Im Frühjahr 2017 absolvierte ich, unterstützt durch Erasmus+ ein ca. zweimonatiges Praktikum bei einer Abgeordneten der Labour Fraktion im Schottischen Parlament. Gerade durch Erasmus lief die Vorbereitung sehr problemlos, die einzige etwas problematische Variable stellt die Wohnungssuche dar, verschiedene Internetportale vereinfachen aber auch diese erheblich.

Praktikumssuche und Erasmus-Förderung
Für ein Praktikum in Schottland habe ich mich aus generellem Interesse an der schottischen Politik und dem Wunsch nach weiteren Auslandserfahrungen entschieden. Die Bewerbung ging eher formlos von statten. Auf der Internetseite des Schottischen Parlaments sind die Kontaktdaten aller Parlamentarier verfügbar – für mich kamen für ein Praktikum vor allem die Abgeordneten der Labour-Fraktion und der Fraktion der Scottish National Party (SNP) in Frage, meine Präferenz lag aber klar bei der Labour Fraktion. Praktika werden von Seiten der Abgeordneten wohl eher selten ausgeschrieben, daher muss man sich initiativ bewerben. Bei der Bewerbung gilt meines Erachtens: Die Masse macht‘s. Ich habe mich insgesamt bei weit über zehn Abgeordneten beworben – hier immer mit dem gleichen bzw. je nach Partei abgestimmten Text und angehängtem Lebenslauf. Meine Anfragen wurden in der Regel auch recht zügig beantwortet, größtenteils natürlich negativ. Die Zusage von Pauline McNeill, einer Listen-Abgeordneten aus Glasgow, kam nicht direkt, es wurde zunächst bloß Interesse bekundet. Es folgte für einige Monate mehr oder weniger reger E-Mail-Kontakt, unter anderem da noch einige Formalien geklärt werden mussten: Unter anderem musste für die endgültige Zusage die Finanzierung geklärt werden, da das Praktikum zwar einerseits nicht bezahlt werden konnte, andererseits die Finanzierung aber gesichert sein muss, damit eine Abgeordnete der Labour-Fraktion guten Gewissens einen Praktikanten einstellen kann. Nachdem mir von Seiten des International Office in Bremen zugesichert wurde, dass eine Bewerbung auf Förderung durch Erasmus+ bei einer gültigen Zusage für ein Praktikum innerhalb der EU nur im Ausnahmefall abgelehnt wird, erhielt ich im Februar 2017 schließlich die endgültige Zusage für ein Praktikum vom 16. April bis zum 23. Juni desselben Jahres. Die Planung wirkt durch die späte Zusage zwar recht kurzfristig, von Hamburg nach Edinburgh stehen aber meist sehr preiswerte Flüge zu Verfügung, zwei bis drei Monate Planung genügen meinem Empfinden nach also völlig. Mit der Zusage hatte ich auch alle nötigen Unterlagen für die Erasmus-Bewerbung beisammen, die Zusage für das Stipendium erfolgte dann nur einige Wochen später.

Weitere Vorbereitungen
Die Flüge waren schnell gebucht und gesonderte Einreisebestimmungen, wie Visa oder Arbeitserlaubnis gibt es dank der noch-Mitgliedschaft Großbritanniens in der EU auch nicht. Kurz vor der Abreise sollte man ich allerdings beim Einwohnermeldeamt in Deutschland abmelden (in Großbritannien selber gibt es keine Meldepflicht). Der Kontakt mit dem Abgeordnetenbüro war sehr gut, auch die nötigen Unterschriften auf dem Learning Agreement und ähnlichem waren schnell besorgt, so war auch die erste Rate des Erasmus-Stipendiums schnell überwiesen.

