Zwischen dem Referendariat und dem Studium gab es für mich zwei Möglichkeiten: in Bremen über die Stadtteilschule als Lehrerin zu arbeiten oder mit der Absolvent:innenförderung des Erasmus-Programms ein Praktikum an einer Schule im Ausland zu absolvieren. Ich entschied mich für letzteres und so landete ich nach den Osterferien an der Deutschen Schule Sonderburg in Süddänemark.
Meine Ziele:
- ein anderes (besseres?) Schulsystem kennenzulernen
- die Erfahrung machen in einem Land ohne Kenntnisse der Landessprache und der Kultur völlig fremd zu sein
- das Erleben von der Kultur der Grenzregion auch bezogen auf die Zweisprachigkeit an der Schule
- das Kennenlernen einer kleinen Schule (28 Lehrer:innen & 124 Schüler:innen von der 0. bis zur 9. Klasse) mit überwiegend kleinen Klassen
- das Ankommen in einer Schule und mich ausprobieren können ohne jeglichen Druck im Vergleich zum Referendariat
Der Start fiel mir insgesamt nicht leicht, da ich mich im verdreckten Wohnheim nicht wohl gefühlt habe und in der Schule auf so viele neue Menschen und Situationen bei extremen Lautstärkepegel getroffen bin, dass ich jeden Nachmittag eigentlich nur komplett erschöpft im Bett lag. Das Kollegium war super lieb und bereit mich freundlich zu empfangen, obwohl sehr viele Praktikant:innen an die kleine Schule kommen. Das hat dann dazu geführt, dass ich mich bei den Kolleg:innen schnell wohl gefühlt habe und bereits viel im Austausch über die Schule und das Land erfahren durfte.
Schnell wurde klar, dass insgesamt das meiste sehr viel lockerer ist als bei meinen bisherigen Praktika im Studium. War es in Bremen aus versicherungstechnischen Gründen zum Beispiel nicht erlaubt als Praktikantin alleine mit einer Lerngruppe zu sein, so wurde ich in Sonderburg direkt gefragt, ob ich auch Vertretungsstunden übernehmen könnte.
Zu Beginn hatte ich mir gemeinsam mit der Praktikumskoordinatorin einen Stundenplan gestaltet, sodass ich dann 30 Stunden die Woche in verschiedenen Klassenstufen hospitiere. Dies gab mir am Anfang eine Orientierung und im Laufe der Zeit habe ich dann auch bei allen anderen Mittel- und Oberstufenkolleg:innen hospitiert, sodass ich viele verschiedene Lehrer:innenstile kennenlernen konnte, was für mich sehr lehrreich war.
Bereits in den ersten Wochen wurde klar, dass meine sehr hohen Erwartungen an den Unterricht nicht erfüllt wurden. Durch den guten Ruf des skandinavischen Bildungssystem hatte ich mir naiverweise vorgestellt, dass ich dort den „perfekten Unterricht“ sehen werde mit beeindruckenden pädagogischen Herangehensweisen und all den didaktischen Feinheiten, die an der Uni gelehrt werden. Doch auch an der Schule wurde nur mit Wasser gekocht. Trotzdem gab es im Vergleich zu meinen Erfahrungen in Bremens Schulen viele Unterschiede.
So bestand der Unterricht hauptsächlich aus Frontalunterricht mit Übungsphasen in selbst gewählter Gruppenarbeit, bei welcher sich die Schüler:innen meisten im Schulgebäude verteilen durften. Alle Schüler:innen verfügten über Laptops, sodass hauptsächlich digital gearbeitet wurde. Es gab dänemarkweit für alle Schüler:innen OnlineLernplattformen (Alinea, Mathefessor), die zu jedem Thema im Lehrplan vorgefertigte Einheiten und Test enthielten. Dies erleichterte einerseits die Arbeit der Lehrkräfte, gleichzeitig führte es aber auch dazu, dass ich oftmals beobachte, wie sich die Schüler:innen durch die Multiple Choice Fragen klickten ohne sie zu lesen und auf gezielte nachfragen kein Verständnis für das aktuelle Thema aufwiesen.
Mein großer Kritikpunkt an der App Mathefessor ist, dass alle Schüler:innen alle Aufgaben in der selben Reihenfolge abarbeiten mussten um alle Medaillen in der App sammeln zu können. Also haben die Schüler:innen, die das Thema schnell begriffen haben, viel zu viele zu leichte Aufgaben lösen müssen, wodurch die schnell gelangweilt waren, während die Erklärungen und Aufgaben für andere zu komplex waren, sodass sie auch nach zehn falsch gelösten Aufgaben keinen Fortschritt sahen und die Frustration stieg. Das ständige zur Verfügung stehen des Laptop sorgte wie in Bremen auch dafür, dass viele Schüler:innen zockten, statt dem Unterricht zu folgen. Immerhin gab es deutlich weniger Probleme mit Foto- und Videoaufnahmen, da alle Handys während der Schulzeit in einen Schrank eingesperrt wurden.
Als ich dann die erste anstrengendste Zeit hinter mir hatte, fing ich mehr und mehr an mich wohlzufühlen und konnte dann auch tiefer in die Kultur eintauchen und das Leben und die Geschichte der Deutschen Minderheit in Nordschleswig kennen lernen. Da ich vorher kaum Vorstellungen dazu hatte, hat es mich sehr überrascht, wie viel Geschichte in der Region steckt. Außerdem durfte ich am Yoga/Pilates-Kurs des Sportvereins der deutschen Minderheit teilnehmen, wo ich auch liebe Menschen kennengelernt habe.
Die wunderschöne Natur habe ich zusammen mit einer anderen Praktikantin erkundet. Nachdem die Natur deutlich verzögert zu Bremen in den Frühling erwachte wurde es immer schöner und auch der ständige graue Himmel und Regen, der durch den Wind von allen Seiten gleichzeitig kam, ließen nach.Neben spontan übernommenen Vertretungsstunden in verschiedensten Fächern und Altersstufen, habe ich auch selbst geplante Stunden gehalten und so sehr viel Erfahrung dazugewinnen können. Außerdem war es für mich besonders lehrreich auch in der Unterstufe tätig sein zu können. So habe ich je einmal die Woche mit Erstklässler:innen eine Lesestunde gehabt, sowie die Schulstunde „Klettern“ für die Klassen Null bis Drei begleitet. In diesem Fach haben die Kinder je in zwei Klassen Zeit eine wöchentlich wechselnde Bewegungslandschaft in der Turnhalle zu erkunden und bespielen.
In den letzten Wochen war ich dann sowohl in der Schule als auch in dem Ort so richtig angekommen und eingelebt, sodass ich dann die Zeit richtig genießen konnte. In der Schule waren bereits die Planungen für das kommende Schuljahr im vollen Gange. Inzwischen war ich so selbstverständlich ein Teil der Schule geworden, dass es sich immer etwas merkwürdig angefühlt hat, als mir einfiel, dass ich all das Geplante nicht mehr miterleben werde. Letztlich hatte ich nach den 12 Wochen so gut eingelebt und „beruflich“ sowie privat eine für mich passende Struktur gefunden, dass sich das Ende der Zeit eigentlich erst wie der richtige Anfang angefühlt hat. Aber wie heißt es so schön: Man soll gehen, wenn es am schönsten ist.
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