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Frau, Leben, Freiheit – Über die aktuelle Situation im Iran

Wer im September 2022 und in den darauffolgenden Monaten die Nachrichten mitverfolgt hat oder auch bloß in den sozialen Medien unterwegs war, an dem kann praktisch nicht vorbeigegangen sein, was sich zu dieser Zeit etwa 4.800 Kilometer von uns entfernt zunächst in der iranischen Hauptstadt Teheran und bald darauf im ganzen Land abspielte: Bilder und Videos von zahllosen Demonstranten die unter Sprechchören wie „Tod dem Diktator“ durch die Straßen ziehen, junge Frauen, die tanzend und unter dem Jubel der Menge ihre Hijabs verbrennen, aber auch Schüsse, die von Polizisten scheinbar wahllos in die aufschreienden Gruppen abgegeben werden und Verletzte, die davongetragen werden.

Der Auslöser: der Tod der 22-jährigen Jina Mahsa Amini, die am 13. September während eines Familienurlaubs in Teheran in der U-Bahn von sogenannten „Moralpolizisten“ festgenommen wurde; sie habe ihr Kopftuch nicht vorschriftsgemäß getragen.

Nur wenige Stunden nach ihrer Festnahme brach Amini auf der Polizeiwache bewusstlos zusammen und wurde in ein Krankenhaus eingeliefert, wo sie zwei Tage im Koma lag, bevor sie am 16. September offiziell für tot erklärt wurde. Mithäftlinge berichten, sie sei während des Transports und später auf der Wache immer wieder heftig geschlagen worden, unter anderem mit Polizeiknüppeln.

Auch die Untersuchungen im Krankhaus unterstützen diese Aussage; Amini habe ein Schädel-Hirn-Trauma erlitten, Bilder der Computertomographie zeigen einen Bruch des Schädels. Während die iranische Regierung einen gewaltsamen Tod dementierte und mal einen Herzinfarkt, mal einen Schlaganfall als Todesursache nannte, brodelten die ersten Proteste auf. Bald darauf breiteten sie sich im ganzen Land aus und lösten eine weltweite Welle der Solidarität aus.

Doch die Proteste blieben nicht unbeantwortet, die Polizei ging mit viel Härte und Gewalt gegen sie vor, hunderte Menschen starben in der Folge, darunter auch Kinder und Jugendliche. Die genaue Zahl der Todesopfer ist nicht bekannt, aufgrund der Verbote des Irans gegenüber genauen Ermittlungen wird von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen. Zudem wird den Familien der Opfer häufig gedroht, sollten sie die offiziellen Begründungen nicht unterstützen. So auch im Falle Sarina Esmailzadehs: Mit nur 16 Jahren wurde sie am Tag ihrer Teilnahme an den Protesten in der Stadt Karadsch durch Knüppelschläge erschlagen; die Familie durfte sie nur unter der Bedingung bestatten, den Sarg nicht zu öffnen. Die Angabe des Regimes, Sarina habe Suizid begangen, musste die Familie unter Morddrohungen bestätigen.

Ein ähnlicher Fall betrifft Milad Ostad-Hashem – der 37-jährige Vater wurde auf dem Weg zu einem Protest von hinten erschossen. Seiner Familie wurde mit der Ermordung seiner achtjährigen Tochter gedroht, sollte sie die offizielle Erklärung, er sei von den Demonstranten erschossen worden seien, nicht bestätigen.

Bald folgten auf die Toten bei den Protesten auch die ersten Tötungen festgenommener Demonstranten – häufig handelt es sich um öffentliche Hinrichtungen nach Schauprozessen ohne tatsächlichen Rechtsstreit. Unter Folter und Drohungen erzwungene „Geständnisse“ dienen nicht selten als Grundlage für das Todesurteil. Dieser Versuch der Einschüchterung zeigte ihren Effekt; die Proteste ebbten an, bald schon war die Angst vor den Konsequenzen schlicht zu groß.

So dauerte es auch hierzulande nicht lange, dass es sich ähnlich verhielt, wie bei dem meisten Katastrophen, die sich ereignen: nach einem ersten Schub der Empörung flachte das Interesse an der Situation im Iran ab und die Not der Menschen dort geriet in Vergessenheit. Für die Bürger*innen im Iran ist sie jedoch noch immer allzu präsent. Immer wieder kommt es zu Hinrichtungen und Gewalt gegenüber Zivilisten, darüber hinaus über Monate hinweg immer wieder zu Giftanschlägen auf zahlreiche Schülerinnen verschiedener Mädchenschulen. Die Täter sind bis heute unbekannt, die Regierung beschuldigt Mitglieder einer oppositionellen Gruppierung, einige Einwohner Irans vermuten jedoch eine Beteiligung des Regimes selbst.

