Klara (Hanna)

Ich bin eine Fee.

Mein Leben war im Grunde genommen einfach fabelhaft. Ich bin den ganzen Tag unterwegs gewesen, habe mit meinen Freundinnen Zaubertee getrunken und habe mich um meinen Kräutergarten gekümmert. Ich liebe es eine Fee zu sein. Auch meine Feenarbeit war die beste Arbeit, die ich mir hätte wünschen können. Meine Arbeit bestand darin, sehr kranken Kindern eine letzte Freude zu machen, durch die ich ihnen die Angst vor ihrem Schicksal ein wenig nehmen konnte und sie so etwas wie Frieden schließen konnten. Ich habe mir immer die ganz besonderen Kinder ausgesucht und bin dann zu ihnen geflogen. Ich habe die Kinder eine Zeit lang begleitet, ohne dass sie es bemerkt haben und habe so herausgefunden, wie ich ihnen eine Freude machen kann. Niemals ging es darum, dass ich Anerkennung oder Lob für meine Arbeit entgegengebracht bekommen wollte. Ganz im Gegenteil: Die Kinder sollten nicht wissen, dass da jemand ist der dafür sorgt, dass ihre Wünsche in Erfüllung gehen. Mir war immer wichtig, dass die Kinder ihren Glauben in die Magie, in das Geheimnisvolle nicht verlieren. Das Leuchten in ihren jungen, unschuldigen Augen, welches ich sehen durfte während sich ihr ganz persönlicher Wunsch erfüllte war die beste Belohnung, die ich mir für meine Arbeit vorstellen konnte. So begleitete ich eines Tages einen kleinen Jungen. Sein Name war Basti. Er hatte eine ganz fürchterliche Krankheit, durch die sein Immunsystem so geschwächt war, dass jeglicher Kontakt zur Außenwelt für ihn quasi unmöglich war. Sein Körper konnte sich gegen keine Krankheit wehren und jedes Bakterium, jede Viere konnte seinen Tod bedeuten. Darum lebte er alleine in einem völlig sterilen Raum, den auch seine Eltern nur durch eine Schleuse und in Schutzanzügen betreten durften. Basti durfte niemals hinaus an die frische Luft gehen und er durfte auch niemals mit anderen Kindern spielen. Wie die Welt um ihn herum aussah wusste er lediglich aus Büchern und Filmen. Eines Tages passierte nun das wovor Bastis Eltern schon seit seiner Diagnose am meisten Angst hatten: Er wurde krank. Die Schleuse hatte wohl nicht richtig funktioniert oder der Luftfilter hatte versagt, niemand konnte genau sagen woran es lag. Mit allen Mitteln versuchten alle möglichen Spezialärzte Basti zu helfen, doch jeder Versuch war vergebens. Bastis Körper war zu schwach. Bastis Schicksal war nicht nur eines, welches ganz besonders herzzerreißend und nur schwer mit anzusehen war, es hatte auch für mich persönlich eine ganz besondere und prägende Bedeutung.  Während sich der Zustand des kleinen Jungen Tag für Tag verschlechterte versuchte ich herauszufinden welchen Wunsch ich ihm erfüllen könnte, damit er wenigstens noch ein Mal lachte und Freude verspürte. Tag und Nacht saß ich bei ihm und versuchte mit all meiner Mühe und Kraft den richtigen Wunsch aus seinen Gedanken oder Träumen zu filtern. Während meiner Ausbildung zur Wunschfee wurde ich genau darauf geschult den einen, richtigen Wunsch aus den Köpfen der Kinder zu ziehen, denn besonders junge Menschen haben natürlich nicht nur einen großen Wunsch oder Traum. Bei Basti war es jedoch etwas anderes. Während seiner gesamten Kindheit hatte er am liebsten Bücher gelesen oder Filme geschaut, in denen viele Fabelwesen vorkamen und so stach, neben den Wünschen, die sich durch sein Schicksal logisch ergeben, wie „ein Mal die Sonne sehen“, „ein Mal im Meer schwimmen“ oder „ein Mal mit anderen Kindern spielen“, ein Wunsch ganz besonders hervor. Dieser eine Wunsch war viel stärker als all seine anderen Wünsche.

 Bastis sehnlichster Wunsch war es, ein Mal in seinem Leben eine richtige, lebendige Fee zu sehen.

