Ich habe mich für ein Auslandspraktikum entschieden, da ich echte Arbeitserfahrungen an einer Schule sammeln wollte und generell ein praxisbezogener Mensch bin und nicht so viel für Theorie übrig habe. Einen Praktikumsplatz in meinem Wunschland Irland zu finden, stellte sich jedoch als schwieriger heraus als gedacht. Die Schule, die an meiner Universität aushing, eine katholische Mädchenschule, sagte mir nicht wirklich zu, weswegen ich auf eigene Faust online Webseiten von Schulen in Irland aufgerufen habe, bis ich mich für ein Dutzend dieser frei beworben hatte. Von fünf bekam ich eine Rückmeldung, zwei Schulen hatten noch Praktikumsplätze frei (circa fünf Monate vor Praktikumsbeginn). Ich entschied mich letztendlich für eine Grundschule in Monkstown, obwohl ich Gymnasiallehramt studiere, da ich darin eine Chance sah, durch weitere Erfahrungen in diesem Bereich meine Wahl zu reflektieren. Diese Entscheidung blieb nicht ohne Folgen für mein Bild meiner beruflichen Zukunft und des Grundschullehramts.
In der Vorbereitung auf das Praktikum hatte ich sehr viele Bedenken. Für mich war es sehr ungewohnt, so lange so weit weg von Familie und Freunden zu sein, weswegen ich leider ein wenig Angst vor meinem Auslandsaufenthalt und recht wenig Vorfreude hatte. Ich wollte die Zeit ohne Familie und Freunde einfach schnell herumbekommen. An meinem ersten Abend in Irland fühlte ich mich nicht wirklich wohl und ich konnte auch mit meinen Hosts nicht wirklich auskommen, weswegen ich nach kurzer Zeit umgezogen bin, was reibungslos über die Plattform „Homestay“ ablief. Die finanzielle Unterstützung von ERASMUS deckte bei mir in Irland, eines der teuersten Länder in Europa, etwa einen Drittel aller Kosten ab. Wer bei den öffentlichen Verkehrsmitteln im County Dublin sparen möchte, der sollte sich eine sogenannte ‚Leap Card‘ anschaffen. Das ist eine Art Guthabenkarte, auf die man nach einmaligem Kauf (5€) Geld einzahlt und dann bei jeder Fahrt circa 20% der Kosten spart. Das Netz für öffentliche Verkehrsmittel im Süden von Dublin ist sehr gut. Man kommt mit dem Bus, mit dem Luas und dem DART überall in der Region hin. Der Transfer vom und zum Flughafen lief sehr einfach wie verlässlich über den ‚Aircoach‘ ab.
Meine Schule, eine Grundschule in einer kleinen Hafenstadt südlich von Dublin, gab mir von Anfang an ein wahrlich spezielles familiäres Gefühl. Man hat mich sofort wundervoll aufgenommen und wie einen gleichwertigen Kollegen behandelt. Die Grundschule ist auch für das irische Schulsystem eine besondere. Sie ist eine ‚Educate Together‘ Schule, in der Vier- bis Elfjährige (Vorschule bis sechste Klasse) aller Geschlechter und Religionen gemeinsam unterrichtet werden. Was in Deutschland normal klingt, ist in Irland noch eine Seltenheit, auch wenn die Anzahl in den letzten zwei Dekaden immer größer wird. 2018 gab es 84 Grundschulen dieser Art auf der Insel, welche circa 4,6% aller irischen Grundschüler unterrichten, was nach Aussage einer Kollegin bereits als großer Erfolg angesehen wird.
Ebenso „besonders“ war es nach Aussage der Konrektorin im noch relativ stark katholisch geprägten Irland, dass in der Schule der Ethos „Inklusion“ gelebt wird und so in jeder Klasse im Durchschnitt vier bis fünf Kinder gab, die besondere Bedürfnisse haben. Aufgrund dieser Umstände waren stets zwei Lehrkräfte in einer Klasse, eine Hauptlehrkraft und eine Lehrkraft mit besonderer Ausbildung als „Special Needs Assistant“ (SNA). Den letztgenannten Lehrkräften nahm ich oft Betreuungsarbeit und das besondere Erklären gewisser Lernelemente ab. So gab es in der 1B in Mathematik und Phonetik einen Tisch mit sechs SchülerInnen, für die ich zusammen mit der SNA während der Phasen der Aufgabenbearbeitung parallelen Extra-Unterricht gegeben habe, sodass jene SchülerInnen durch eigene, im Umfang etwas vereinfachte, Lernschritte auf einen ähnlichen, Lernstand kommen wie der Rest der Klasse. Das war eine sehr hilfreiche Erfahrung, bei der man mich quasi ins kalte Wasser geworfen hat, sodass ich schnell lerne, eigene Herangehensweisen und Zugänge zu den Kindern zu finden. Des Weiteren betreute ich diese Klasse während ihrer Yoga-Stunden jeden Donnerstag und half allen SchülerInnen beim Schreiben und Rechnen. Dabei war es für mich sehr interessant, wie effektiv das Lernen durch Aktivitäten ist.
