Schon zum zweiten Mal ging es für mich nach Griechenland nach Thessaloniki. Nachdem ich letztes Jahr ein Erasmussemester an der Aristoteles Universität in Thessaloniki gemacht habe, wollte ich dieses Mal mein Fokus auf die Arbeit in einer NGO legen. Letztes Jahr habe ich durch Volunteering verschiedene Organisationen kennen gelernt die sich für geflüchtete Menschen einsetzen. Ich habe zweieinhalb Monate für die Organisation NAOMI Thessaloniki gearbeitet wobei ich meine Zeit in der Unterorganisation Quick Response Team, im Community Center für Frauen und Mädchen neben dem Diavata Camp verbracht habe. Ich studiere Transnationale Literaturwissenschaften an der Universität Bremen und habe mein Schwerpunkt dabei auf Film, sodass meine Intention war vor allem filmisch während meines Praktikums zu arbeiten.

Meine Praktikumsstelle:
NAOMI Thessaloniki bietet humanitäre Hilfe für Geflüchtete und Aktivitäten an, die zur Förderung der Teilhaben am gesellschaftlichen Leben beitragen sollen. Der Sitz befindet sich in Thessaloniki in dem NAOMI eine Werkstatt hat, in der Textilen gemeinsam mit Geflüchteten hergestellt werden, sowie Workshop und Ausbildungen angeboten werden und Vernetzung betrieben wird. NAOMI arbeitet eng mit dem Quick Response Team zusammen. Eine kleinere Organisation, die neben dem Diavata Camp, welches sich 10 Kilometer außerhalb Thessalonikis befindet, ein Community Center für Frauen und Mädchen leitet. In diesem Community Center werden verschiedene Kurse für Menschen aus dem Camp angeboten. Nach den Qualifikationen der Freiweilligen richtet sich das angebotene Programm. Meist gibt es Sprachkurse in Englisch und Deutsch, Fotografiekurse, Kunstkurse und weiteres.

Zudem bietet das QRT im Camp Diavata First Medical Aid an, sowie eine Grundversorgung, die je nach Spenden mit Kleidung und Nahrung variiert.

Arbeit für das QRT
Verteilung/Vorbereitung des Mittagessens/Unterhaltung der Mädchen/ Betreuung
Zusätzlich zu meinen eigenen filmischen Projekten habe ich das QRT gelegentlich bei alltäglichen Aufgaben unterstützt. Dazu gehörte es, den Überblick zu behalten, wann die Frauen und Mädchen kommen und gehen, die Casa Base Richtlinien durchzusetzen und darauf zu achten, dass die Mädchen fair miteinander umgehen. Ich half bei der Unterhaltung der Mädchen, indem ich mit ihnen malte und bastelte und habe anderen Menschen bei ihren Kursen geholfen, besonders beim Nähkurs. Ich habe auch manchmal das Essen für die Mittagspause oder für die Essensausgabe mit vorbereitet und bei der Verteilung sanitäre Produkte im Lager geholfen.

Deutsch unterrichten:
Der Deutschunterricht fand zweimal wöchentlich in zwei Gruppen mit unterschiedlichem Niveau A1 statt. In Gruppe 1 mit 12 Frauen, die zum ersten Mal Deutsch lernten, wurden den Frauen mit Hilfe von zuvor vorbereiteten Arbeitsblättern die Grundlagen und Einführung in die Sprache vermittelt. Die Themen waren Kennenlernen, Familie, Wochentage, Zahlen und Uhrzeiten. Die Klasse wurde während des Unterrichts in kleinere Gruppen aufgeteilt, um die Sprache besser üben zu können. Die zweite Gruppe hatte bereits einige Vorkenntnisse. Nach einem gemeinsamen Austausch wurde der Fokus auf Dialoge und das Sprechen gelegt. Es wurden verschiedene Frage-Antwort-Konstellationen zu Themen wie Aussehen, Hobbys, Vorlieben und Supermarktbesuche durchgespielt. Dazu wurden die Schülerinnen meist in Kleingruppen eingeteilt. Die Deutschkurse gingen vier Wochen lang.

Filmprojekte für das QRT
Ich habe verschiedene Filmprojekte und Workshops über meine Praktikumszeit ins Leben gerufen.

