Ein Erfahrungsbericht von meinem Auslandspraktikum in Schottland
Eigentlich bin ich keine Person, die bisher viel in ihrem Leben gereist ist, vor allem nicht alleine. Aber ich wollte seit Beginn meines Bachelorstudiums im Fach Public Health an der Universität Bremen einen Auslandsaufenthalt miteinbeziehen. Unser Studiengang bietet dafür eine gute Möglichkeit, da im fünften Fachsemester ein Praktikum von mindestens 3,5 Monaten vorgesehen ist. Dieses kann man sowohl im Inland als auch im Ausland durchführen. Es besteht neben dem Praktikum auch die Möglichkeit ein Auslandsstudium zu absolvieren. Ich habe mich bewusst für ein Auslandspraktikum anstatt eines Auslandssemesters entschieden, da ich in einem Praxiseinsatz mehrere Vorteile sah. Ich wollte nach den fachwissenschaftlichen Semestern, die erlernten Theorien und Methoden in der Praxis anwenden. Speziell wollte ich meine bis dato gelernten epidemiologischen Vorgehensweisen, Interpretationen und Berechnungen verwenden, da mich diese Wissenschaft aus unserem Studium am meisten interessiert. Deshalb wollte ich mein Praktikum in einem epidemiologischen Forschungsinstitut absolvieren. Des Weiteren wollte ich durch ein Praktikum Einblicke in die Abläufe und Arbeitsweisen eines Epidemiologie-Instituts erfahren.
Meine Praxiserfahrung wollte ich mit einer Auslandserfahrung verknüpfen, um neben den fachlichen Kenntnissen auch die persönliche Weiterentwicklung zu fördern. Alleine in ein neues Land zu gehen und dort für mehrere Monate zu leben, bietet eine hervorragende Gelegenheit sich selbst zu entwickeln. Außerdem bin ich der Meinung, dass man ab und zu aus seiner Komfortzone ausbrechen sollte, um sich persönlich weiterentwickeln zu können. Ich wollte mithilfe des Auslandspraktikums erreichen, dass ich nach dem halben Jahr stärker, selbstbewusster, offener und unabhängiger bin.
Da die Sprache in der Forschung überwiegend Englisch ist, suchte ich mir ein englisch-sprachiges Land aus. Ich wollte meine Sprachkenntnisse vor allem im Fachenglisch verbessern und dachte mir, dass das Leben und Arbeiten mit englischen Muttersprachlern dafür am besten geeignet ist. Außerdem wollte ich für das Praktikum nicht allzu weit weg, da ich mir die Möglichkeit offen halten wollte, über Weihnachten nach Hause zu fliegen und dass mich Familie und Freunde leichter besuchen kommen konnten. Deshalb habe ich bei meiner Suche nach einem Praktikumsplatz nach Instituten in Großbritannien Ausschau gehalten. Für potentielle Praktikumsstellen gibt es eine Studiengangs interne Liste mit bereits absolvierten Praktika, die ich nach passenden Einrichtungen durchsuchte. Jedoch habe ich auch selbst nach weiteren Instituten recherchiert, deren Forschungsthemen mich interessierten.
Die Epidemiology Group der University of Aberdeen reagierte schnell auf meine Bewerbung und bot mir ein Vorstellungsgespräch über Skype an. Da das Gespräch angenehm verlief und ich hörte, dass ein eigenes Projekt sowie qualitative und quantitative Analysen zu den üblichen Aufgaben eines Praktikanten gehörten, entschied ich mich bereits nach kurzer Zeit, das Angebot anzunehmen.
Ich suchte mir mein WG Zimmer über die Seite gumtree.com. Generell sollte man bedenken, dass die Mieten teuer sind in Aberdeen. Ich hatte ein relativ günstiges Zimmer gefunden, das sich in Uni Nähe befand. Die Bilder sahen gemütlich aus und das Zimmer hatte alle Möbel, die man braucht. Allerdings erlebte ich bei meiner Ankunft eine kleine Überraschung, da die Wohnung ziemlich alt, teilweise kaputt und sehr schmutzig war. Mit meinen zwei Mitbewohnern kam ich gut klar, obwohl wir eher getrennte Wege gingen.
Ich absolvierte mein Praktikum in der Epidemiology Group, die eine Abteilung des Institutes of Applied Health Sciences ist. Das Institut hat seinen Sitz am Foresterhill Health Campus und ist Teil der University of Aberdeen. Im Praktikum durfte ich ein eigenes Projekt bearbeiten und bei einem weiteren Projekt mitarbeiten. Die Angestellten arbeiten in einem Gleitzeitsystem, welches ich als sehr angenehm empfand. Trotzdem fing ich meistens um acht Uhr morgens an, damit ich nachmittags die wunderschöne Landschaft Schottlands mit dem Fahrrad erkunden konnte. In meinem Praktikumsvertrag war eine Wochenstundenzeit von 37,5 Stunden für insgesamt sechs Monate vorgesehen und mir standen 16 Urlaubstage zu, die ich mir frei einteilen konnte. So bekam ich während meines Praktikums bereits „richtige“ Arbeitserfahrungen mit, die mich das sonstige Studentenleben, in dem man sich seine Zeit freier einteilen kann, schätzen lehrte. Andererseits genoss ich am Praktikum, dass ich gegen 16 Uhr fertig war, mein Kopf frei war und ich mich mit anderen Dingen beschäftigen konnte. Außerdem zählte das Wochenende als reines Wochenende und man musste sich nicht für die Uni vorbereiten oder hatte ein schlechtes Gewissen, wenn man es nicht tat.
