Ein Spaziergang mit Folgen
An einem dieser typischen goldenen Herbsttage im Oktober versammelt sich in Bremen eine bunte Gruppe von Flinta*-Personen. Es ist der 27.10, Ende der Sommerzeit. Die Sonne scheint jedoch überraschend warm, und nach und nach kommen immer mehr Menschen zusammen, bis sich schließlich etwa ein Dutzend Leute im Bremer Viertel Neustadt eingefunden hat. Die „GirlsTalkingWalking“-Gruppe – ein soziales Projekt von Ricarda (26) und ihrer Mitgründerin Ronja (26) – organisiert diesen Flinta*-Spaziergang, bei dem sich Menschen aus der Bremen-Community austauschen und kennenlernen können. Das Team der Campus Eule ist heute mit dabei, um über das Treffen zu berichten.
Ein Safe Space in Bewegung
Der heutige Spaziergang beginnt gemächlich, während die Teilnehmenden erst noch ein wenig zurückhaltend wirken. Doch die beiden Veranstalterinnen haben Routine darin, die anfängliche Stille zu durchbrechen: Ricarda und ihre Co-Organisatorin leiten eine Vorstellungsrunde ein, die schnell für Auflockerung sorgt. Die beiden sind Studentinnen an der Uni und leben schon eine Weile in Bremen. Kaum in Bewegung gekommen, mischt sich die Gruppe bald wie von selbst immer wieder neu durch, und nach wenigen Minuten ist von Stille keine Spur mehr. Die Gespräche fließen natürlich, die Stimmung ist ungezwungen und herzlich – es wird über Lieblingsbücher, das Leben in Bremen und andere persönliche Interessen gesprochen. Wer den „GirlsTalkingWalking“-Spaziergang begleitet, merkt schnell: Hier wird mehr als nur geredet und gewandert; hier entstehen echte Begegnungen und Verbindungen. Menschen mit den unterschiedlichsten Interessen und Persönlichkeiten treffen hier aufeinander, aus Fremden werden Bekannte.
„GirlsTalkingWalking“ ist mittlerweile in Bremen eine beliebte Anlaufstelle für Flinta*-Personen (Frauen, Lesben, intersexuelle, nicht-binäre, trans und agender Personen). Zwei Mal im Monat lädt die Gruppe zu Spaziergängen ein, meist an Sonntagen und an wechselnden Vierteln in Bremen. Die Jahreszeit spielt hierbei keine Rolle- Die Idee dahinter ist simpel und kraftvoll zugleich: Menschen miteinander in Kontakt zu bringen, die sich vielleicht sonst nicht über den Weg laufen würden, und einen sicheren Raum zu schaffen, der für alle Flinta*-Personen offen ist. Unterschiedliche Hintergründe, verschiedene Altersgruppen – Ronja und Rika ist es wichtig, die Spaziergänge nicht nach einem stereotypischen Design zu gestalten. Dadurch schaffen sie einen Raum, der eben nicht nur cis* Frauen anspricht.
Mehr als ein Spaziergang
Einige Teilnehmende erzählen mir, dass sie erst seit kurzem in Bremen wohnen und auf diesem Weg neue Menschen kennenlernen wollen. Für eine andere Person, die regelmäßig dabei ist, bietet die Gruppe ein Gefühl von Sicherheit: Sie geht gerne spazieren, fühlt sich aber allein oft unwohl, weil sie in der Vergangenheit unangenehm angesprochen wurde. „Hier kann ich mich entspannen und mein Hobby sicher genießen“, erzählt sie mir. Das Interesse, sicher neue Menschen kennenzulernen bewegt die meisten Leute zu dem Spaziergang. „Ich möchte ich selbst sein dürfen und dabei sicher sein“, berichtet mir eine andere Teilnehmende. Dass die Spaziergänge von „GirlsTalkingWalking“ auch eine Art Safe Space sind, in dem man sich wohlfühlt und nicht mit Fremden unterwegs ist, die womöglich übergriffig sein könnten, ist den Organisatorinnen ein wichtiges Anliegen.
„Für uns ist es ein zentraler Gedanke, dass die Spaziergänge allen Teilnehmenden Sicherheit und Barrierefreiheit bieten“, erklärt Ricarda. Für sie und Ronja ist das Projekt eine Herzensangelegenheit. Sie betonen, dass sie ihre Aktion auch gerne entfernt von kommerziellen Zwecken halten möchten. Zur Barrierefreiheit gehört eben auch, dass jede Person unabhängig von finanziellen Mitteln oder Verhältnissen Beziehungen aufbauen und ihren sozialen Umkreis erweitern können, so die Organisatorinnen. Es ist ihnen zudem wichtig, dass Menschen über ihre Gruppe Verbindungen knüpfen können, die auch über das Event hinaus Bestand haben. „Einige der Teilnehmerinnen haben erzählt, dass sie tatsächlich Freundschaften geschlossen haben und sich regelmäßig austauschen. Das ist großartig und bestärkt uns, immer wieder solche Treffen zu organisieren“, fügt sie lächelnd hinzu. Am Ende des Treffens bekomme ich im Augenwinkel mit, wie zwei Personen ihre Nummern austauschen.
Kleine Anekdoten am Wegesrand
Im Laufe des Spaziergangs gibt es immer wieder spontane Zwischenstopps. Die Teilnehmerinnen teilen kleine Geschichten über ihre Erfahrungen in Bremen, erzählen Wissenswertes über die Stadt oder bringen einen persönlichen Tipp zu einem versteckten Café ein. Es stellt sich heraus, dass nicht nur Neulinge in Bremen teilnehmen, sondern auch waschechte Bremerinnen. An diesen Stellen lebt die Gruppe noch mehr auf: Es wird gelacht, gestaunt und man merkt, dass der Austausch wirklich Freude bereitet. Die Veranstalterinnen gestalten ihre Routen für Spaziergänge so divers, dass auch wiederkehrende Teilnehmerinnen sich nicht langweilen müssen.
Am Ende des Spaziergangs ist klar: „GirlsTalkingWalking“ ist mehr als nur ein Spaziergang. Für viele ist es ein Anker, ein Ort, um neue Freundschaften zu knüpfen und das Gefühl von Zugehörigkeit zu erleben. Der heutige Herbstspaziergang in Bremen endet vielleicht nach wenigen Stunden, aber die neu entstandenen Kontakte und die inspirierenden Gespräche werden wohl noch lange nachwirken.
So klingt der Tag mit einem Gruppenfoto und vielen lachenden Gesichtern aus – und einige der Teilnehmerinnen verabreden sich direkt für den nächsten gemeinsamen Spaziergang. „Bis zum nächsten Mal!“, ruft eine Teilnehmerin. Denn klar ist: Wer einmal dabei war, kommt meistens wieder zurück.
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