Wie bin ich auf das Praktikum gekommen?
Da ich nach meinem Auslandssemester auf der französischen Überseegebiets-Insel Martinique noch zwei Monate bis zum Sommersemesterstart in Bremen hatte, habe ich mich entschieden die Zeit für ein Praktikum zu nutzen, um auch das französische Festland ein wenig genauer kennen zu lernen und gleichzeitig mein Französisch weiter zu verbessern. Die Arbeit von gemeinnützigen Organisationen interessiert mich schon seit langem und ich wollte deren Organisation gerne mal ein wenig genauer kennenlernen. Es war nicht einfach eine Praktikumsstelle zu finden, aber durch andere Erfahrungsberichte bin ich auf das französische Rote Kreuz in Caen aufmerksam geworden. Ich habe mich per E-Mail dort beworben.

Vorstellung der Institution
Ähnlich wie in Deutschland gibt es auch in Frankreich in fast jeder Stadt ein lokales Büro des Roten Kreuzes, das verschiedene gemeinnützige Aktivitäten organisiert, die so gut wie ausschließlich auf Ehrenamtsbasis funktionieren. Deren Organisation ist ähnlich wie ein Verein aufgebaut, es gibt eine Präsidentin, einen Schatzmeister, Sekretärinnen und einen Praktikumsbeauftragten, denn es kommen regelmäßig Praktikant*innen von den umliegenden Schulen oder den Hochschulen. Das Rote Kreuz bietet Unterstützung für die Menschen, die in Caen in Armut leben. Die Hauptaktivität ist eine Lebensmittelausgabe für Menschen mit gar keinem oder einem nur sehr geringen Einkommen,die 3mal in der Woche stattfindet. Darüber hinaus können sich montags Eltern kostenlos Nahrungs- und Hygienemittel, sowie Kleidung für ihre Säuglinge und Kleinkinder abholen, es werden Französisch-Kurse für nicht Muttersprachler*innen angeboten, im „Vestiaire“ wird gebrauchte Kleidung verteilt und in der „Vestiboutique“ wird Second-Hand-Kleidung zu einem günstigen Preis verkauft.

Meine Tätigkeiten
Das Rote Kreuz plant neben der Lebensmittelausgabe (wo sich die Menschen Lebensmittel zum Großteil gratis und höchstens für einen Eigenbeitrag von 3 Euro abholen können) eine „Épicerie Sociale“ zu errichten. Das ist ein Lebensmittelladen, in dem Menschen Nahrungsmittel zu einem vergünstigten Preis einkaufen können. Gleichzeitig soll es u.a. Angebote zu Kochkursen oder Hilfe zur Verwirklichung persönlicher Projekte geben, um Menschen, die zum Teil aus dem Gesellschaftsleben ausgestiegen sind, wieder zu reintegrieren. Mit anderen Praktikantinnen zusammen habe ich ein wenig für dieses neu geplante Projekt recherchiert, die Bevölkerungsstruktur Caens analysiert und die Bezirke mit dem niedrigsten Einkommensniveau identifiziert. Darüber hinaus habe ich sehr viel bei der Ausgabe der Lebensmittel geholfen. Jeden Tag kamen teils sehr umfangreiche Lieferungen von den umliegenden Supermärkten, die verstaut und umgepackt werden mussten. Bei der eigentlichen Verteilung der Lebensmittel gibt es ein festes System mit mehreren Freiwilligen oder Praktikant*innen an den verschiedenen Stationen. Ich muss sagen an manchen Tagen war die Arbeit ein wenig eintönig und auch mal langweilig, gerade wenn nicht viel zu tun war, weil viele Freiwillige da waren zum Helfen. Aber ich habe während meiner zwei Monate dort wertvolle Erfahrungen gemacht, vor allem da ich unterschiedlichste Menschen kennen gelernt habe.

