EINLEITUNG
1. Das Roots-Programm wendet sich zunächst für alle Studierende mit türkischsprachigem Hintergrund. Es verspricht seine Türkischkenntnisse mit verschieden Vorbereitungsmodulen zu professionalisieren und dieses mit einem Auslandssemester abzuschließen. Roots hatte ich zufällig auf der Uni-Homepage entdeckt und fühlte mich aufgrund meiner türkischen Wurzeln sofort angesprochen. Daraufhin habe ich Nurten Kurnaz kontaktiert und in einem Treffen konnten wir uns darüber austauschen. Das Programm ist außerdem zeitlich sehr flexibel, weshalb ich mich dazu entschlossen habe dafür anzumelden. Mein Ziel war es in erster Linie mithilfe des Roots-Programms mich auf mein Praxissemester in der Türkei sowohl sprachlich auch als kulturell vorzubereiten.
2. Die Sprachschule New York Studio of Languages in Istanbul wurde 1998 von Prof. Dr. Solmaz Ayarslan gegründet und ist in drei verschiedenen Standorten in Istanbul (Taksim, Kozyatagi und Bagdat Caddesi) tätig. Neben English, Deutsch, Französisch, Spanisch, Italienisch, Russisch, Arabisch und Türkisch werden viele andere Sprachen angeboten. Das Ziel des Unternehmens ist dabei den Anforderungen der Kunden sowohl sprachlich als auch schriftlich zu entsprechen, wobei alle Lehrer Muttersprachler sind. Zielgruppen sind Unternehmen, die auf internationaler Ebene arbeiten sowie Personen wie Jugendliche und Erwachsene. Es werden Kurse in Gruppen sowie als Einzelunterricht angeboten. Außerdem finden die Kurse entweder in den Klassenräumen der Sprachschule, in Unternehmen oder aber auch privat zu Hause statt. Die Teilnehmeranzahl in den Gruppen ist mindestens drei und maximal neun, wobei dies auch je nach Wünschen der Kunden variieren kann. In der Hauptfiliale gibt es verschiedene Bereiche wie Personalwesen, Rechnungswesen, Bildung, Beratung, Filialleitung sowie Bildungsmanagement.
3. Meine persönlichen Erwartungen an das Praktikum in der Sprachschule New York Studio of Languages richteten sich vor allem auf den Erwerb von studien- und berufsrelevanten Auslands- und Praxiserfahrungen. Da sich mein Studiengang mit der allgemeinen Sprachwissenschaft beschäftigt und Türkisch zudem meine Muttersprache ist, war die Erwachsenenbildung vor allem in der Türkei für mich ein interessanter Tätigkeitsbereich, indem ich die Möglichkeit hatte viele theoretische Kenntnisse in der Praxis direkt und sinnvoll zuordnen zu können und zu beobachten. Dabei konnte ich ebenfalls die deutsche Sprache gezielt anwenden um bestimmte organisatorische Tätigkeiten durchzuführen.
Englisch konnte ich sowohl sprachlich als auch schriftlich verbessern. In der Türkei wollte ich somit zunächst Erfahrungen im Berufsleben sammeln. Dabei sollten kulturelle Unterschiede sowie Konflikte kennengelernt und versucht werden damit umzugehen. Auch wollte ich meine Türkischkenntnisse sowohl schriftlich als auch mündlich professionalisieren. Außerdem hatte ich die Möglichkeit das Verhalten verschiedener Schüler beim Umgang mit unbekannten Sprachen zu beobachten und zu analysieren. Ich konnte Lehrern dabei zusehen, wie sie in der Erwachsenenbildung tätig waren und teilweise Konflikte professionell gelöst haben. Einer der wichtigen Punkte war für mich die türkische Sprache und ihre Anwendung in verschiedensten Situationen und Bereichen des Alltags. Zuletzt konnte ich auch mich selbst dabei beobachten, ob ich als „Deutsch-Türkin“ im türkischen Alltag auffällig wurde oder ob ich mich ohne Probleme anpassen konnte.
