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Beobachtungen im Zug

Prüfungsleistung

Ich präsentiere Euch hier was und wen ich alles so während meiner Zugfahrt von Bremen nach Lüneburg wahrgenommen habe. Anschließend habe ich mich daran versucht meine Beobachtungen zu deuten und ansatzweise zu analysieren:)

Wir befinden uns in dem Regionalzug von Bremen nach Hamburg, an einem Freitagnachmittag, der 11.12.2020 gegen vier Uhr. Vor dem Fenster fliegt eine farblose, flache Landschaft vorbei mit weiten Feldern und kahlen Bäumen. Draußen beginnt es schon zu dämmern und die warmen Neonröhren spiegeln sich in den verdreckten Fensterscheiben. Die blau, gelb gemusterten Sitze sind hauptsächlich leer und es befinden sich nur eine Handvoll Leute im Wagen. Am Wagenende ist eine grüne Leuchtschrift zu sehen, welche abwechselnd die Uhrzeit (16:17), die Wagennummer (5) und die Endstation (Hamburg Hbf) einblendet.

Wenn man durch die Sitzreihen den Gang runter guckt, entdeckt man auf den Fenstersitzen einen dunklen Haarschopf und weiter hinten eine schwarze Cap. Schräg am Fensterplatz gegenüber, sitz eine blonde junge Frau. Sie trägt dunkle Jeans, einen dunklen Hoodie, eine schwarze Maske und tippt vertieft auf ihrem Handy. Neben ihr auf dem Sitz steht eine schwarze Reisetasche.

Zu hören ist ein regelmäßiges Rattern und Rauschen. Ab und zu ein Rascheln, ein Flüstern oder ein leises Lachen. Ein junger Mann mit Mütze ist aufgebracht am telefonieren und flucht manchmal leise. Inhaltlich handelt sein Telefonat von zu wenig überwiesenem Lohn und fehlendem Corona-Bonus. Immer mal wieder ertönt aufmunterndes Klaviergeklimper und die Ansage einer Frauenstimme bezüglich des nächsten Halts. Daraufhin eine Durchsage von einem Mann, der die Ausstiegsseite bekannt gibt.

Zu riechen gibt es nicht viel, neben der feuchten Luft unter der eigenen Maske. Einmal ganz leicht den Duft eines Aftershaves, als ein mittelalter Mann vorbei läuft und sich einen Sitz im vorderen Teil des Wagens sucht.

Die Menschen in dem Zug haben die unterschiedlichsten Ziele, jedoch lässt sich beobachten, dass die meisten bei der Endstation in Hamburg den Zug verlassen. Jeder hier ist verpflichtet eine Maske zu tragen, was immer zu Beginn der Zugfahrt von der Schaffner*innen verkündet wird. Es geht hierbei um das Schützen seiner Mitmenschen, wie auch um den eigenen Schutz. Die Masken dämpfen die Stimmung. Irgendwann ist jeder erschöpft von dem ständigen Sauerstoffentzug und widersteht der Versuchung die Maske leicht unter die Nase zu ziehen. Dies ist daran erkennbar, dass ab und zu die Leute ihre Nasen kurz lüften. Man entscheidet sich bewusst für den Sitzplatz am Fenster. Unteranderem weil es so angeordnet ist, aber auch um Fremden nicht zu Nahe zu kommen und sich somit irgendwelchen Risiken auszusetzen. Immerhin befindet man sich aktuell in einer Pandemie und stetig steigt die Zahl der Infizierten, woraufhin jeder in der Pflicht ist, sich den Gegebenheiten anzupassen.

Wenn nicht das Buch, ist das Handy ein stetig genutztes Ablenkungsmittel, während der Zugfahrt. Ein Fluchtversuch aus der Langweile und der Tristheit des Zuges. Vielleicht ist man in Kontakt mit vertrauten Menschen, die auf einen warten oder es wird die Zeit genutzt mal wieder denjenigen zu schreiben, die man länger nicht kontaktiert hat. Gleichzeitig ist es auch einfaches Totschlagen, beziehungsweise Überbrückung der Zeit bis endlich die Ansage für die Zielstation ertönt.

Zurückführen lässt sich die vorliegende Beschreibung eines Zugwagens der niedersächsischen Regionalbahn, auf die Theorie der Nicht-Orte des französischen Ethnologen Marc Augé. Dieser besagt, dass es sogenannte “Orte” und “Nicht-Orte” gibt, deren Unterschied sich daran definieren lässt, dass letzteren weder Relation, Historie und Identität besitzen (Augé 1992). Ein Beispiel dafür sind sogenannte “Transiträume”, da diese auch nur einem bestimmten Zweck dienen. So auch unser Zugwagen, welcher für die Menschen nur ein Mittel ist um zu dem gewünschten Ziel zu gelangen. Es besteht demnach kein Bedürfnis sich mit dieser Umgebung auseinander zusetzten, woraufhin viele Zuflucht beispielsweise bei ihrem Handy finden.

Ich hoffe Ihr konntet euch meine Fahrt und die Szenerien im Zug einigermaßen vor Augen führen.

Wie verbringt ihr gerne eure Zugfahrten? Habt ihr Lieblingsbeschäftigungen oder Tipps und Tricks die Zeit zu überbrücken?

4 Kommentare

  1. Teresa

    Hey Anna,
    ich finde es sehr cool, dass du verschiedene Sinne mit einbeziehst – wie schon vorhin in der Breakoutsession gesagt. Und das du zeigst, dass man das im Studium gelernte Wissen, wie hier über ´Orte´ und ´Nicht-Orte´ im Alltag sozusagen anwenden kann, gefällt mir auch echt gut.
    Meine Lieblingsbeschäftigung im Zug ist definitiv das Hören von Musik und Podcasts, aber ich hoffe, dass ich dieses Mal während den sechs Stunden im Zug auch was für die Uni machen werde 😀
    Lg Teresa

  2. Annika (Tut)

    Hey Anna,
    du schreibst wirklich bildhaft, vielen Dank für dein Beobachtungsprotokoll!
    Meiner Meinung nach ist die Beschreibung der sinnlichen Eindrücke sehr gut gelungen, die Gliederung deines Textes sinnhaft und gut zu verfolgen und die Bezugnahme auf den Augé Text ist schlüssig! Vielleicht hättest du noch eine kleine Zwischenüberschrift vor dem Interpretationsteil einbauen können, dann wäre dieser Part besser erkenntlich gewesen. Aber wie bereits ausgeführt: ein sehr schönes Ergebnis der kleinen Übung – Super!
    LG Annika

  3. Annika (Tut)

    Kleine Ergänzung: schön finde ich auch den kleinen Rahmen, den du deinem Blogbeitrag gegeben hast! Ich höre, wie Teresa, auch wahnsinnig gerne Podcasts und Hörbücher. Außerdem lese ich gerne. 🙂

  4. Janina

    Hi Anna, ich finde es echt toll, wie du Marc Augé mit in deine Interpretation eingebracht hast und versucht hast den Zug damit zu beschreiben. Über Orte und Nicht-Orte kann man ja eigentlich immer lange diskutieren und auch beim Zug ließe sich darüber wahrscheinlich sehr lange diskutieren:)
    Janina

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