Catcalling. Oder: „Darf man jetzt nichtmal mehr ein Kompliment machen?“ feat. CatcallsOfBremen

Disclaimer: In diesem Artikel werden Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt, sowohl verbaler als auch physischer Natur, thematisiert. Wenn dich diese Themen besonders belasten, schau gerne beim nächsten Artikel wieder rein.

Die Sonne scheint, es ist warm, der Uni-Alltag liegt noch in der Ferne – der perfekte Zeitpunkt für einen entspannten Spaziergang an der Schlachte oder einen Nachmittag am See — und dann den Tag beim Feiern ausklingen lassen! Besser geht es kaum. Doch während man an der Weser flaniert, sich im Bikini sonnt oder durchs Viertel schlendert, passiert es dann: Es erklingen Pfiffe, eine Stimme ruft »Hey Süße!«, eine andere »Geiler Arsch!«.

Es ist eine Situation, wie sie ein Großteil der FINTA (kurz für Frauen, Inter-, Nonbinär-, Trans- und Agender-Personen) bereits erlebt haben, häufig sogar regelmäßig. Der Begriff für solch sexuell konnotierte, verbale Belästigung: Catcalling. Doch was harmlos klingt, hat für die Betroffenen oft weitreichende Konsequenzen.

 

Catcalling oder Kompliment – wo liegt die Grenze?

Immer wieder sind bei der Debatte um Catcalling und Belästigung im öffentlichen Raum Beschwerden von Männern zu vernehmen, sie seien verunsichert, wüssten nicht mehr, was sie denn noch dürften, wenn sie einer Frau signalisieren wollen, dass sie sie attraktiv finden. Heutzutage seien schließlich alle so empfindlich geworden und würden ja schon bei einem freundlichen Lächeln „Sexismus!“ schreien. Dabei ist es eigentlich gar nicht schwer, zwischen Belästigung und harmlosem Flirt zu unterscheiden, wenn man auch nur über ein Minimum Sozialkompetenz verfügt: Während es bei einem Kompliment immer darum gehen sollte, der anderen Person ein positives Gefühl zu vermitteln, ist genau dies beim Catcalling nicht der Fall, ganz im Gegenteil. Beim Catcalling handelt es in aller Regel um eine Machtdemonstration – schließlich rechnet kein Mann tatsächlich damit, dass sich nach einem Kommentar wie „Hey Puppe, Bock auf ein bisschen Spaß mit uns?“ irgendeine Frau geschmeichelt fühlt und sich denkt „Na, wenn du so fragst, dann gerne!“. Schließlich gibt es einen deutlichen Unterschied zu einem vorsichtigen Kompliment, das aus höflicher Entfernung und mit freundlichem Lächeln überbracht wird, und einer distanzlosen, sexualisierten Anmache ohne Substanz. Wohl kaum eine Frau hat etwas dagegen, wenn jemand ihr sagt, was für einen interessanten Kleidungsstil sie hat oder dass ihre Frisur schön aussieht. Auf Kommentare zum eigenen Körper, penetrantes Anstarren oder plumpes Hinterherpfeifen lässt sich jedoch getrost verzichten.

 

Was macht Catcalling mit Betroffenen?

Doch Catcalling ist nicht nur eine etwas lästige Nebensache; für die meisten Betroffenen sind die Erfahrungen mit extrem negativen Emotionen verknüpft: die Kommentare wirken degradierend und objektifizierend, werden sie schließlich von den Tätern gezielt dazu eingesetzt, dass sich ihre Opfer hilflos und erniedrigt fühlen. Einige Frauen fühlen sich durch Kommentare zu ihrem Körper selbst nicht mehr wohl in ihrer Haut, verzichten auf kurzgeschnittene Kleidung, aus Angst vor Blicken und Bemerkungen. „Halb so wild, es ist ja nur verbal! Man wird ja nicht angefasst“, mag nun der ein oder andere sich hierbei denken. Doch leider steckt für viele Opfer von Catcalling dahinter noch sehr viel mehr als „bloß“ eine geschmacklose sprachliche Entgleisung. Denn traurigerweise ist verbale sexuelle Belästigung nur der erste Schritt auf einer Eskalationsleiter, die von Catcalling über physische Übergriffe verschiedener Schweregrade bis hin zum Femizid reicht. Dies ist Frauen* jedoch allzeit nur allzu bewusst und so wirken Bemerkungen wie „Was ich mit dir alles anstellen würde“ gar nicht mehr so harmlos, sondern werden zur konkreten Bedrohung, die bloß wächst, je später der Abend und je verlassener die Gegend ist.

