Ich hatte immer mal wieder mit dem Gedanken gespielt, während des Studiums ins Ausland zu gehen, kam jedoch am Ende jedes Mal wieder zu dem Schluss, dass es nicht der richtige Zeitpunkt sei, nicht in den Aufbau des Jurastudiums passe und ich wollte nicht riskieren, aus dem Lernmodus herauszukommen. Nach Abschluss des ersten Staatsexamens und mit dem Wissen, das Referendariat würde erst 6 Monate später beginnen, begab ich mich dann nach dem Studium auf die Suche nach deutsch-spanischen Rechtsanwaltskanzleien in Madrid und Barcelona, die sich vom Tätigkeitsbereich her nicht lediglich auf Erb- und Immobilienrecht beschränkten, sondern breiter im internationalen Handels- und Gesellschaftsrecht aufgestellt und für ein Erasmus+-Praktikum offen waren. Das Feedback aller Kanzleien, bei denen ich mich bewarb, war sehr positiv. So hatte ich die Wahl, wohin ich wollte, und diese fiel auf Rödl & Partner Abogados y Asesores Tributarios, S.L.P., in Barcelona – welche goldrichtig war.

Facts zur Kanzlei
Die Kanzlei ist eine von 111 Niederlassungen von Rödl & Partner in über 50 Ländern und im Bereich Erneuerbare Energien, Schiedsverfahren, im Arbeitsrecht sowie Handels- und Gesellschaftsrecht tätig und vertritt vor allem mittelständische Unternehmen. In der Niederlassung in Barcelona wird auf Spanisch, Deutsch, Katalanisch und Englisch gesprochen und gearbeitet.

Das Team in Barcelona, bestehend aus deutschen und spanischen Rechtsanwälten und Wirtschaftsprüfern, umfasst ca. 45-50 Mitarbeiter – mit den Juristen in der 5. Etage und der Mehrheit der Wirtschaftsprüfer in der 8. Etage. Von Tag 1 an haben sie es mir leicht gemacht, mich zu integrieren, mich in ihre Themen einzuarbeiten und alle von einer herzlichen und aufgeschlossenen Seite her kennenzulernen. Bei den gemeinsamen Mittagessen auf der Dachterrasse hat man die Kollegen noch besser kennengelernt, gemeinsam gelacht und Barcelonas tolles Wetter genießen und viel Neues über die Stadt, die Sprache, die Gewohnheiten und das Land lernen können.

Der Kanzleialltag sah generell so aus, dass ich teils deutsche und teils spanische juristische Aufgaben bekam und mich mit den jeweiligen dafür zuständigen Anwälten besprach. Wirklich lehrreich und wertvoll fand ich, dass die Einstellung aller in der Kanzlei offen war, Fragen meinerseits jederzeit willkommen wirkten und sie sich die Zeit nahmen, mir Thematiken und Problematiken näher zu erläutern. Die Arbeit in der Kanzlei war intensiv, unglaublich interessant, sie haben mich zu vielen Karriere-, Fortbildungs- und Networking-Veranstaltungen mitgenommen, mir bei der Ausarbeitung der Aufgaben viel Freiraum sowie Entscheidungsspielraum gelassen und viel Vertrauen entgegengebracht. Da einige der spanischen Anwälte noch jünger sind, haben wir auch regelmäßig in der Freizeit etwas zusammen unternommen. Aus all diesen Gründen wird mir Rödl & Partner definitiv in allerbester Erinnerung bleiben und ein Besuch der Kanzlei ist für den nächsten Barcelona-Besuch schon fest eingeplant.

Leben und Leute
Meine WG-Zimmersuche verlief problemlos und ich fand über www.idealista.com schnell ein bezahlbares Zimmer in Gracia. (Für Wintermonate ist es wichtig, darauf zu achten, dass die Wohnung auch mit einer Heizung ausgestattet ist.) Der Stadtteil hatte mich zuvor schon mehrfach auf Reisen begeistert. In Gracia tauchen zwar immer mal wieder ein paar Touristen auf, aber grundsätzlich findet man dort in den Gassen und auf den kleinen Plätzen das typische, junge, lebendige katalanisch-spanische Leben mit Straßenfesten, Märkten, Theatern, Kinos, kleinen Bars und Tapas-Restaurants oder einfach mit den Typen, die rauchend, mit Rastas, Hund und Ohrring entspannt auf ihrer Gitarre spielend.

El Parque Natural Collserola

Am oberen Ende von Gracia liegt die grüne Lunge Barcelonas, der Park Guell. Abgesehen von der Touristenhochzeit im August, war es das Jahr über immer wieder schön, abends dort entlang der abgelegeneren Wege zu spazieren. Andere Abende hat man in den alten Kneipen, bei Jam Sessions oder sonstigen Konzerten oder beim Volleyball am Strand verbracht und an den Wochenenden war man in den Bergen im Hinterland Barcelonas wandern. Die Berge hatte ich auf meinen Reisen vorher nie näher kennengelernt und ich denke, sie sind eigentlich mit das Schönste, was Barcelona zu bieten hat – Pedralbes, Montserrat, Montseny, Parque Natural Collserola – neben der Lebendigkeit und dem Trubel der Stadt bieten die Berge einem durch die Ruhe und Natur einen wunderbaren Ausgleich zur Hektik der Stadt.

Was meine Wohnung und meine Mitbewohner angeht, hatte ich Glück; Zwei Informatiker und Musikvirtuosen aus GB und Honduras, die mich ab der ersten Sekunde in ihr Leben und in ihren Freundeskreis in Barcelona integrierten. Ihre Freunde sind in der Zeit auch meine geworden, und so sind wir zusammen zum Spiel von Barca, zu Konzerten ins Razzmatazz und in die Sala Apollo, an die Strände von Montgat, Castelldefels, Sitges und Lloret de Mar als auch zur Festa Major de Gracia gegangen.

Versteckte Buchten in Lloret de Mar

Um außerhalb von der Kanzlei und der WG Land und Leute kennenzulernen und etwas zu unternehmen, fand ich die Website www.meetup.com besonders hilfreich. Über diese hatte ich mir Beachvolleyballkurse und -turniere, Wanderungen und Pilates rausgesucht. Man kann dort Leute und Kurse sowohl für Sport als auch für Museumsbesuche, Tapas-Abende, Musik, Wandertouren etc. finden.

Blick in die Zukunft
Ziel meines Aufenthalts in Spanien war mitunter, auch zu sehen, ob ich mir die Arbeit als deutsche Anwältin und ein Leben dort vorstellen kann und ob es realistisch ist. Nach der Zeit dort denke ich, dass es auf jeden Fall realistisch ist. Vielmehr ist Barcelona eine Stadt, in der nahezu alles möglich erscheint und ich habe viele Freunde gefunden, die man nach fünf Monaten in Spanien gerade erst richtig kennengelernt hat und zu denen man die Freundschaften gerne vor Ort noch mehr ausgebaut hätte. Ob ich mir vorstellen kann, beruflich nach Barcelona zu gehen? Ich werde mit dem Beginn des Referendariats keine konkreten Pläne für die Zeit in zwei Jahren schmieden – am Ende kommt eh alles anders, als man denkt – aber es ist eine Option, die ich sehr gerne im Kopf behalte!