Vorbereitung
Im Rahmen meines BA-Soziologiestudiums an der Universität Bremen absolvierte ich mein 2-monatiges Pflichtpraktikum im Wintersemester 23/24 in Valencia, Spanien. Vom 01.02.-31.03.24 arbeitete ich bei der Nicht-Regierungs-Organisation Valencia Acoge (auch Valencia Acull (auf valencianisch)). Auf die Organisation kam ich durch den Tipp eines Dozierenden vor Ort, ich hatte dort nämlich vorangehend ein Erasmus-Auslandssemester abgeschlossen und wollte den Aufenthalt dann noch mit einem Praktikum kombinieren. Nach meiner Bewerbung im Dezember erhielt ich schon Mitte Januar eine feste Zusage, sodass ich direkt im Februar beginnen konnte. Zwar lief mein Mietvertrag Ende Januar aus, doch konnte ich über Kontakte vor Ort an eine Übergangslösung für die zwei Monate gelangen.

Pratikumsstelle
Als Teil des „Red Acoge“ (Netzwerk), einem Zusammenschluss aus etwa 20 Organisationen, die in verschiedenen Städten Spaniens tätig sind, fungiert Valencia Acoge als Beratungsstelle, die Migrant*innen beim Zurechtfinden in der spanischen/valencianischen Gesellschaft unterstützt und sie beim Überwinden typischer Hindernisse begleitet. Dabei geht es sowohl um Menschen, die gerade erst in Spanien angekommen sind als auch um solche, die schon viele Jahre in Spanien leben. Die Organisation setzt sich aus etwa 25 Festangestellten (Jurist*innen, Sozialarbeiter*innen, Psycholog*innen, etc.) sowie bis zu 40, meist studentischen Praktikant*innen und etwa 100 Freiwilligen zusammen. Sie bieten juristische und psychologische Hilfe, temporäre Unterbringung und Sprachkurse an und mediieren die Arbeits- und Wohnungssuche. Außerdem richten sie Workshops aus, um die Bevölkerung in diesem Bereich zu sensibilisieren und aufzuklären. Ein weiterer Bereich ist die Stadtteilarbeit, in der auch ich tätig war. Allgemein liegt der Fokus der Organisation auf Klient*innen aus dem Stadtteil, in dem sie angesiedelt ist, Els Orriols. Dieser Stadtteil leidet in Valencia unter einer schlechten Reputation. Die noch relativ niedrigen Mieten dort sorgen für eine Konzentration einkommensschwacher Haushalte, die aus strukturellen Gründen oft migrantisch sind. Die etwa 20000 Menschen im Viertel setzen sich aus über 30 verschiedenen Nationalitäten zusammen. So wird Orriols immer wieder Opfer klassistisch oder rassistisch motivierter Negativschlagzeilen über Gewalt und Kriminalität. Valencia Acoge wirkt mit der Kampagne #OrriolsEnPositivo dagegen. Unter dem Hashtag werden schöne und erfreuliche Dinge gepostet, die im Viertel passieren, etwa die seit 14 Jahren jährlich stattfindende „Semana Intercultural“, die „interkulturelle Woche“, ein  1- bis 3-wöchiges Programm mit Festen, Musik und Kulturveranstaltungen.

Tätigkeiten
Während des Praktikums hatte ich die Chance in eine Reihe von Tätigkeitsbereichen hineinzuschauen. Dabei lernte ich die administrativen und bürokratischen Prozesse kennen, die notwendig sind, um in Spanien Förderung durch öffentliche Gelder zu erhalten, etwa das Schreiben von Berichten und Evaluationen vor und nach Aktivitäten, sowie das Führen von Teilnehmer*innenlisten und das Anfertigen von Belegen wie Videos und Fotos.

Zweimal im Monat fand eine Versammlung von Stellvertreter*innen der verschiedenen Organisationen und Vereine des Viertels statt, in der vergangene gemeinsame Projekte reflektiert und zukünftige geplant wurden. Hier war es sehr beeindruckend zu sehen, wie viele Menschen sich an der Verbesserung der Lebensumstände im Viertel und in Valencia allgemein beteiligen und wie der Entscheidungsprozess bei bis zu 20 teilnehmenden Interessenverbänden abläuft.

Ein Projekt, an dem ich mitwirkte, war die sogenannte „Biblioteca Humana“, die „menschliche Bibliothek“. Die Idee ist, dass Personen mithilfe eines kleinen, selbstgebastelten Buchs mit Bildern und Überschriften selbst zu einem Buch werden und zum Beispiel von ihrer Migrationsgeschichte und damit verbundenen Hürden berichten. Bei diesem Mal lag der Fokus auf der Situation von Migrant*innen im spanischen Gesundheitssystem: Wie leicht ist es, einen Arzttermin zu bekommen? Wie sind die Erfahrungen mit der Behandlung durch medizinisches Personal? Werden die Beschwerden ernst genommen? Das Projekt fand mit Medizinstudierenden im ersten Ausbildungsjahr statt.

Für den 21. März, den internationalen Tag gegen Rassismus, bereiteten wir ein großes Plakat vor, dass in kleinen Teilen von Nachbar*innen und ihren Kindern ausgemalt und dann am 21. März auf einem öffentlichen Platz gemeinsam aufgehangen wurde.

Valencia
Ich kannte Valencia nun schon durch meinen vorangegangenen fünfmonatigen Studienaufenthalt, lernte die Stadt durch meinen Umzug und die Arbeit aber noch einmal auf eine andere Weise kennen. Das Klima im Winter ist sehr angenehm, nachts sind immer mindestens 8 und tagsüber mindestens 14 Grad. Es regnet sehr selten (was ein echtes Problem ist) und selbst zwischen Dezember und Februar gibt es Tage mit über 23 Grad. In den Hochsommermonaten ist die Stadt aufgrund der extrem feuchten Hitze jedoch kaum aushaltbar und wer es sich leisten kann, verschwindet in dem Zeitraum. Es gibt eine Menge Kulturangebote wie kostenlose Museen, OpenAir-Konzerte, günstige Kinos und Theaterstücke. Es wimmelt von internationalen Studierenden (Valencia ist die Stadt mit der höchsten Erasmus-Incoming-Rate in Europa). Das und der ansteigende Tourismus sind Gründe für die fortschreitende Gentrifikation und die steigenden Mieten, mit denen viele Bewohner*innen der Stadt zu kämpfen haben.

Fazit
Das Praktikum half mir noch einmal deutlich dabei, meine Sprachkompetenz zu verbessern. Außerdem gewann ich Einblicke in die Situation von Migrant*innen in Spanien und in die Unterschiede zu Deutschland. Etwa gibt es aufgrund der Kolonialgeschichte und der gleichen Sprache viel Arbeitsmigration aus Mittel- und Lateinamerika, was, obwohl die spanische Gesellschaft auf diese Arbeitskräfte angewiesen ist (etwa in der Pflege), oft nur illegal geschehen kann. Die Arbeit in einem anderen Land und auf einer anderen Sprache war herausfordernd und aufregend, aber auch sehr spannend! Valencia Acoge ist erfahren im Umgang mit Praktikant*innen und die Mitarbeitenden hilfsbereit und freundlich, allgemein herrschte ein antihierarchisches, angenehmes Arbeitsklima. Ich kann ein Praktikum in Valencia und bei der Organisation auf jeden Fall empfehlen, ein Spanisch-B2-Niveau ist in jedem Fall hilfreich.

Wiederhergestelltes Plakat, nachdem es durch Vandalismus zerstört wurde