4. Am Donnerstag, den 01. September 2016 begann mein Praktikum um 09.30 Uhr in der Sprachschule in Istanbul. Noch bevor Beginn des Praktikums erkundigte ich den Ort der Sprachschule um am ersten Tag nicht in Hektik zu geraten, aber trotzdem fühlte ich mich am ersten Tag sehr unangenehm während ich mit der Metro zu meiner zukünftigen Praktikumsstelle fuhr. Ich hatte Angst, weil ich nicht wusste was mich dort erwarten würde und ich überhaupt die geforderten Erwartungen erfüllen konnte. Zu Beginn wurde ich von einer Mitarbeiterin in das Team eingeführt. Sehr angenehm fand ich die Art, wie ich in das Unternehmen eingeführt wurde. Nach einer Vorstellung aller Mitarbeiter begann meine Einarbeitungsphase. Eine erfahrene Mitarbeiterin hat mir dabei geholfen das System vorzustellen und war bis zum Ende meine Ansprechpartnerin für allgemeine Rückfragen. Nach dieser kleinen Führung lernte ich das Team kennen, mit dem ich die nächsten Monate zusammenarbeiten durfte. Dieses bestand aus 20 Mitarbeitern ohne Lehrer und Schüler, die mich sofort sehr freundlich aufnahmen und bei Bedarf unterstützend zur Seite standen. Als erstes machte ich mich mit der neuen Arbeitsumgebung vertraut und lies mir vieles erklären.
Danach wurden mir verwendete Materialien und Programme näher gebracht und ich konnte einen ersten Eindruck über die allgemeinen Abläufe innerhalb des Unternehmens gewinnen. Nach ein paar organisatorischen Details, konnte ich bereits anfangen zu arbeiten. In der ersten Woche wurde ich durch verschiedene Mitarbeiter intensiv eingearbeitet. Ich lernte in erster Linie alle Deutsch- und Englischbücher und deren Aufbau kennen. Das Führen von Klassenbüchern, das Kennenlernen von Lehrern und die Beobachtungen der Klassen gehörten ebenfalls in die Einarbeitungsphase. Schon bereits zu Anfang des Praktikums konnte ich auch an einem Seminar außerhalb des Unternehmens teilnehmen. Inhaltlich ging es dabei darum wie man auf Englisch Telefongespräche führen und Präsentationen halten kann. Meine wöchentliche Arbeitszeit betrug 45 Stunden. Die tägliche Arbeitszeit war von 09.30 Uhr bis 19.30 Uhr.
5. Die Bildungsabteilung in der Sprachschule New York Studio of Languages beschäftigt sich hauptsächlich mit der Kontrolle, Beobachtung sowie der Zufriedenheit der Kunden als auch der Lehrer. Außerdem ist die Vorbereitung des Unterrichtsmaterials, die sprachliche Entwicklung der Schüler, Klausurvorbereitung, Auswertung und die Organisation Teil dieser Abteilung. Als Praktikantin konnte ich an allen Tätigkeitsbereichen teilnehmen und durfte teilweise große Verantwortungen von verschiedensten Aufgaben tragen. Zwar war diese Verantwortung eine Herausforderung für mich, jedoch war ich damit sehr zufrieden. Für mich war vor allem die Möglichkeit eigene Klassen und Schüler von Anfang bis zum Ende zu begleiten sehr interessant. Dadurch konnte ich viele Erfolge einzelner Schüler aber auch das Scheitern beobachten und mögliche Gründe schlussfolgern. Ich besuchte wöchentlich verschiedenste Klassen mit verschiedenen Niveaus und beobachtete die Schüler, ihre Teilnahme sowie die Unterrichtsgestaltung der Lehrer 40 Minuten lang. Meine Beobachtungen und Analysen teilte ich ebenfalls mit den Schülern um ihnen ein Feedback geben zu können. Auch wurden regelmäßig wöchentlich Gespräche mit Lehrern geführt um die Zusammenarbeit zu verstärken. Das Ergebnis habe ich täglich mit meinem Betreuer, dem Leiter der Bildungsabteilung mitgeteilt, sodass wir uns über mögliche Verbesserungen austauschen konnten. Außerdem besuchte ich den Unterricht auch außerhalb der Sprachschule verschiedene Firmen beispielsweise Banken, eine Mode-Akademie und Haribo.
Insgesamt waren alle Tätigkeiten sehr abwechslungsreich und interessant. Ich konnte zu allen Themen viele Fragen stellen und mein Ansprechpartner war immer bereit, Fragen detailliert zu erklären.
