Ich habe mein Pflichtpraktikum im Bachelor Politikwissenschaft bei der Vertretung des Landes Niedersachsen bei der Europäischen Union gemacht. Grund für die Auswahl dieses Praktikumsplatzes war mein großes Interesse an europapolitischen Themen. Ein Praktikum in einer Landesvertretung erschien mir optimal, da ich so die EU aus nächster Nähe, sowie einen Teil der Verwaltung eines Bundeslandes kennenlernen konnte.
Ich hatte hohe Erwartungen an das Praktikum, da ich viele positive Erfahrungsberichte von Praktika aus deutschen Landesvertretungen in Brüssel im Internet gefunden hatte. Dort wurden häufig hervorgehoben, dass die Themen und Tätigkeiten abwechslungsreich seien und das Leben in der „EU-Blase“ etwas Besonderes sei.
Die Landesvertretung Niedersachsens in Brüssel hat vor allem die Funktion eines Informationskanals von den Europapolitischen Vorgängen in Brüssel zur Landesregierung in Hannover. Ein wichtiger Teil der Arbeit der Referent*innen in der Vertretung ist die Mitverfolgung von EU-Gesetzgebungsverfahren, die für die Ministerien in Niedersachsen Relevanz haben und die entsprechende Berichterstattung darüber.
Ich habe vor allem dem Referenten für Innenpolitik zugearbeitet. Er ist einer der Fachreferent*innen der Landesvertretung, die ihrem jeweiligen Ministerium in Hannover Bericht über die Entwicklungen der Europapolitik erstatten. Zudem habe ich manchmal die Referentin für Umweltpolitik unterstützt, da mich ihr Themenbereich persönlich interessierte.
Typische Tätigkeiten während des Praktikums waren etwa das Besuchen von Informations- und Diskussionsveranstaltungen im Umfeld der EU. Diese wurden zum Beispiel von Think Tanks wie dem European Policy Center, Stiftungen wie der Heinrich Böll-Stiftung oder anderen Landes- und Regionalvertretungen ausgerichtet; aber ich habe auch Konferenzen, öffentliche Anhörungen oder Expertengespräche bei den EU-Institutionen oder Veranstaltungen der Fraktionen des EU-Parlaments selber besucht. Meist saßen dort Expert*innen wie Mitarbeiter*innen der EU-Kommission, Botschafter*innen, Wissenschaftler*innen oder Vertreter*innen der Mitgliedstaaten oder Regionen der EU auf den Podien und hielten Vorträge, in denen sie Ihre Position zum Thema der Veranstaltung erklärten. Danach gab es meist noch die Möglichkeit, Fragen zu stellen.
In solchen Veranstaltungen schrieb ich mit und erstellte danach einen Bericht. Dieser wurde dann über den öffentlichen Wochenbericht der Landesvertretung, oder intern per Mail an die Ministerien in Hannover – in meinem Fall das Innen- oder Umweltministerium – weitergeleitet. Ich hatte allerdings auch die Möglichkeit, einfach aus Interesse zu Veranstaltungen zu gehen, was mir sehr gefallen hat. Häufig gab es dabei auch etwas zu essen oder eine „Networking Reception“ mit Getränken, was natürlich gerade die Brüsseler Praktikant*innen gerne nutzen.
Zudem erstellte ich Zusammenfassungen von Berichten und Mitteilungen der EU-Institutionen, wie zum Beispiel einem wöchentlichen Bericht der EU-Kommission über Migrationsbewegungen in Europa.
Eine weitere Besonderheit der Ländervertretungen sind die Arbeitskreise der Bundesländer in Brüssel. In diesen treffen sich die Fachreferent*innen eines Ressorts aller Länderbüros und besprechen aktuelle EU-Gesetzgebungsvorhaben. Oft werden dazu auch Vertreter*innen der EU-Institutionen, der Ständigen Vertretung Deutschlands bei der EU oder weitere Expert*innen eingeladen, um Input zu geben oder sich über die jeweiligen Positionen auszutauschen. Ich habe während meines Praktikums an Sitzungen der Arbeitskreise Inneres und Justiz sowie Umwelt teilnehmen können. Danach habe ich ein Protokoll oder einen Bericht erstellt.
Im Laufe meines Praktikums habe ich fast alle EU-Institutionen besucht: Das Parlament, die Kommission, den Rat, den Ausschuss der Regionen und den Wirtschafts- und Sozialausschuss habe ich alle von innen gesehen.
Die Zusammenarbeit und die Kommunikation mit meinem Praktikumsbetreuer, aber auch der anderen Mitarbeiter*innen empfand ich als sehr herzlich und angenehm. Gerade mit meinem Betreuer, dem Referenten für Innenpolitik, war das Verhältnis sehr gut. Ich hatte zwar viel zu tun, wenn ich eine Aufgabe aber nicht schnell erledigen konnte, war das auch kein Problem.
Während meines Praktikums waren aktuelle Themen im Bereich Inneres: Der EU-Türkei-Deal zwei Jahre nach seiner Einführung und die Reform des EU-Katastrophenschutzmechanismus, im Bereich Umwelt die neue EU-Plastikstrategie und das „Clean Energy Package“ für erneuerbare Energien, und im Allgemeinen der neue mehrjährige Finanzrahmen der EU, und damit auch die Leitlinien für die neue Gemeinsame Agrarpolitik. In all diesen Feldern habe ich an konkreten Beispielen Gesetzgebungsprozesse und den Austausch der verschiedenen Akteure beobachten können. Ich habe so einen detaillierten und praktischen Blick auf EU-Politik erhalten. Besonders spannend fand ich die Art der Gesetzgebung in Brüssel, bei der so viele verschiedene Akteure miteinbezogen werden müssen, dass sogar die mächtige EU-Kommission nur als ein Akteur von vielen gesehen werden kann.
Für meine fachliche, persönliche und berufliche Entwicklung ist das Praktikum ganz klar positiv zu bewerten. Neben den fachlichen Kenntnissen über Migration, Katastrophenschutz aber auch Agrar-, Umwelt-, Energiepolitik habe ich mein Wissen über die EU-Politik erweitert, da ich sie nun in einem lebensnäheren und größeren Kontext sehen kann. Zudem habe ich mein professionelles Auftreten und mein berufsspezifisches Englisch verbessert, da ich auf vielen offiziellen Veranstaltungen als Vertreterin Niedersachsens einen guten Eindruck machen musste. Ich habe sehr häufig komplexe Themen in möglichst kurzen Texten zusammenfassen müssen, nachdem ich mich erst kurze Zeit vorher zum ersten Mal mit diesen Themen befasst hatte. Das fiel mir zu Beginn ziemlich schwer, wurde dann aber leichter.
Als Studentin fand ich es reizvoll, die mir bisher nur aus Texten und aus den Medien bekannten Institutionen und Akteure aus der Nähe zu erleben und an konkreten Gesetzesvorschlägen arbeitend zu beobachten. Mein Erkenntnisgewinn ist daher eine lebensnahe, differenziertere Sicht auf „die EU“, die ja aus verschiedenen Akteuren besteht, und keine einheitliche Institution ist.
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