Lerneinheit 5: Hafengovernance

Bisher haben wir uns mit der Geschichte der Bremischen Hafenentwicklung, dem Container als Revolution der Hafenwirtschaft und der Politischen Ökonomie von Handel und Schifffahrt beschäftigt. Aber wer oder was ist eigentlich der Hafen und wie ist er organisiert? Welche Akteure gibt es und wie arbeiten Sie zusammen? Wer entscheidet was und wem gehört die Hafeninfrastruktur? Mit diesen Fragen beschäftigen sich u.a. organisationssoziologische, politikwissenschaftliche und betriebswirtschaftliche Perspektiven auf Häfen. Sie machen sichtbar, dass ein Hafen kein einheitlicher Akteur und keine einheitliche Organisation ist, auch wenn wir oft genauso über Häfen sprechen und nachdenken. Tatsächlich handelt es sich aber komplexe Strukturen aus einer Vielzahl öffentlicher und privater Akteure mit teils überlappenden und teils widersprüchlichen Interessen.

So verstanden ist der Hafen auch mehr als (zumindest teilweise) sichtbare Infrastruktur, nämlich ein dichtes Geflecht aus sozialen Beziehungen zwischen verschiedenen Organisationen (Hafenbehörden & Betreibergesellschaften, Zoll, Wasserschutzpolizei, Wasserstraßenverwaltung, Terminalbetreiber, Berufsgenossenschaften, maritime Dienstleister wie z.B. Schlepper und Festmacher, Reedereien, Banken, Aufsichtsbehörden etc.) und verschiedenen Stakeholdern (Beschäftigte, Eigentümer, Kunden, Gläubiger, Stadtgesellschaft etc.). Zugleich handelt es sich damit bei Häfen auch um Verdichtungen von Machtverhältnissen zwischen den beteiligten Akteuren. Um diesen komplexen und dynamischen Mikrokosmos besser zu verstehen bräuchte es eigentlich eine Soziologie des Hafens, die bisher meines Wissens nach kaum etabliert wurde.

Einen alternativen analytischen Zugriff könnte die Governance-Perspektive bieten. Governance ist mitlerweile zu einem zentralen, wenn auch nicht unumstrittenen Begriff der Politikwissenschaft avanciert. Er beschreibt als Alternative zu Steuerung, Regierung (government) und Verwaltung einen offenen Prozess der Koordinierung autonomer aber wechselseitig voneinander abhängiger Akteure (Benz et al. 2007). Seine Ursprünge hat er in der sog. corporate governance, also der Leitung und Kontrolle von Unternehmen. Während die Politikwissenschaft mit dem Begriff Koordinierungsformen jenseits des Staates einräumt (Rhodes 1996), macht er innerhalb der Wirtschaftswissenschaften auf Koordination jenseits des Marktes aufmerksam (Benz et al. 2007). Im Kern geht es also um eine Pluralisierung von Koordination, die sowohl Hierarchie, Wettbewerb, Netzwerke und Diffusion mit einschließt. Obwohl Governance in meiner Lesart damit zunächst eher eine offene Frage an das jeweils zu untersuchende Feld darstellt, ist dem Begriff aber eben auch der Befund einer Aufweichung der Grenzen zwischen Staat und Markt verbunden. Es gibt berechtigte Kritik an dem Begriff, u.a. wegen seiner Machtblindheit, seinem Problemlösungsbias und seiner tendenziellen Affirmation von New Public Management Reformen.

Trotz der Kritik richtet die Frage nach der Hafengovernance unseren Blick auf die verschiedenen Formen der Koordination von Aktivitäten und Entscheidungen innerhalb des Hafens und auf ihre historische Entwicklung. Das gilt insbesondere für das Verhältnis zwischen öffentlichen und privaten Hafenakteuren. Hafenbau wird historisch als öffentliche Aufgabe betrachtet, auch wegen der kostspieligen und langfristigen Investitionen (Buss 2018: 102). Dennoch sind bei der Weiterentwicklung der Hafeninfrastruktur natürlich auch privatwirtschaftliche Interessen betroffen. Die meisten europäischen Häfen sind im öffentlichen Eigentum (Buss 2018: 103). So sind auch die Bremischen Häfen sind im Eigentum der Stadt Bremen, was sich besonders gut an der hoheitlichen Zuordnung der Bremerhavener Überseehäfen zur Stadtgemeinde Bremens ablesen lässt. In Lübeck und Hamburg kam es aber schon – unter erheblichen öffentlichen Protest – zu Teilprivatisierungen der Häfen mit dem Ziel, den weiteren Ausbau der Infrastruktur zu finanzieren (Buss 2018: 104). In anderen Ländern gab es aber schon viel weitergehende und flächendeckendere Hafenprivatisierungen (Tull 2002).