REFLEXION INTERKULTURELLER SITUATIONEN
6. Als Türkeistämmige aus Deutschland fühlte man sich zunächst fremd, da man einer ganz anderen Kultur begegnet und sich in einer nicht gewohnten Umgebung befindet. Folgende Gemeinsamkeiten konnte ich beobachten: Jugendliche verbringen in Ihrer Freizeit viel Zeit gemeinsam draußen. Sportliche Aktivitäten bleiben zwar häufiger im Hintergrund, jedoch sind sie viel unterwegs. Im beruflichen Leben steht Disziplin an erster Stelle. Ein gutes Erscheinungsbild wird nahezu immer vorausgesetzt. Außerdem legt man sehr Wert auf gute Verhältnisse zwischen den Arbeitskollegen. Einige Unterschiede wie beispielsweise bezüglich der Pünktlichkeit konnte ich feststellen. Für mich persönlich hat sich somit auch das Klischee, dass die Pünktlichkeit in Deutschland an erster Stelle steht, bestätigt. Sowohl im privaten Leben als auch im Berufsleben neigt man in der Türkei oftmals dazu nur ungefähre Zeitangaben zu nennen. An dieses Verhalten hat man sich teilweise anzupassen um möglichen Konflikten aus dem Weg zu gehen. Im Endeffekt war aber keiner der Verhaltensweisen völlig fremd.
7. Der Kontakt zu Ortsansässigen verlief jedes Mal ganz interessant. Da ich in einer Sprachschule tätig war, hatte ich viel Kontakt zu Lehrern und habe sehr viele neue Schüler kennengelernt. Somit hatte ich die Möglichkeit ganz verschiedene Persönlichkeiten kennenzulernen, jedoch habe ich mit keinem der Personen negative Erfahrungen gemacht. Ganz im Gegenteil waren alle offen, hilfsbereit und daran interessiert, mehr über Deutschland zu erfahren. So fand oftmals ein Kulturaustausch statt indem wir uns gegenseitig unsere Meinungen geäußert haben. Jeder der Mitarbeiter, Lehrer und auch Schüler begegnete mir äußerst freundlich und ich hatte das Gefühl, als vollwertiges Teammitglied angesehen zu werden. Meine Arbeitskollegen nahmen sich jederzeit sehr viel Zeit für mich, sodass ich viel lernen und viele positive Erfahrungen mitnehmen konnte. Zudem hatte ich das Glück, dass am Ende abseits des Arbeitsalltags eine Betriebsfeier für mich zum Abschied organisiert wurde.
Anzumerken ist, dass der Ort meines Praktikums perfekt war. Ich war in Taksim in Istanbul tätig und somit in direkter Weise mit der türkischen Sprache im Berufsleben sowie im Privatleben konfrontiert. Ich fühle mich nun nach sechs Monaten viel bewusster im Umgang mit der türkischen Gesellschaft, sowohl schriftlich als auch sprachlich. Im Allgemeinen bin ich also viel stärker motiviert.
8. Ein schönes Ereignis war für mich das gemeinsame Essen mit meinen Arbeitskollegen. Jeden Monat wurde dieses Essen organisiert und alle Mitarbeiter hatten Essen mitgebracht, die sie zu Hause selbst zubereitet hatten. Von mir wurde gebeten, Essen aus der deutschen Küche mitzunehmen. Währenddessen kam es jedes Mal zu interessanten Gesprächen zwischen den beiden Kulturen und deren Gewohnheiten. Ich konnte viel über Verhaltensweisen und Gewohnheiten in Deutschland erzählen und wir stellten auch viele Gemeinsamkeiten fest. Zudem habe ich gemerkt, dass ich nicht das Gefühl hatte, zu viel gearbeitet zu haben. Mir hat die Arbeit Spaß gemacht und ich fuhr jeden Tag mit reinem Gewissen und großer Lust nach Taksim. In kurzer Zeit war die Praktikumsstelle wie ein weiteres zu Hause.
GESAMTREFLEXION
9. Besonders begeistert an dem Unternehmen haben mich die sehr flachen Hierarchien und die äußerst effiziente Organisation. Ich war als Praktikantin in jeder Situation beteiligt und habe teilweise große Verantwortungen getragen. Dass ich dazu beigetragen habe, dass Schüler eine Fremdsprache erfolgreich lernen können, war im Endeffekt wie ein Geschenk für mich. Letztendlich hatte ich die Möglichkeit, einen Einblick in Geschehnisse zu erlangen, die ich im Studium in der Theorie nicht oder nur sehr schwierig kennenlernen konnte. Zudem hatte ich bisher wenig direkten Kontakt zu Lehrern und Schülern, was sich während der Tätigkeit änderte. Besonders wichtig für eine schnelle und sachgerechte Aufgabenerfüllung meinerseits war das Verständnis der Unterrichtsorganisation innerhalb und außerhalb des Unterrichts. Des Weiteren ist umfassendes Wissen bezüglich Lehrer-Schüler-Kommunikation, Fremdsprachen, Erwachsenenbildung sowie Sprachverhalten die Grundlage für erfolgreiches Arbeiten innerhalb einer Sprachschule. Alle meine Arbeiten konnte ich eigenverantwortlich und selbstständig durchführen.