Filmworkshop: Inside – Outside: Gefühle und Emotionen über das Leben in einem Lager und das Draußensein im Casa Base oder in Thessaloniki

Das Ziel des Workshops war es, den Mädchen und Frauen grundlegende Filmkenntnisse zu vermitteln. Die Untereinheiten waren in verschiedene Themen unterteilt. In der ersten Lektion wurde den Mädchen und Frauen vermittelt, wie die technischen Einstellungen an der Kamera funktionieren, sowie der Umgang mit Licht und ISO. Grundkenntnisse der Fotografie wurden vorausgesetzt, konnten aber bei Bedarf wiederholt werden. In der zweiten Aufgabe ging es um die Bildkomposition und welche Auswirkungen das Gezeigte und nicht Gezeigte im Bild auf die Wirkung haben.

Im weiteren Verlauf des Workshop, welches mehrfach wöchentlich mit verschiedenen Gruppen stattfand, beschäftigten sich die Frauen und Mädchen mit den Fragen: Wie fühlt ihr euch im Camp Diavata und wie fühlt ihr euch im Casa Base oder außerhalb des Camps.
Für diese Diskussion haben die Frauen ihre ersten Ideen aufgeschrieben und in der Gruppe ausgetauscht. Ausgehend von diesen Eindrücken und Emotionen überlegten sie gemeinsam, wie sie filmisch umgesetzt werden konnten. Außerdem wurden die Gruppen verkleinert, da sie nur mit einer Kamera arbeiteten. So waren 2-3 Frauen und Mädchen in einer Gruppe und sie trafen sich mindestens zweimal pro Woche.

Nachdem die Idee ausgearbeitet war, wurde entschieden, welche Requisiten mitgenommen werden sollten und an welchem Set gedreht werden sollte. Für die Umsetzung der Idee „Emotionen im Camp“ nutzten die Mädchen und Frauen teils das Fotostudio vom Casa Base, um einen neutralen schwarzen Raum zu haben. Für die Außenaufnahmen wählten die Mädchen immer Locations draußen im Garten des Community Centers oder rund um das Camp Diavata. Für ihre eigene Filmidee standen die Frauen und Mädchen vor der Kamera, für die anderen Ideen bedienten sie entweder die Kamera, machten die Beleuchtung oder führten Regie. In allen Bereichen habe ich immer Hilfestellungen und Anregungen gegeben. Die Mädchen und Frauen lernten verschiedene Einstellungen kennen, außerdem setzten sie sich ästhetisch mit Blende und Licht auseinander.

Beim Schnitt wurde gemeinsam entschieden, welche Szene ausgewählt und wie diese geschnitten werden soll. Dadurch bekamen sie einen Einblick in Adobe Premiere Pro. Es war manchmal schwierig für die Frauen und Mädchen, komplett alleine zu schneiden, da die meisten von ihnen keine Vorerfahrung mit dem Umgang eines Laptops hatten. Daher schnitten sie hauptsächlich mit meiner Unterstützung und die Frauen und Mädchen, die bereits Vorerfahrung im Schneiden hatten, konnten mehr alleine schneiden. Im letzten Schritt haben die meisten Frauen und Mädchen ihre Texte noch einmal überarbeitet und gemeinsam mit mir einen Weg gefunden, ihre Gedanken auszudrücken. Diese Texte wurden dann aufgenommen und als Voice Over in das Video integriert, das zusätzlich mit Musik unterlegt wurde. Die Mädchen und Frauen durften wählen, ob sie den Text auf Englisch oder in ihrer Muttersprache aufnehmen wollten. Wählten sie ihre Muttersprache, wurde eine gemeinsame Übersetzung angefertigt. Die Frauen und Mädchen, die regelmäßig an der Videoklasse teilgenommen haben, haben nun am Ende ihr eigenes kleines Video, das zwischen 40 Sekunden und etwa 1 Minute lang ist. Zusammen mit einer der Frauen wurde ein Schnitt erstellt, der alle Videos der Mädchen und Frauen sowie Aufnahmen hinter den Kulissen enthält.