Hafengovernance (also die Koordinierung der Hafenaktivitäten) und Hafenpolitik (also die politischen Diskurse und Entscheidungen in Bezug auf den Hafen) sind natürlich eng miteinander verwoben, weil politische Entscheidungen die Rahmenbedingungen für die Hafenaktivitäten setzen und Hafenakteure erheblichen Einfluss auf die Hafenpolitik nehmen (dazu mehr in Lerneinheit 8). Einerseits kann Hafenpolitik als weitere Ebene der Hafengovernance verstanden werden (insofern Sie einen Beitrag zur Koordinierung der Hafenakteure und -aktivitäten leistet), andererseits geht sie aber über sie auch aber über die konkrete Regulierung des Hafens hinaus und kann nicht immer eindeutig von anderen Politikfeldern (wie z.B. Stadtentwicklungspolitik, Finanzpolitik, Standort- und Wirtschaftspolitik) abgegrenzt werden. Häfen in öffentlichen Eigentum bieten den Kommunen bzw. Ländern einen erheblichen Gestaltungsspielraum, sind zugleich aber auch mit hohen Kosten und Interessenskonflikten verbunden (Buss 2018: 104f.).

Die Perspektive der Hafengovernance untersucht vor allem die Vielfalt institutioneller Formen des Hafenbetriebs und die verschiedenen Grade der Auslagerung öffentlicher Verantwortung an private Akteure (siehe z.B. Baird 2000, Brooks 2004, Brooks et al. 2017, Tull 2002). Die oben beschriebene Struktur des öffentlichen Eigentums der Hafenstruktur wird dabei als Landlord-Modell bezeichnet (Buss 2018: 107). Das klassische Landlord-Modell ist durch eine Welle von Hafenreformen insb. seit den 1990er Jahren unter Druck geraten (Buss 2018: 107, Tull 2002). Dabei geht es vor allem um die Dezentralisierung, Verbetriebswirtschaftlichung und (Teil)Privatisierung der Hafenverwaltung.

Insbesondere wurden das Management der Häfen in privatrechtlich organisierten port authorities mit größerer Autonomie gegenüber der öffentlichen Verwaltung reorganisiert, ein Prozess den Tull (2002: 156) als Korporatisierung bezeichnet. Die Gründung der Hafenmanagementgesellschaft bremenports im Jahre 2002 ist ein gutes Beispiel dafür. Bremenports agiert wie ein Unternehmen, auch wenn die Häfen weiterhin in öffentlicher Hand sind. Bremenports und andere port authorities betreiben einen Großteil der jeweiligen Hafeninfrastruktur, nehmen die Hafengebühren ein, vermieten bzw. verpachten Terminals, betreiben Marketing und Kundenakquise und planen die Weiterentwicklung des Hafens. Sie verbinden somit Hafenpolitik und Hafenwirtschaft und stellen den technischen Betrieb des Hafens sicher. Port authorities weisen eine hohe institutionelle Diversität auf, die in vielen vergleichenden Studien beschrieben und untersucht wird (Buss 2018: 111). Die (Aus)Gründung von port authorities bzw. Hafenmangementgesellschaften war aber in der Regel mit der Hoffnung verbunden, die Effizienz des Hafenbetriebs zu steigern und im zunehmenden Hafenwettbewerb mithalten zu können. Damit verbunden ist auch eine immer stärkere Perfomance Messung u.a. mittels Benchmarking (also dem kontinuierlichen betriebswirtschaftlichen Vergleich mit konkurrierenden Häfen). Somit haben zentrale Ideen des New Public Management auch in diesen Bereich früher einmal exklusiver Staatstätigkeit Einzug gefunden.

Mit den Veränderungen der Hafengovernance ist der zunehmende Wettbewerb zwischen den Hafenstandorten schon angesprochen. Obwohl die Expansion des Welthandels bis vor kurzem – abgesehen von regelmäßigen krisenbedingten Einbrüchen – insgesamt noch für gute Geschäfte in den Häfen und bei den Logistikunternehmen sorgten, hat sich dieser Aufwuchs des Handelsvolumens nicht gleichmäßig verteilt. Nicht nur die Unternehmen stehen miteinander im Wettbewerb um die Fracht, auch die Hafenbetreiber versuchen kontinuierlich ihre Position auf Kosten anderer zu verbessern bzw. nicht den Anschluss an globale Lieferketten zu verlieren. Insbesondere die Wirtschafts- und Finanzkrise 2008ff., die zu einem Ende des Containerbooms geführt hatte, hat den Hafenwettbewerb intensiviert (Buss 2018: 45; Mester 2014) und die aktuelle Coronakrise könnte ähnliche Folgen haben.