Hatte ich Fragen, so konnte ich mich jederzeit an meinen Abteilungsleiter oder anderen Arbeitskollegen wenden. Alle nahmen sich viel Zeit, um alle meine Fragen zu beantworten und mir zu helfen. Des Weiteren konnte ich in intensiven Gesprächen mit meinen Mitarbeiten viel fachspezifisches Wissen erlangen. Das Praktikum hat mir gezeigt, dass die Erwachsenenbildung nur ein kleiner Teil der allgemeinen Sprachwissenschaft ausmacht, dies jedoch trotzdem in diesem Studiengang vertreten wird. Reines Auswendiglernen von theoretischen Texten reicht allerdings nicht aus, hilft jedoch dabei sich eine gewisse Vorstellung darüber zu machen. Da man ständig neuen Herausforderungen gegenüberstehen kann, ist dieser Beruf sehr vielseitig und deshalb ist es wichtig, dass man auf Veränderungen dementsprechend reagieren kann. Man muss also gewillt sein, sich ständig fortzubilden, da man komplexen Aufgaben sonst hoffnungslos überfordert gegenüber steht.
10. Der Auslandsaufenthalt hat in einiger Hinsicht meinen Blick auf die eigene Kultur verändert. Im Allgemeinen kann ich die Menschen und ihre Verhaltensweisen nun besser verstehen und brauch nicht alles zu hinterfragen und nach einer Erklärung zu suchen.
Dass dort Spontanität und Offenheit herrscht, bestätigt meine Meinungen über die Kultur jedoch trage ich diese interkulturellen Erfahrungen seit meiner Rückkehr mit in meinem Alltag. Ich bin offener und weniger pessimistisch geworden, wobei Spontanität sich nicht in meinem Lebensstil in Deutschland angepasst werden kann. Ich habe gelernt, dass es wichtig ist, sich selbst aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten, denn gelegentlich ist man selbst von seiner persönlichen Meinung dermaßen überzeugt, dass man eventuell andere Meinungen nicht beachtet oder diese sogar komplett ignoriert und nicht akzeptiert obwohl sie ebenfalls richtig sein können. Ein anderes Problem sind die Konfliktsituationen, in denen man teilweise keinen Lösungsweg findet. Auch hier ist es hilfreich, sich von außen zu betrachten um so mögliche Hindernisse festzustellen und sich seinen Lösungsweg zu erleichtern.
11. Vor dem Praxissemester war ich der Meinung, dass es mir als Türkeistämmige oft schwerfällt einen Blick von „außen“ zu haben und einige Situationen von außen zu betrachten und zu bewerten.
Auch die Anpassung war ein wichtiger Punkt für mich, da man versuchen muss, sich der jeweiligen Situation gut anzupassen ohne von der eigenen Identität und den eigenen Werten und Normen abzuweichen. Nun bin ich überzeugt, dass ich Konfliktsituationen gut lösen kann ohne dabei mein Gegenüber zu verletzen. Das Praktikum hat außerdem meine sprachlichen Kenntnisse gefördert. Während ich zuvor die türkische Sprache nur in der Alltagssprache sprach, beherrsche ich nun die formelle Sprache in Schrift und Sprache. Insgesamt fühle ich mich in dieser Sprache sicherer und selbstbewusster, wobei das Praktikum auch meine Englischkenntnisse gefördert hat, da ich viel mit Englischlehrern gearbeitet habe, die kein Türkisch sprechen konnten.
12. Die Teilnahme am Roots-Programm bietet den Studierenden mit türkischsprachigem Hintergrund eine gewisse Sicherheit sowohl in der Sprache als auch in der Kultur. Ich war in jeder Hinsicht auf die türkische Kultur vorbereitet. Außerdem hatte man durch die Teilnahme am Roots-Programm die Möglichkeit andere Studierende mit türkischsprachigem Hintergrund kennenzulernen. Auch sie berichteten über verschiedenste Erfahrungen, sodass wir uns gegenseitig austauschen konnten. Ich kann und werde jedem anderen Studierenden, der denselben oder ähnlichen Praktikumswunsch in der Türkei verfolgt, mit gutem Gewissen zu einer Teilnahme am Roots-Programm raten.
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