Seaspiracy – Eine Filmreview

Der neue Film Seaspiracy von Kip Andersen unter der Regie von Ali Tabrizi ist aktuell in aller Munde und trifft den Nerv des Zeitgeistes. Der Dokumentationsfilm zeigt die brutale Wahrheit hinter dem Fischfang, der Plastikverschmutzung, den Arbeitsbedingungen und darüber hinaus. Und wenn ich brutal sage, dann meine ich das auch so. Also vorab: TRIGGERWARNUNG! Der Film behandelt nicht nur besagte Themen sondern beinhaltet auch Szenen der Tiergewalt. Leider fehlt diese Warnung zu Beginn des Filmes. Auch in diesem Artikel gilt daher eine Triggerwarnung und natürlich, Achtung Spoiler!

 

Spätestens seit der Fridays for Future Bewegung sollte jedem Menschen bewusst geworden sein, welches Leid wir der Umwelt durch unseren Lebensstil zufügen. Obgleich wir uns dessen (mich eingeschlossen) immer bewusster werden, sind unser Handeln und politische Beschlüsse langsamer als eine Schnecke. Und die sind vor Allem für ihr langsames Tempo bekannt…peinlich, oder? Der Film spiegelt dies in Spielfilmlänge schmerzhaft wider und welche Auswirkungen eben jenes (Nicht-)Handeln auf die diversen Bereiche des Meeres hat. Allem voran der Fischfang.  Denn die damit einhergehende Überfischung und Verschmutzung des Meeres, die Fischereimethoden, die illegale Fischerei und der Beifang werden immer noch zu selten thematisiert. Die gezeigten Bilder sind brutal und blutig, aber vielleicht auch notwendig, um die Dringlichkeit des Themas in seiner Gänze zum Ausdruck zu bringen. Die Wahrheit tut oft weh. Wer möchte schon sehen, wie Delfine und Wale unnötig als Beifang für Dosenthunfisch sterben und teils als „Ungeziefer“ zum Sündenbock degradiert und abgeschlachtet werden?

Die komplexen Themen und Probleme werden einem Laien visuell gut dargestellt. Doch um ehrlich zu sein, wird für mich der Film eben jener Komplexität nicht gerecht. Ein Film, der zahlreiche Probleme anspricht, kann in 90 Minuten vielleicht auch nicht dem Umfang dessen gerecht werden. Um die vielfältigen und miteinander korrelierenden wissenschaftlichen Faktoren angemessen zu behandeln, wäre eine Mini-Serie besser gewesen, obwohl diese nur die Oberfläche der zahlreichen Forschungen, Ansichten und Lösungsversuche in der Wissenschaft anschneiden kann. Ebenso sorgte nicht nur bei mir die Konklusion des Filmes zu dem Problem des Fischfangs auf Unverständnis. „Esst keinen Fisch mehr“. Wirklich? Wäre es so einfach, wäre die Welt womöglich morgen gerettet. Kaum einer würde widersprechen, dass weniger Fischkonsum dem Umweltwohl guttut, doch ist es nicht DIE LÖSUNG. Denn Stand jetzt sind 3 Milliarden Menschen von der Küstenfischerei abhängig, sei es als Beruf oder zur eigenen Ernährung, weil es eine wichtige Nahrungsquelle am Wohnort ist. Nicht jede*r kann ihre*seine Nahrung frei wählen und der Verzicht auf Fisch würde für die Betroffenen mit Armut, Hunger und Mangelernährung einhergehen.

Im Sinne der Wissenschaftlichkeit, da der Film sich als „Dokumentation“ verschreibt, fehlen oftmals die Belege für die verwendeten Zahlen und Fakten. Doch schlimmer ist, sie sind teilweise bewiesen falsch. Laut WWF stimmt die Behauptung, dass es 2048 keine Fische mehr gibt, nicht. Das US-amerikanische National Fisheries Institute (NFI) sagt zudem, dass diese Studie aus dem Jahr 2006 sogar vom Verfasser selbst vollständig wiederlegt wurde. Und Blauflossenthunfisch kostet nicht 100.000 $/Fisch. Der Zuschauende wird den Film über mit falschen Zahlen gefüttert.

https://www.watson.de/nachhaltigkeit/netflix/220303212-netflix-doku-seaspiracy-um-klima-zu-retten-muss-fischerei-gestoppt-werden

Im Film werden hauptsächlich Aktivist*innen interviewt, Organisationen wie das NFI wurden nach ihren eigenen Aussagen weder kontaktiert noch befragt. Dies stieß bei mir vor allem übel auf, als es um Anschuldigungen der Sklaverei in Thailand ging. Als halb Thai war mein persönliches Interesse, ob und wie das ganze dort geschieht, groß. Leider wurde dieses Thema nur mit vielen offenen Fragen angeschnitten, Staatsstimmen glänzten erneut durch ihre Abwesenheit. Interviewt wurden Betroffene, anonymisiert für ihre Sicherheit. Das ist auch gut und wichtig! Doch laut dem „Thai Enquirer“ wurden nur kaukasische oder westliche-welt repräsentierende Expert*innen gezeigt. Das Problem sei jedoch in thailändischen Bewegungen bekannt und werde längst versucht zu bekämpfen. Darüber hinaus sei das Verfilmte vom Stand 2016 und angeblich seien einige Szenen nicht einmal in Thailand gedreht worden.

 „Seaspiracy“ zeigt in einer apokalyptischen Art das komplexe Geschehen auf dem Meer. Für mich gleicht es einem filmischen Clickbating. Die vorherigen Filme von Kip Andersen „What the Health“ und „Cowspiracy“ waren ähnlich aufgebaut und schlussfolgerten z.B. mit der vereinfachten Lösung: Esst kein Fleisch. Die Bilder sind teils sehr hektisch, mit dramatischer Musik untermalt und spielen die Emotionen der Protagonist*innen mit ein. Dies ist kein reiner Dokumentationsfilm.

Auch wenn ich und andere Stimmen einige negative Kritikpunkte haben: Der Film spricht dennoch wichtige Punkte an und weist auf das Fehlverhalten der Menschen hin. Er verschiebt mit seinem Lösungsansatz aber mal wieder das Problem von der Politik auf das Individuum. Ja, jede*r einzelne kann dazu beitragen und sollte weiter nachhaltiger leben. Was wir brauchen sind aber striktere Maßnahmen, Regularien, Unterstützungen und auch Sanktionen durch die Politik, damit sich endlich etwas ändert…am liebsten in Schallgeschwindigkeit.

 

 

Quellen:

blog.wwf.de/warum-seaspiracy-ein-guter-und-wichtiger-film-ist

www.thaienquirer.com/26101/seaspiracy-documentary-under-fire-from-environmentalists-for-factual-errors-conspiracy-theories

www.tk-report.de/2021/04/viel-kritik-an-netflix-doku-seaspiracy

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  1. […] Astronaut Alexander Gerst und Ozeanologin Sylvia Earle ihre Gedanken mit uns teilen. Anders als bei Seaspiracy von Kip Andersen kommt dieser Film nicht mit einer Masse an Daten und Zahlen, sondern appelliert an […]

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