Ich hatte vor meiner Abreise Bedenken, dass es für mich durch die Entscheidung eines Auslandspraktikums anstatt eines Auslandssemesters nicht so einfach wird Leute kennen zu lernen. Doch diesbezüglich hätte ich mir keine Sorgen machen müssen. Ich hatte das große Glück, dass es neben mir eine weitere Praktikantin gab, mit der ich mich sehr gut verstand und wir viel zusammen gemacht und erlebt haben. Außerdem würde ich jedem Neuling in Aberdeen empfehlen an den Couchsurfer Meetings teilzunehmen. Diese finden jeden Freitagabend in einer anderen Bar statt und es kommen viele internationale Menschen, die ebenfalls neue Leute kennen lernen wollen. Dadurch habe ich auch meinen Freundeskreis in Aberdeen gefunden, mit welchem ich kleinere Trips durch Schottland erlebt habe. Die schottische Barkultur haben wir ebenfalls ausgenutzt und genossen. Aberdeen hat viele gemütliche aber auch moderne Pubs, in denen teilweise auch Livemusik gespielt wird. Allerdings schließen die meisten Bars bereits gegen 12 oder 1 Uhr und Clubs sind maximal bis 3 Uhr geöffnet.
Aberdeen wird auch „Silver City“ genannt, da fast alle Häuser aus Granit bestehen, die in der Sonne glitzern. Aber im trüben Wetter wirkt die Stadt dadurch auch sehr grau und trist. Vor allem der Wind machte mir ziemlich zu schaffen, da ich jeden Morgen mit dem Fahrrad einen langgezogenen Hügel hinauffahren muss, um zum Praktikum zu gelangen. Mein Fahrrad habe ich mir von der universitären Fahrradwerkstatt „becycle“ ausgeliehen. Dort gibt es die Möglichkeit sich für sechs Monate ein Fahrrad für eine Kaution von 40 Pfund auszuleihen. Doch oft sind die Fahrräder in einem eher schlechten Zustand, sodass man an ihnen noch ein bisschen arbeiten muss. Aber es gibt einige freiwillige Helfer, die sehr nett sind und einem zeigen, was zu tun ist. Die Atmosphäre dort ist ziemlich entspannt und es macht Spaß sich sein eigenes Fahrrad zusammen zu basteln. Ansonsten hat Aberdeen schöne alte Gebäude, vor allem die University of Aberdeen ist ein Hingucker. Nicht weit südlich von Aberdeen befindet sich die kleine Küstenstadt Stonehaven, die vor allem aufgrund des Dunnottar Castles ein Abstecher wert ist. Vom Ortsmittelpunkt geht man circa eine halbe Stunde an den Klippen entlang vorbei an einer Kriegsgedenkstätte zu den Ruinen des Schlosses. Im Norden liegt unweit der Ort Newburgh. An diesem liegt ein wundervoller weiter Sandstrand mit einer Seehundbank, bei der sich mehrere hundert Seehunde aufhalten, schwimmen und spielen. Aber auch Orte und Gegenden, die etwas weiter entfernt sind, kann man entweder mit dem Bus erreichen oder man mietet sich einen Mietwagen. Wenn das Auto voll ist, sind die geteilten Kosten auch tragbar. Wer ein Naturliebhaber ist und gerne wandern geht, ist in Schottland sowieso gut aufgehoben.
Natürlich sind mir auch einige Probleme in diesem halben Jahr begegnet. Die Arbeit im Praktikum war sehr anspruchsvoll und viele Dinge musste ich zunächst recherchieren, mich weiter einlesen und mir neue Methoden selbst aneignen. Außerdem galten Abgabefristen und Termine auch für mich, sodass es dann in der Zeit davor auch ziemlich stressig werden konnte. Weitere Schwierigkeiten betrafen das City Council of Aberdeen und das NHS Gesundheitssystem. Aber alle Hindernisse ließen sich schnell klären und bei Angelegenheiten, die ich alleine nicht lösen konnte, halfen mir Arbeitskollegen und Freunde.
Die positiven Erfahrungen in Schottland haben jedoch eindeutig überwogen. Obwohl Aberdeen recht klein ist, ist die Universität sehr international aufgestellt mit vielen ERASMUS-Studierenden pro Semester. Ich lernte viele Einheimische und internationale Menschen kennen, mit welchen ich am Wochenende die wunderschöne Landschaft Schottlands erkundete und die „Pub-Kultur“ auskostete. An den Wochenenden versuchten wir kleinere Trips zu unternehmen, um auch außerhalb Aberdeens Schottland und seine eindrucksvolle Natur kennen und lieben zu lernen. Es war wunderschön mit dem Auto durch Schottlands kleine Straßen zu fahren und anzuhalten, wo immer wir es schön fanden, um dort wandern zu gehen. Für mich ist Schottland vor allem wegen der eindrucksvollen Natur so attraktiv. Selbst im Winter kann man viele Wanderrouten problemlos bewerkstelligen. Während meiner Zeit in Schottland konnte ich wahre Freundschaften knüpfen, die hoffentlich auch über lange Zeit halten werden und ich war definitiv nicht das letzte Mal in Schottland.
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