, wie die Gedenkstätte vor allem in ihrer Anfangszeit (ich hatte bereits erwähnt, dass die Gedenkstätte/das Museum bereits 1944 gegründet wurde) mit den Funden vor Ort umgegangen ist. So sind Fotos, die den Opfern abgenommen wurden, die sie abgeben mussten und die oftmals die ganze Familiengeschichte dokumentierten, weil die Hoffnung auf „Aussiedlung“ oder „Arbeit im Osten“ geschürt wurde, weil die Vorstellung über eine systematische Vernichtung, auch „arbeitsfähiger“ Menschen, trotz des Wissens darum, einfach nicht da war.
Die vor Ort gefundenen Fotos der Familien wurden, weil es noch keine Systematik in der Präservation und Dokumentation gab, in ein Fotoalbum geklebt. Nicht thematisch, nicht nach Orten sortiert, einfach eingeklebt. Also hat man ein Buch in der Hand mit Fotos von Familien, Schnappschüssen, jungen Paaren kurz nach der Verlobung, nach der Hochzeit, junge Frauen in schmucken Kleidern, ältere Menschen flanieren eine Straße entlang, oftmals mit dem Stempel renommierter K.u.k-Fotografie- Ateliers, aber auch andere Orte aus ganz Europa konnten anhand von Stempeln auf den Fotografien ausgemacht werden. Solche Dokumente und Fotos in der Hand zu haben ist interessant, aber macht auch nochmal die Schwierigkeit, die die Arbeit an Stätten nationalsozialistischer Vernichtung mit sich bringt, deutlich.
So wurde für mich die Vorstellung an dieser Stelle besonders präsent, ich habe diese Fotos nur in der Hand, weil die Menschen die Fotos mit nach Majdanek gebracht haben (Sobibór, Bełżec) und vor allem weil sie sie dort abgeben mussten, wertlos weggeworfen durch die Deutschen und deswegen heute noch erhalten, weil nicht alle solche Erinnerungen sofort verbrannt wurden.
Auch ein Album voll mit Kassibern (heimlich geschriebene Notizen die von Zivilarbeitern aus dem Lager geschmuggelt wurden und so viel zur Chronik beitrugen) ist Teil des Archivs, ebenso wie verschiedene Anweisungen, Transportlisten, Auszüge aus Totenbüchern. Das zeigte mir auch nochmal die Vielfältigkeit der Arbeit von Gedenkstätten und Museen dieser Art auf: Gedenkstätten beschäftigen sich nicht nur mit der Präsentation von Geschichte für Schulklassen (mein Schwerpunkt in dieser Zeit innerhalb der Bildungsabteilung) sondern auch und vor allem auch mit Konservierung und Forschung.
Darüber hinaus hatte ich auch die Möglichkeit mit der Abteilungsleiterin der Musealien ins Gespräch zu kommen. Also der Abteilung, die die Habseligkeiten bzw. der Gegenstände, die auf dem Lagergelände von Majdanek, Bełźec und Sobibór gefunden wurden, zufällig oder systematisch bei archäologischen Grabungen, systematisiert, konserviert und katalogisiert, teilweise auch für eine Ausstellung präpariert. Diese Gegenstände werden in unterschiedliche Kategorien eingeteilt, persönliche Gegenstände der Häftlinge, Häftlingskleidung, Gegenstände der TäterInnen, Foltergegenstände, Gegenstände zum Töten. So wurden uns Häftlingshosen (und zivile Häftlingskleidung), Mützen mit pers. Stickereien, die typ. Holzschuhe etc. präsentiert.
Weiterhin Puppen, persönliche Gegenstände wie Kamm, Lippenstift mit sogar noch einem Rest Farbe, Rasierutensilien, Teller der SS die im Lager gefertigt wurden, Schlagstöcke, Peitschen. Für mich besonders eindrucksvoll waren die Schuhe, wo die Abteilungsleiterin (warum auch immer) nur Kinderschuhe mitgebracht hat; kleine Stiefelchen und hübsche Sandalen genauso wie Halbschuhe. Und wieder, ich hatte die nur in der Hand weil die Person, die die ursprünglich getragen hat, nicht mehr lebt, ermordet wurde. Wenn man sich durch das Studium eine (sicherlich zu Großteilen gute) professionelle Distanz antrainiert: dieses Praktikum hat mir in mancher Hinsicht durch solche Erfahrungen neue Dimensionen aufgezeigt und wird durch solche Erfahrungen besonders wertvoll für mich und meine zukünftigen Berufsweg.
Neben der vielen Beschäftigung mit Tod und Vernichtung, die teilweise schwierig war, teilweise Alltag wurde wenn man jeden Tag an der Haltestelle „Majdanek“ aussteigt bzw. am Lager vorbeifährt (welches sich nämlich keine fünf Kilometer vom Stadtkern befindet und schon immer befand), war das Treffen des Vereins der ehemaligen Häftlinge eine willkommene Beschäftigung damit, dass es durchaus auch ein Überleben gab. Bei den wöchentlichen Treffen des Vereins leistete ich Gesellschaft, kochte Kaffee und unterhielt mich mit den ehem. Häftlingen, die zu einem großen Teil zwar nicht Majdanek interniert waren, aber in Kinderkonzentrationslagern v.a. in Zamość und Umgebung. Diese Gespräche waren geschichtlich insofern interessant, als dass das neue IPN-Gesetz, in Deutschland unter dem Namen „Holocaust-Gesetz“ bekannt geworden, oftmals Thema war. Teilweise begleitet ich die Häftlinge bei „Auftritten“, es gab verschiedene Gedenkfeierlichkeiten während meines Aufenthaltes in Lublin. Oft haben wir aber vermeintlich banal über den Alltag und Pierogi geredet.