QRT Film
Ich habe mit Absprache der Leitung einen kurzen Film produziert, der zeigt, wie das QRT in Casa Base und im Camp Diavata arbeitet. Der Kurzfilm ist 4 Minuten lang und soll die verschiedenen Aktivitäten im Casa Base und teilweise im Camp zeigen. Eines der Mädchen, die das QRT unterstützen, ist die Erzählerin des Films. Sie führt durch die Casa Base. Dazu haben wir uns gemeinsam einen Text ausgedacht, der mit ihren Worten die Aktivitäten der NGO beschreibt. Nach dem ersten Rohschnitt überlegten wir gemeinsam mit der Leitung, was man noch ändern könnte. Die folgenden Themen wurden besprochen: Casa Base, als sicherer Ort direkt neben dem Camp Diavata, die verschiedenen Klassen, die im Gebäude stattfinden, die Essensausgabe und die Mittagspause, die medizinische Erstversorgung, der Garten als Ort für Unterricht im Freien und die Verteilung von Hygieneprodukten und Lebensmittel im Camp. Diese Themen werden von der Sprecherin mit weiteren Videos zu den jeweiligen Aktivitäten angesprochen. Hierfür habe ich über vier Wochen gefilmt. An einem Tag habe ich die Ärzte bei der Vorbereitung und medizinischen Erstversorgung im Camp begleitet, auch die Verteilung von sanitären Produkten im Camp wurde eingefangen. So entstanden zahlreiche Clips aus Casa Base und den angebotenen Aktivitäten.

Neben der Arbeit an einem kurzen Video über die Arbeit des QRT in Casa Base, habe ich auch kurze Teaser zu den Themen: Kunstunterricht, Sprachunterricht und Gitarrenunterricht angefertigt. Diese kurzen Videos sind im Durchschnitt 30 Sekunden lang und gut für Social-Media-Plattformen geeignet.

Woman‘s Life: Filmportrait einer Frau im Diavata-Lager
Dieses filmische Projekt entstand als eine junge Geflüchtete, die mich von dem Jahr davor kannte und gefragt hat, ob ich ihre Geschichte filmisch erzählen konnte. Nach Absprache mit der Leitung begann ich damit.

Zuerst einmal paar allgemeine Gedanken dazu, die in der Arbeit zu berücksichtigen waren.
Die Geschichte einer Frau auf der Flucht zu erzählen, die aus geschlechtsspezifischen Gründen ihr Land verlassen musste, ist ein sensibles Thema. Zugleich sind es Geschichten, die sich im Leben von Frauen auf der Flucht immer wieder ereignen. Die Stimme von Frauen auf der Flucht werden oft doppelt nicht gehört. Zum einen, weil Geflüchtete in Europa meist illegalisiert werden und zum anderen, weil sie Frauen sind, die aufgrund familiärer und gesellschaftlicher Zwänge nicht den Raum beanspruchen, über ihr Leben und ihre Fluchtgeschichten zu sprechen.
Die Idee war, ein kurzes Porträt einer geflüchteten Frau zu machen. Der Modus des Films soll ein Porträt sein, weil er gegen kollektive Bilder arbeitet. Auch wenn sich die Geschichten der Frauen wiederholen, ist es mir wichtig, ihre Individualität und Subjektivität zu stärken. Das birgt aber auch Schwierigkeiten, weil es mir als Filmemacherin wichtig ist, nicht Geschichten über Frauen auf der Flucht zu erzählen, sondern sie gemeinsam mit ihnen zu erzählen. Ich habe mich um eine enge Zusammenarbeit bemüht, indem alle Prozesse gemeinsam besprochen und reflektiert werden und die Bedürfnisse und Gefühle der Protagonistin sensibel angesprochen werden.

Andererseits erfordert dieses Projekt einen sensiblen Umgang mit der Verletzlichkeit von geflüchteten Frauen. Gleichzeitig ermöglicht es der Protagonistin, gehört zu werden und Raum für ihre Lebensgeschichte zu haben, die von der patriarchalen Unterdrückung ihres Landes geprägt ist. Themen, die für das Porträt relevant sind, sind Zwangsverheiratung, Verfolgung, sexuelle Übergriffe, Ungleichheit aufgrund von Herkunft und Geschlecht, schlechter Zugang zu Bildung, Schwierigkeiten und körperliche Auswirkungen von Flucht und Verfolgung. Der Arbeitsprozess sah vor, dass die Protagonistin ihre Geschichte auf ihrer Muttersprache erzählt und nach ersten Gesprächen niederschreibt und wir diese Geschichte gemeinsam ins Englische übersetzen. Der englische Text wird mehrmals überarbeitet, damit die Protagonistin sicher sein kann, dass sie ihre Geschichte so erzählen kann, wie sie es möchte. Da die Protagonistin es vorzieht, ihre Geschichte in ihrer Muttersprache zu erzählen, dient die gemeinsame englische Übersetzung als Verständigungsbrücke zwischen mir und ihr und auch als Untertitel für die in Farsi gesprochenen Interviewsequenzen.