Das stellte mich vor die wohl größte, schwierigste und gefährlichste Aufgabe meines gesamten Feenlebens. Denn natürlich haben wir Wunschfeen einen Feenkodex, der unter keinen Umständen und niemals gebrochen werden darf. Dieser Kodex besagt ausdrücklich, dass ein Kind niemals aber auch wirklich niemals eine von uns Feen zu Gesicht bekommen darf. Welche Fee diesen Kodex missachtet wird bitter bestraft, verliert ihre Wunschfeenlizenz, wird verhaftet und kommt bis auf weiteres ins Feengefängnis. Nun besagt der Kodex jedoch auch, dass wir jedem Kind seinen sehnlichsten, größten und wichtigsten Wunsch erfüllen sollen. Ich stand also vor einem Problem, welches größer war als alle Feenschlösser im gesamten Feenkönigreich zusammen.  Niemand konnte mir eine Lösung für mein Problem aufzeigen. Ich hatte schon sehr lange überlegt, was ich nun tun sollte, doch mir lief allmählich die Zeit davon. Bastis Zustand verschlechterte sich von Tag zu Tag.

Nach reichlicher Überlegung und ständigem abwägen war ich zu einem Entschluss gekommen: Ich würde Basti seinen Wunsch erfüllen. So nahm ich eines Abends, als alles still im Haus geworden war, meinen ganzen Feenmut zusammen und sprach den Zauber, durch den wir Feen auch für Menschen sichtbar wurden. Bastis Augen waren schläfrig und halb geschlossen. Vorsichtig flog ich auf sein Gesicht zu und tippte leicht mit meinem Zauberstab auf seine kleine, runde Nase. Langsam öffneten  sich seine Augen und er blickte mich direkt an. Ruckartig klappten seine Augenlider vollständig auf, all die Müdigkeit wich aus seinem Gesicht und mit großem Erstaunen schaute er mich an. „B-bist d-du eine Fee?“, ungläubig rieb er sich die Augen. „E-eine richtige…Fee?“, fragte er abermals. „Ja“, antwortete ich. „Ich bin eine richtige Fee Basti“. Nachdem er seinen ersten Schock überwunden hatte fingen seine Augen an zu leuchten. Das erste Mal in seinem Leben fingen Bastis Augen vor purer Freude an zu leuchten. Basti wollte natürlich alles über mich und die Feenwelt wissen und so saß ich den ganzen Abend und die ganze Nacht bei ihm und beantwortete ihm all seine Fragen. Als langsam die Sonne begann aufzugehen und Basti wieder sehr müde wurde verabschiedete ich mich von ihm. Ich streute ihm etwas Feenstaub in die Augen und er schlief friedlich und mit gleichmäßigen Atemzügen ein. Schweren Herzens verließ ich den kleinen Jungen und machte mich auf den Weg zurück nachhause. Ich wusste was mir bevor stand.

Nun bin ich hier. Im Feengefängnis. Ich wurde verhaftet und verurteilt, gleich nach dem ich wieder zuhause gewesen war. Zwei von drei Feenjahren, die ich durch mildernde Umstände bekommen habe, habe ich nun schon abgesessen und es gibt keinen einzigen Tag an dem ich nicht an Basti und sein Schicksal zurück gedacht habe. Heute werde ich jedoch ganz besonders daran erinnert. Ich habe Post bekommen. Basti ist kurz nach unserem Treffen verstorben. Zuvor hat er jedoch noch etwas gemalt: ein Bild, welches mich zeigt. Ich trage ein mein rot-grünes Kleid, halte meinen Zauberstab in der Hand und fliege durch die, von Sternen erhellte, Nacht. Auf irgendeine magische Weise war das Bild nun, zwei Jahre später, zu mir gekommen. Ich drehe es langsam um. „Für meine persönliche Wunschfee Klara“, steht dort. Mir kullert ein Tränchen die Wange herunter. So etwas hat noch nie jemand für mich getan.

Das ist wahrhaftig die größte Freude, die mir jemals jemand gemacht hat. 

Eine Antwort auf „Klara (Hanna)“

  1. Es war eine schöne, auch bittersüße Geschichte. Aber wenigstens ist der Junge jetzt zufrieden. Es erinnerte mich an die drei Feen in „Maleficent“, wie Sie Klara beschrieben haben. Aber Klara ist mutiger und hat ein sehr schönes Herz!

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