Ein Aspekt, der mir für eine Weile etwas Kopfzerbrechen bereitet hat, war die Wohnungssuche. Dies lag allerdings vor allem an den, für Bremer Verhältnisse, sehr hohen Preisen für Wohnungen und WG-Zimmer in Edinburgh. Die beiden Portale, die ich auch sehr weiterempfehlen kann sind Gumtree und Spareroom. Mein Zimmer habe ich letztlich nach einigen Skype-Interviews bei WG’s, die entweder zu weit außerhalb oder aber sehr zentral und zu teuer waren, über Spareroom gefunden. Hier lohnt sich glaub ich für eine Woche, sich einen Premiumaccount anzuschaffen. Dies kostet zwar um die 11 Pfund pro Woche, ermöglicht einem aber Anzeigen früher zu kontaktieren als andere und das eigene Gesuch ist sichtbarer. Die Notwendigkeit so einen Premiumaccount einzurichten ist natürlich sehr frech, hat sich für mich aber gelohnt. Mein Zimmer befand sich in einer reinen Studenten-WG, war ca. eine halbe Stunde zu Fuß vom Stadtzentrum entfernt und hat inklusive Nebenkosten um die 400 Pfund gekostet. Die Miete war im Vergleich wohl noch relativ billig, ausgehend von den Wohnungsangeboten, die ich gesehen habe, muss man für ein Zimmer in relativ zentraler Lage sicherlich mit 400 bis 500 Pfund rechnen.

Das Praktikum
Bis zu dem Praktikum hatte ich selber keine Erfahrung mit Parlamentsarbeit im eigentlichen Sinne gemacht und war entsprechend gespannt. Ein Großteil der Arbeitstage verbrachte ich im Parlamentsbüro in Edinburgh, hierfür erhielt ich, nach Sicherheitscheck, eine eigene Zugangskarte, mit der ich prinzipiell jeder Zeit ohne gesonderte Sicherheitskontrolle kommen und gehen sowie mich innerhalb des Gebäudes problemlos bewegen konnte. Während des Praktikums war ich Teil des dreiköpfigen Teams in den beiden Büros von Ms McNeill. Montags und freitags kam das Parlament selber nicht zusammen und alle Büromitarbeiter arbeiteten im Wahlkreisbüro in Glasgow. An diesen Tagen konnte ich mir aussuchen, ob ich im Parlamentsbüro oder von zu Hause arbeiten möchte. Zudem standen, wider Erwarten während meines Praktikums zwei Wahlen an: Die Council Election (vergleichbar mit der deutschen Kommunalwahl) im Mai und die Unterhauswahl Anfang Juni. Diese waren für mich unerwartet, da ich von ersterer schlicht nichts wusste und letztere zum Zeitpunkt der Zusage noch nicht angekündigt war. Zwecks Wahlkampf, für Kandidaten der Labour-Party in Glasgow, arbeitete ich dann auch einige Male vor Ort.

Meine Beschäftigung im Parlament war im Prinzip dreigeteilt: Zum einen wurde ich als ‚Zuschauer‘ zu diversen Sitzungen und Besprechungen mitgenommen oder konnte diesen im Büro selber beiwohnen. Hierbei handelte es sich um Treffen des Plenums im Parlament selber, Committees (vergleichbar mit Ausschüssen des Deutschen Bundestags) und sogenannten Cross Party Groups (CPG), ähnlich wie die deutschen Enquete-Kommissionen setzen sich diese aus Vertretern verschiedenen Fraktionen des Parlaments und Vertretern verschiedener Interessengruppen und/oder Unternehmen zusammen. Auch bei informellere Treffen mit Kollegen, Mitarbeitern und Vertretern von Interessengruppen und Unternehmen war ich oft dabei. Außerdem wurde ich an der täglichen Parlamentsarbeit, bestehend aus kleineren und größeren Aufgaben, die in der täglichen Routine anfallen, beteiligt. Diese Aufgaben reichten von Kaffeekochen, über den E-Mail Kontakt mit Wählern und anderen Interessenten bis hin zu anspruchsvolleren Aufgaben wie dem Schreiben von Anträgen und Parlamentarischen Fragen, allgemeine Recherche sowie der Hilfe beim Schreiben von Reden. Gerade letzteres hat großen Spaß gemacht, die Früchte dieser Arbeit wurden, dann auch oft direkt genutzt. Ein drittes Aufgabenfeld war das eigenständige Schreiben eines längeren Papers über ein für die Parlamentsarbeit relevantes Thema. Aufgrund des Fokus von Ms McNeill’s Arbeit auf den Wohnungsbau, entschied ich mich, über sozialen Wohnungsbau in Schottland zu schreiben.