Ich habe Interviewsequenzen zu den Themen aufgenommen. Die Themen sind wie folgt.
1. Keine Papiere – keine Identität
2. Kämpfe um Bildung
3. Zwangsehe
4. Zurück im Iran
5. Weg nach Europa

Danach wurden weitere Aufnahmen von ihr gemacht, sowie Bilder und Fotos aus der Vergangenheit gesucht, um die Geschichte, die in der Vergangenheit liegt, mit Bildern zu gestalten. Außerdem wurden Bilder aus ihrem Alltag im Diavata-Lager im Container aufgenommen werden, um Punkt 5 visuell zu entwickeln.

Gemeinsam mit der Protagonistin wurden mögliche Szenen und Bilder erstellt. Im abschließenden Prozess habe ich mit der Protagonistin in der Postproduktion gearbeitet, um zu sehen, wie ihre Geschichte visuell erzählt werden kann. Aufgrund der Befürchtung negativer Auswirkungen auf das Leben in Griechenland und möglicher Rückwirkungen auf das laufende Asylverfahren wird mit dem Endprodukt sensibel umgegangen und nur nach den Wünschen der Protagonistin entschieden, inwieweit und zu welchem Zeitpunkt der Film veröffentlicht werden soll.

Fazit
Nach zwei eineinhalb Monaten bei der NGO war ich froh doch durch zu sein. Nicht weil meine filmischen Projekte mir nicht über alles Freude bereitet haben, sondern weil die Organisation innerhalb des QRT Teams mir meine, vorher abgesprochenen, filmischen Arbeiten sehr erschwert hat. Neben all den Projekten und Tagen, an denen ich morgens um 9 Uhr das Haus verlassen habe und gegen 20 Uhr wieder zuhause war, um danach noch die Film- und Sprachkurse bis in die Nacht vorzubereiten, habe ich viel meiner Energie, teils sehr aussichtslos, in die kritische Hinterfragung der bestehenden Strukturen der Organisation gesteckt. Ich habe immer wieder bei den gemeinsamen Meetings am Morgen, Abläufe und Strukturen kritisch hinterfragt und eine achtsame, gewaltfreie Kommunikation eingefordert. Mir war es wahrscheinlich deswegen so wichtig, weil ich das Jahr davor schon mehrere Monate für diese Organisation gearbeitet habe, und dann weil es mich erschreckt hat, wie in diesem sensiblen Arbeitsbereich mit Freiwilligen, die teils gerade erst die Schule beendet haben, umgegangen wurde. Die sehr starren, sehr hierarchischen Strukturen führten zu sehr viel Druck innerhalb der Arbeitsatmosphäre. Die Betreuung der Praktikant*innen fiel nur sehr spärlich aus. Immer wieder musste ich für meine Projekte einstehen, dafür kämpfen, dass ich die Zeit und den Raum bekomme. Teils wurden mir willkürlich und spontan einzelne Projekte entzogen, dann wieder willkürlich zugestanden. Ich bin jeden Tag mit einem Unbehagen zur Arbeit gegangen und war mir nicht sicher, ob ich meine filmischen Projekte machen konnte. Erst nachdem ich angedroht habe, das Praktikum vorzeitig zu beenden, bekam ich den Zuspruch meine vorher abgesprochenen Projekte auch wirklich realisieren zu dürfen. Dann konnte ich auch mein Arbeitsstundenpensum auf circa 50 Stunden pro Woche runterkriegen. (Was eigentlich immer noch zu viel war) Für mich war das Praktikum auf der einen Seite, eine wunderbare Chance mit jungen geflüchteten Frauen eng filmisch zusammen zu arbeiten, auf der anderen Seite war das Praktikum ein Kampf gegen patriarchale und sehr stark hierarchische Strukturen innerhalb der Organisation, die mir schlaflose Nächte bereitet haben. Diese unbequemen Gegebenheiten haben mich jedoch in meine queerfeministischen, antikapitalistischen Positionen nur bestärkt und ich bin sehr froh darüber, dass ich mich nicht einschüchtern lassen habe, meine Ideale gelebt habe, um letztendlich irgendwie in mein Praktikum in unterschiedlichen Bereichen für mehr Gerechtigkeit einzustehen.