Nach der 1B war es für mich täglich Zeit für die ganz kleinen Kinder, die Vorschulklasse der Vier- bis Fünfjährigen. In dieser Klasse waren wir ebenfalls zu dritt. Dort war das Aufgabenspektrum sehr groß – von Spielstunde bis Sport, Kunst, Drama (Theater; Rollenspiel), hin zu Geschichte und Erdkunde – alles Fächer mit verschiedenen Herausforderungen. Insbesondere die Umstellung auf die Spielstunde war für mich als jemanden, der noch nie mit Kindern in diesem Alter gearbeitet hat, anfangs etwas schwierig. Man ist in der Zeit aktiv Part des Ganzen und muss seine Schamgrenze gänzlich vergessen. Ebenfalls schwierig war es in den ersten circa zwei Wochen die Sprache, das Gesagte, dieser jungen Kinder zu verstehen, da es noch sehr undeutlich ist. Dieser Umstand gab mir ein noch erweitertes Gefühl für das Englische.
Die letzten Stationen des Tages waren schließlich meine zwei vierten Klassen. Dort hatte ich Verantwortung über einen Drittel der jeweiligen Klassen für den Leseunterricht. Wir lasen Bücher, redeten über Inhalte, interpretierten diese und ich tat dabei mein bestes, um für die Kinder das Lesen interessant zu machen. Für meine zwei Gruppen war es jedenfalls sichtlich immer ein riesiger Spaß. Manchmal betreute ich die zwei Klassen beim Sportunterricht (Werfen, Basketball, Hockey), manchmal in Geschichte (Thema war u.a. Griechische Geschichte), und die 4B jede Woche einmal in Musik. Dort bereitete die 4B ab meiner ersten Woche an der Schule ein Musikstück vor, das sie in der letzten Woche vor der 4A präsentieren. Dazu benutzten sie verschiedenste Instrumente (Boomwhackers, Cajons, Bongos, Trommeln, Xylophone, Flöten, Banjos und Gitarren), die letztendlich ein tolles koordiniertes Ensemble ergaben. Der Song, der vorbereitet wurde, war ‚Shotgun‘ von George Ezra. Nach einigen Wochen wurde mir bewusst, dass die Bridge sehr übertragbar auf meine Zeit in Irland ist: „Time flies by in the yellow and green, stick around and you’ll see what I mean. There’s a mountain top that I’m dreaming of. If you need me you know where I’ll be.“
Anfangs wollte ich nämlich einfach die Zeit herumbekommen mit dem Ziel, einfach schnell wieder im gewohnten Umfeld zu sein, doch ich fing schnell an, die Schule, die SchülerInnen, die KollegInnen und das Land zu in mein Herz zu schließen, und dann flog die Zeit doch so schnell vorbei, dass ich am letzten Tag sehr traurig war, dass diese wunderbare neunzigtägige Erfahrung nun vorüber sein wird und mich zum Schluss in der 4B unter Tränen verabschiedet habe. Nun kann ich mir sehr gut vorstellen, nach Irland an diese wundervolle Schule nach meinem Studium zurückzukehren und mich dort als Grundschullehrer zu bewerben, obwohl ich eigentlich Gymnasiallehramt studiere. Darin bekräftigt mich auch die Beurteilung zweier Konrektorinnen und der Wunsch eines Kollegen. Dies habe ich davor nicht für möglich gehalten, weswegen ich äußerst dankbar dafür bin, diese Zeit erlebt haben zu dürfen!
An Aktivitäten würde ich in Irland die gängigen Touristenattraktionen in Dublin (insbesondere Kilmainham Gaol, Christ Church Cathedral, St. Patrick Cathedral, National Gallery, Temple Bar, St. Stephen’s Green, Grafton Street, Guinness Storehouse und Trinity College Old Library), einen Trip nach Galway, einen Trip am Wild Atlantic Way (+ Giant’s Causeway), einen Trip in die Wicklow Mountains (neben einem wunderschönen Fußmarsch durch die Berge und von Bray nach Greystones ist alleine der Sonnenaufgang über Lough Tay in den Wicklow Mountains Grund genug für einen Besuch), einen Trip nach Howth und Malahide, einen Trip nach Dún Laoghaire und Dalkey, und auf jeden Fall einen Trip an die Cliffs of Moher (s.u.) empfehlen. Gerade im Westen von Irland kann man ganz besinnlich zur Ruhe kommen, da alles dort sehr ländlich und traditionell ist, nicht groß bebaut und sehr natürlich. Dort kann man das ruhige Leben an Wochenenden genießen!
Das Essen ist in Irland auf sehr gutem Niveau, insbesondere das Fleisch. Im County Dublin gibt es sehr viele Restaurants, umfangreiche Supermärkte (auch deutsche Ketten) und Chippers, sodass man überall etwas findet. Einmal die Woche sollte man einen Irish Pub aufsuchen – das ist quasi Pflicht. In den Pubs erwartet euch abends häufig tolle irische Livemusik. Ich würde daher jedem, der noch nach einem Land für ein Auslandssemester sucht, Irland bzw. Süddublin herzlichst empfehlen. Spannende Abenteuer und eine interessante, sehr offene Kultur erwarten euch!
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