Was ist mir aufgefallen?
In Deutschland hätte mich ein Praktikum beim Roten Kreuz glaube ich eher weniger interessiert, aber in Caen habe ich es mir ein bisschen zur Aufgabe gemacht mit vielen verschiedenen Menschen zu sprechen, um gleichzeitig auch mein Französisch zu verbessern. Ich habe mich mit Menschen ausgestauscht aus verschiedenen Bevölkerungsschichten mit denen ich sonst vielleicht nie etwas zu tun gehabt hätte, weil man in Deutschland doch sehr in seiner eigenen Blase lebt. Zum einen arbeiten beim Roten Kreuz Rentner und Rentnerinnen, die nach einer Aufgabe und Beschäftigung suchen und ich war beeindruckt, dass viele von ihnen jeden Tag da waren und mit Motivation bei der Sache sind. Insgesamt herrscht eine lockere und freundliche Atmosphäre und jede/r, die/der helfen will, wird willkommen geheißen.

Die andere Hälfte der Freiwilligen sind Menschen ohne französische Staatsbürgerschaft, vor allem Afrikaner*innen. Einige von ihnen hatten feste Positionen in der Struktur des Roten Kreuzes und ich fand es schön zu sehen, wie unabhängig von Hautfarbe zusammengearbeitet wird, gerade weil ich auch mitbekommen habe, dass Rassismus in Frankreich leider (auch) ein großes Problem ist. Tatsächlich stammen viele aus den ehemaligen französischen Kolonien und haben in Frankreich (noch) keine Papiere und somit keinerlei Erlaubnis einem bezahlten Job nachzugehen. Ich habe mir während meiner Zeit in Caen Gedanken um das Konzept Migration nach Europa gemacht und es vor allem nach dem Austausch mit Betroffenen sehr kritisch hinterfragt. Es gibt viele Menschen mit abgeschlossenen guten Ausbildungen in Berufsbereichen, in denen Fachkräftemangel herrscht, aber sie dürfen dort nicht einsteigen und müssen stattdessen in notdürftigen Unterkünften unterkommen und verbringen ihre Zeit mit Freiwilligenarbeit. Ich habe auch außerhalb des Praktikums Zeit verbracht mit einigen, die ich beim Roten Kreuz kennen gelernt habe. Zuvor hatte ich nicht allzu viel Aufregendes von der Stadt Caen gehört, aber tatsächlich ist es eine nette Stadt mit vielen Studierenden und dem für die Normandie typischen Baustil.

Was habe ich gelernt?
Ich habe gesehen, wie eine gemeinnützige Organisation arbeitet, dass es sehr auf die Motivation der Freiwilligen ankommt und das auch manchmal zu Problemen führen kann. Denn manchmal fehlt das Gefühl von Verantwortlichkeit und deshalb dauert es lange, bis einzelne Abläufe hinterfragt und verbessert werden oder neue Projekte zustande kommen. Darüber hinaus ist mein Bewusstsein für Probleme, wie Arbeitslosigkeit und daraus resultierende Armut, aber auch die Herausforderungen, die man entweder als Geflüchtete/r oder als Migrant*in hat, gewachsen. Darüber hinaus habe ich weiter Französisch gelernt, viel über die Stadt Caen gelernt und mitbekommen was für Schritte es braucht, um ein neues Projekt, wie die Épicerie Sociale umzusetzen.

Fazit
Insgesamt hatte ich eine gute und lehrreiche Zeit in Caen! Zwischendurch hat sich das Praktikum in die Länge gezogen und manchmal war es etwas schwierig, weil man durch die (immer noch vorhandene) Sprachbarriere sich nicht so richtig auf einer Ebene mit den anderen austauschen konnte. Aber insgesamt ist mit bewusst geworden, dass das Beherrschen von Fremdsprachen einem viele Möglichkeiten öffnet mit den verschiedensten Menschen in Kontakt zu kommen, sich auszutauschen und so seinen Horizont zu erweitern!