Darüber berichtete das Team des ZDF Magazin Royale um den Moderator Jan Böhmermann nach eine investigativjournalistischen Recherche Anfang März 2023, das Regime Irans mache auch international nicht vor Spionage und Verfolgung von beispielsweise irankritischen Jounalisten und Journalistinnen oder auch Teilnehmenden auf Solidaritätsdemonstrationen halt.

Doch obwohl es von Außen nicht so wirkt, haben die Proteste innerhalb Irans nicht aufgehört. Während die Straßen nun zwar größtenteils leer bleiben, hat sich der Widerstand ins Internet verlagert. Es finden sich Tanzvideos junger Mädchen (Tanzen in der Öffentlichkeit ist im Iran verboten), Videos, in denen Frauen sich aus Protest die Haare abschneiden, Gedichte über die Ungerechtigkeit in ihrem Land vortragen oder zu bekannten Protestsongs mitsingen. Doch auch dieser Internetauftritt ist gefährlich, der Druck auf die Bevölkerung ist groß; wer sich öffentlich gegen das Regime stellt, wird bestraft.

So auch der iranische Musiker Shervin Hajipour, der am 28. September 2022 seinen Song „Baraye“ im Internet veröffentlichte. Der Text besteht aus Tweets, die während der Proteste gepostet wurden. Doch nur wenige Tage nach der Veröffentlichung wurde Hajipour verhaftet, kam einige Tage darauf auf Kaution frei. Kurz darauf distanzierte sich der Sänger auf Instagram von seinem eigenen Song und der Bewegung, erklärte, er wolle nicht, dass sein Song für politische Zwecke „missbraucht“ werde. Doch dieser offensichtlich von der Regierung erzwungene Versuch, die Verbreitung des Songs zu stoppen, kam zu spät – unzählige Male gecovert, in verschiedene Sprachen übersetzt, durch weitere Zeilen ergänzt und bei Demonstrationen gesungen wurde die Ballade in kürzester Zeit zur Hymne der iranischen Protestbewegung. „Zan, Zendegi, Āzādi“, heißt es in der letzten Zeile des Lieds auf Persisch.

Besonders in der kurdischen Version („Jin, Jiyan, Azadî“) wurde dieser aus dem 20. Jahrhundert stammende Slogan zum Motto der Iranischen Protestbewegung:

Frau, Leben, Freiheit.

Der Kampf für Menschenrechte im Iran ist also noch längst nicht vorbei. Und gerade jetzt, in einer Zeit, in der die Bürger*innen des Landes durch Verbreitung von Angst und Gewalt von Seiten des Regimes in Schach gehalten werden sollen, braucht es internationale Unterstützung. Doch wie kann geholfen werden? Besonders ein Aspekt ist hierbei von großer Bedeutung und wird häufig unterschätzt; Online-Proteste sind gerade in diesem Fall sehr wichtig. Durch die rigorose Zensur und Arbeistverbote für Journalisten und Journalistinnen durch die Regierung dringen nur wenige Informationen über die Situation im Iran an die Außenwelt durch. Iraner*innen sind also angewiesen auf die Verbreitung von Protestvideos mithilfe von uns allen. So wird nicht nur Solidarität bekundet und Kraft zum Weiterkämpfen verliehen, sondern es wird dabei geholfen, wichtige Informationen über die aktuelle Lage nach außen zu tragen und die Regierung des Irans so an einer Abschottung und einer Verschleierung der Menschenrechtsverletzungen zu hindern.

Auch entsprechende Hashtags wie #jinaamini, #mahsaamini, #iranprotests oder #jinjiyanazadî unter Bildern und Videos können dabei helfen, die Inhalte effektiv zu verbreiten.

Wenn du spenden möchtest, kannst du dich an einige seriöse Organisationen wenden, die vor Ort humanitäre Hilfe leisten, zum Beispiel „Ärzte ohne Grenzen“ oder die „UNO Flüchtlingshilfe“.

Doch auch das Unterschreiben von Petitionen, wie dieser von Amnesty International, die die Freilassung mehrerer zum Toder verurteilter Inhaftierter fordert, kann helfen. Hierbei ist wichtig zu beachten, dass Personen mit persönlichen Verbindungen zum Iran sich die Teilnahme sorgfältig überlegen sollten, da die angegebenen persönlichen Daten mit dem offenen Brief an die iranische Regierung weitergeleitet werden.

In jedem Fall gilt: Jede Hilfe zählt. Die Veränderung, die sich im Iran zeigt, ist noch nicht vorbei und wir können und müssen die furchtlosen Menschen unterstützen, die im Iran ihr Leben aufs Spiel setzen, um eine Freiheit zu erkämpfen, die für uns allzu oft viel zu selbstverständlich wirkt.

 

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