 

Recht ist nicht immer Gerechtigkeit

Zur Rechtslage: In Deutschland ist Catcalling an sich zum aktuellen Zeitpunkt nicht strafbar. Einen Straftatbestand wie „verbale sexuelle Belästigung“ gibt es nicht. Catcalls können höchstens dann zur Anzeige gebracht werden, wenn sie zugleich eine Beleidigung darstellen. In einigen anderen Ländern ist das anders – so ist in Belgien, den Niederlanden, Portugal, Frankreich und seit 2022 auch in Spanien Catcalling verboten und wird größtenteils mit Geldstrafen geahndet.

 

Take back the streets!

2016 kam der New Yorkerin Sophie Sandberg die Idee, Catcalls, die sie selbst und andere erlebt haben, mit Kreide an genau den Orten in der Stadt auf den Boden zu schreiben, wo sie stattgefunden haben. Mit zweierlei Ziel: Zum einen, um das Thema ins Auge der Öffentlichkeit zu rücken, zum anderen als ein Akt des Empowerments, indem sich der Ort des Geschehens „zurückerobert“ wird. Daraus ergab sich das Projekt „Catcalls of NYC“, dem sich schon bald Aktivisten und Aktivistinnen aus anderen Städten weltweit anschlossen. Auch in Bremen gibt es eine solche Gruppe, deren Arbeit sich auf dem Instagramaccount @catcallsofbrmn verfolgen lässt. Dort können sich Betroffene privat mit ihren Erfahrungen melden, welche die Gruppe daraufhin „ankreidet“. Wir haben mit Schirin, einer von mittlerweile sieben Aktivistinnen der Gruppe, über die Aktion gesprochen.

 

EULe: Was hat euch dazu bewegt, aktiv zu werden?

Schirin: Alle aus unserem Team waren und sind betroffen von Catcalling und wollen aktiv werden, um auf dieses schlimme, grenzüberschreitende Verhalten aufmerksam zu machen. Wir wollen uns außerdem auch zur Wehr setzen, gerade, weil das in akuten Catcalling-Situationen so schwierig ist. Wir sind wütend und werden durch unseren Aktivismus laut für alle anderen Betroffenen.

 

EULe: Was möchtet ihr mit dem Ankreiden bewirken?

Schirin: Wir wollen den Betroffenen eine Stimme geben und die öffentlichen Plätze, an denen sexuelle Belästigung stattgefunden hat, zurückerobern. Außerdem wollen wir auf diese wichtige Thematik aufmerksam machen und dazu aufrufen, im Alltag gegen Sexismus und sexuelle Belästigung aktiv zu werden. Nur so können wir in Zukunft Catcalling bekämpfen.

 

EULe: Wie habt ihr als Gruppe zusammengefunden?

Schirin: Lynn, die Gründerin von CatcallsOfBremen, hat schon 2019 angefangen, Catcalls anzukreiden. Über Aufrufe auf unserem Instagram-Account haben sich dann die restlichen Teammitglieder gefunden.

 

EULe: Welche Reaktionen bekommt ihr beim Ankreiden?

Schirin: Die meisten Reaktionen sind sehr positiv und unterstützend. In manchen Fällem erleben wir aber auch, dass sexuelle Belästigung verharmlost wird und den Betroffenen nicht geglaubt wird. Es kommt immer auch mal wieder vor, dass wir dann selbst beim Ankreiden gecatcalled werden. Das macht nur umso deutlicher, dass unser Aktivismus total notwendig ist.

 

EULe: Derzeit ist Catcalling in Deutschland nicht strafbar. Würdet ihr euch Veränderungen auf politischer Ebene wünschen?

Schirin: Wir würden uns ein gesamtgesellschaftliches Umdenken wünschen. Sexuelle Gewalt gegen FLINTA*, wie Catcalling, wird immer noch nicht ernstgenommen. Wir fordern, dass die Politik mehr Aufmerksamkeit und finanzielle Mittel für diese wichtige Thematik bereitstellt. Letztendlich muss aber auch ein Umdenken bei jedem Einzelnen stattfinden.

 

EULe: Wie kann man euch und eure Arbeit unterstützen?

Schirin: Wichtig ist, die Problematik Catcalling mehr in die Öffentlichkeit zu holen. Deswegen folgt uns gerne auf unserem Instagram-Account @catcallsofbrm, interagiert mit uns und schreibt uns gerne von euren Erfahrungen.

Außerdem freuen wir uns über Spenden an den Verein Chalk Back Deutschland e.V., in dem alle Ortsgruppen deutschlandweit vertreten sind. Mit der Angabe von „Catcalls Of Bremen“ als Spendenzweck können wir dann Kreide und weitere Ausstattung für unseren Aktivismus beantragen.

 

Wir bedanken uns bei Schirin und dem restlichen Team von CatcallsOfBremen für das Interview!

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