Demonstration vor dem Schottischen Parlament mit Nicola Sturgeon (First MInister Schottlands)

Ein Highlight meines Aufenthalts stellte die Tage dar, an denen ich in Glasgow beim Wahlkampf assistiert habe. Der Wahlkampf selber bestand größtenteils (oder fast ausschließlich) aus „Klinkenputzen“, also dem direkten Austausch mit potentiellen und/oder tatsächlichen Labour-Wählern. Hierbei handelte es sich eher um Mobilisierungswahl-kampf als um Überzeugungswahlkampf – von denjenigen Wähler, mit denen man Kon-takt hatte, wusste man häufig, dass sie geneigt sind sowieso Labour zu wählen. Diese Arbeit war anfangs sehr fordernd und hat viel Überwindung gekostet. Dies lag zum einen an der Herausforderung der politischen Diskussion unter diesen Umständen generell und zum anderen auch an der Sprachbarriere, d.h. in englischer Sprache doch eher schwierig zu führenden Diskussionen, wenn man mit der Materie nicht zu hundert Prozent vertraut ist. Wirklich schlechte Erfahrungen habe ich allerdings nicht gemacht. Tatsächlich hat der Wahlkampf letztendlich sehr viel Spaß gebracht, man hat im direkten Kontakt mit den Wählern doch sehr viel über die politische Kultur und die Stimmung im Land erfahren. Das Wahlkampfteam, das oft auch den Kandidaten selber beinhaltete, hat einen sehr gut aufgenommen – auch dieser Kontakt und die Stimmung unter engagierten und überzeugten Aktivisten war sehr interessant und bereichernd.

Unter Umstände negativ zu erwähnen wäre die Kommunikation in inhaltlicher Hinsicht im Büro. Ich wurde zwar, wie bereits erwähnt, oft bzw. fast immer und ohne Zurückhaltung zu den meisten Treffen, Besprechungen und Sitzungen eingeladen, die gesonderte Kommunikation von dem, worum es eigentlich geht, kam allerdings gelegentlich zu kurz. So hatte ich oftmals keinerlei Vorkenntnisse des diskutierten Gegenstandes und konnte mich entsprechend auch nicht einbringen. Dies lag wohl zum Teil auch an sprachlichen Schwierigkeiten (auch mit guten Englischkenntnissen ist der schottischen Dialekt doch oft eher schwierig zu verstehen) und hat mir insgesamt manchmal das vollumfängliche Verständnis aller Vorgänge erschwert. Dies mindert aber nicht meinen sehr guten Eindruck von der Arbeit insgesamt.

Leben in Edinburgh
Leben und Freizeitgestaltung in Edinburgh sind sehr angenehm. Edinburgh ist zwar eine Großstadt, wirkt aber insgesamt recht beschaulich. Viele Teile der Stadt sind sehr studentisch geprägt – viele Restaurants, Bars und Cafés haben eindeutig eine studentische Zielgruppe und man fühlt sich sehr wohl. Schottland ist insgesamt sehr sehenswert, neben Edinburgh ist natürlich Glasgow einen Besuch wert; die Stadt wirkt etwas ‚urbaner‘ und großstädtischer als Edinburgh. Der Norden Schottlands ist vor allem landschaftlich sehr schön – verschiedene Orte in den schottischen Highlands oder einer der vielzähligen Städte an der Küste sind sehr beeindruckend. Reisen kann man relativ preiswert per Bahn und Bus. Generell sind die Preise in Edinburgh wohl etwas höher als in Deutschland, wenn man viel selber kocht und eher in den billigeren Supermärkten einkauft, sind Lebensmittel aber erschwinglich und es ist keine größere Umstellung gefragt.

Blick über Edinburgh

Fazit
Insgesamt kann ich jedem, ausgehend von meiner Erfahrung, ein Praktikum im europäischen Ausland empfehlen. Erasmus+ nimmt einem in Finanzierung und Organisation einiges ab und macht die Planung sehr viel einfacher. In Wohnungssuche und genereller Freizeitgestaltung muss man, wohl wie bei jedem Umzug in eine neue Stadt, einige Energie stecken; der Aufwand ist es aber auf jeden Fall wert und ich habe während meines Aufenthaltes einige unvergessliche Erfahrungen mach dürfen. Jeder, der sich für europäische Politik interessiert wäre bei einem Praktikum, ähnlich zu dem, wie ich es absolviert habe, sehr gut aufgehoben. Die Erfahrung hat einen sehr guten Gegenpol zu der sehr akademischen Arbeit des Studiums gebildet und hat mir viel Orientierung auch in Hinblick auf die künftige Berufswahl gegeben.

Loch Ness in den Schottischen Highlands