Wenn es keine Gruppen gab (vor allem im Januar und Februar ist es „traditionell“ eher mau, was maßgeblich dem Wetter geschuldet ist, niemand will bei -10 Grad vier Stunden auf einem windigen Gelände verbringen; einmal hatte ich eine Gruppe bei -18 Grad und das war wirklich für alle Beteiligten eine Herausforderung!) bearbeitete ich eigenständig die Workshoppmappen der Bildungsabteilung. Natürlich hat sich die Geschichte an sich nicht verändert, aber es gibt verschiedene „turns“ innerhalb der Geschichtswissenschaften, bei der Bearbeitung durch Gruppen gehen zwangsläufig Zettel verloren, die in Polen erstellten Mappen habe ich durch eine „deutsche Perspektive“ nochmal angeschaut. Des Weiteren habe ich ebensolche Workshopmappen übersetzt, genauso wie museumseigene Publikationen. Auch das Gegenlesen von Berichten und Publikationen war Teil meiner Aufgaben.
Meine Zeit des Praktikums stand unter dem Einfluss und dem Eindruck der Politik der PiS (Prawo i Sprawiedliwość, Recht und Gerechtigkeit), der „neuen“ Regierung (neu in Anführungszeichen weil sie bereits seit Oktober 2015 an der Macht ist). Diese hat eine dezidiert auf Geschichtspolitik gestützte, nationale Politik und schreckt auch nicht davor zurück, Geschichtspolitik in Gesetzesform zu gießen und bestimmte Gruppen von Opfern der NationalsozialistInnen überproportional hervorzuheben und andere hingegen zu marginalisieren. Die Unterschiedlichkeit von Umgang mit der gewaltvollen Vergangenheit aus deutscher und polnischer Perspektive kam dabei im Gespräch nicht nur mit Kolleg_innen immer wieder zum Vorschein, wobei ich persönlich vmtl. auch keine „typische“ Meinung vertrete.
So war für genügend Gesprächsstoff gesorgt, sowohl am Arbeitsplatz, tatsächlich aber auch informell in der Kneipe oder beim Grillen mit Freund_innen. Außerdem hatte ich direkt vor Ort Gelegenheit, mich mit dem Thema zu beschäftigen, welches ich bereits im Studium auch fokussiert hatte. Ich habe viele neue Eindrücke und Perspektiven auf das Thema gewinnen können und vor allem auch sehen können, welche Aspekte ich bisher in meinen Überlegungen noch nicht berücksichtigt habe.
An verschiedenen Stellen konnte ich dieses Wissen auch professionell erweitern, so bekam ich die Möglichkeit, mich im Rahmen einer „Winter School“ die Krzyżowa/Kreisau durchgeführt wurde mich weiterhin und vor allem mit Kolleg_innen aus Polen und Deutschland zu vernetzen und mich mit diesem, aber auch anderen europäischen Themen wie beispielsweise „Versöhnung“ auseinander zu setzen. Gelernt habe ich vor allem, dass obwohl man die gleichen Schwerpunkte hat, ganz anderer Meinung sein kann und trotzdem sehr fruchtbar diskutieren kann.
Darüber hinaus habe ich auch meine ehrenamtlich durchgeführten Gedenkstättenfahrten angeboten: Gemeinsam mit einer Gruppe aus Deutschland bieten wir an für ein Woche an, gemeinsam das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz zu besichtigen und im Rahmen von Workshops, Museumsbesuchen, eigenständigen Ausstellungsbesuchen etc. sich mit der Thematik auseinander zu setzen. Hier kamen mir vor allem die während des Praktikums vertieften Sprachkenntnisse aber auch die aktuellste Auseinandersetzung zum Thema zu Gute. Generell ergibt es Sinn, sich vor Ort mit der Thematik zu beschäftigen auf die man sich während seines Studiums spezialisiert hat.
Und natürlich spielt auch das Vorhandensein vor Ort eine große Rolle, nicht nur wenn es um den Spracherwerb geht, sondern auch um ein Gefühl für das Leben der Menschen mitzukriegen. In diesem Falle: Wie lebt es sich bspw. Tür an Tür mit einem Vernichtungslager (Majdanek stellt insofern eine Besonderheit dar, weil es anders als die anderen Vernichtungslager nicht weit ab einer größeren Stadt installiert wurde, sondern sehr nah an der Stadt gebaut wurde). Und alltäglich: hier im Osten Polens ist Armut wesentlich sichtbarer, das Verhältnis zur EU (dadurch?) teilweise ein anderes. Manchmal hatte ich auch das Gefühl das „echte“ Polen, was auch immer das sein mag, hier mehr zu finden als im Westen des Landes. Fakt ist jedoch, dass ich häufiger polnisch reden musste, und dadurch mich verbessern konnte, als in bspw. Warschau. Ein Großteil meiner Freizeit bestand darin, durch die Straßen zu spazieren und die neue Stadt zu entdecken.
Insofern war meine Entscheidung, zwischen Bachelor und Master ein Praktikum zur Praxisorientierung und zum Spracherwerb zu absolvieren die komplett richtige Entscheidung. Die Erfahrung möchte ich nicht missen und freue mich, nicht nur die Gelegenheit bekommen zu haben, mich fachlich weiter gebildet zu haben, sondern auch neue Eindrücke, neue Ideen, neue Denkansätze, neue Kontakte und auch neue Freund_innen gewonnen zu haben.
Zur weiterführenden Beschäftigung mit der aktuellen Politik in Polen sei das Dossier von Zeitgeschichte online empfohlen: https://zeitgeschichte-online.de/thema/verordnete-geschichte-zur-dominanz-nationalistischer-narrative-polen (zuletzt abgerufen am 28. Mai 2018)
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