Hafenwettbewerb findet dabei auf unterschiedlichen Ebenen statt: (1) Zwischen Fahrtrouten bzw. Hafengebieten (ranges), (2) zwischen Häfen einer Zielregion und zwischen regional benachbarten Häfen, sowie (3) innerhalb eines Hafens zwischen verschiedenen Terminalbetreibern und anderen Hafenwirtschaftsunternehmen (Buss 2018: 45f.). Als Teil der sog. Nordrange (europäische Norseehäfen), ist Bremen also einerseits in Konkurrenz mit alternativen Routen z.B. durch das Mittelmeer und mit benachbarten Häfen innerhalb der Nordrange (z.B. Antwerpen, Rotterdam, Hamburg). Der Anteil der Nordrange am europäischen Containerumschlag ist insgesamt rückläufig (Buss 2018: 46ff.). Das liegt v.a. an den hohen Wachstumsraten einiger Mittelmeerhäfen (insb. Piräus) und dem Ausbau einiger Ostseehäfen (insb. Danzig), die das transshipment (also das Umladen von großen auf kleinere Schiffe) auf dem Weg nach Osten z.T. überflüssig macht. Im Wettbewerb innerhalb der Nordrange stagniert Bremerhaven, während Antwerpen Marktanteile gewinnt (Buss 2018: 48ff.). Die relativen Anteile der 4 großen Nordrange-Häfen und deren Entwicklung unterscheiden sich aber je nach Marktsegment z.T. erheblich. Hier sticht etwa der Autoumschlag als starkes Standbein Bremerhavens hervor (Mester 2014). Neben den allgemeinen Schwankungen des Welthandels und dem schon vor der Coronakrise einsetzenden Abwärtstrend (siehe Lernvideo 4b) ist der Hafenwettbewerb eine weitere Quelle von Ungewissheit für die Zukunft der Bremischen Häfen und eine große Herausforderung für Hafenpolitik und Hafengovernance.

Blogbeiträge zu dieser Lerneinheit

Literatur

  • Baird, A.J. (2000) “Port Privatisation: Objectives, Extent, Process and the U.K. Experience.
    In: International Journal of Maritime Economics 2, S. 177-194.
  • Benz, Arthur/Lütz, Susanne/Schimank, Uwe/Simonis, Georg (2007): Einleitung. In: Dies. (Hrsg.) Handbuch Governance. Wiesbaden: VS, S. 9-25.
  • Brooks, Mary (2004): The Governance Structure of Ports. In: Review of Network Economics 3(2), S. 168-183.
  • Brooks, Mary/Cullinane, Kevin/Pallis, Athanasios (2017): Revisting port governance and port reform: A multi-country examination. In: Research in Transportation Business & Management 22, S. 1-20.
  • Buss, Klaus-Peter (2018): Branchenanalyse Hafenwirtschaft. Entwicklungslinien des Hafenwettbewerbs und Herausforderungen der öffentlichen Akteure. Düsseldorf: Hans-Böckler-Stiftung.
  • Mester, Bernt (2014): Die Bremischen Häfen im europäischen Wettbewerb. In: In: Hartmut Roder/Hartmut Schwerdtfeger (Hrsg.): Die Zukunft der Bremischen Häfen. Rasch Verlag, S. 41-47.
  • Rhodes, R. A. W. (1996): The New Governance: Governing without Government. In: Political Studies 44 (4), S. 652–667.
  • Tull, Malcolm (2002): Eigentumsformen und Management von Häfen unter besonderer Berücksichti-gung asiatischer Häfen. In: Gerstenberger, Heide/Welke, Ulrich (Hrsg.): Seefahrt im Zeichen der Globalisierung. Münster: Westfälisches Dampfboot, S. 152-177.

2 Gedanken zu „Lerneinheit 5: Hafengovernance

  1. Bezüglich der Koordination der verschiedenen Prozesse und Akteure im Hafen finde ich folgendes Projekt des Bremerhavener Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik (ISL) interessant: Maritime Transport Chains (https://www.isl.org/de/kompetenzfelder/maritime-transport-chains).
    Hierbei werden die see- und landseitigen Hafenzulaufprozesse u.a. mithilfe von IT-Systemen optimiert.

    „Das ISL bietet seinen Partnern Zugang zu Optimierungsansätzen hinsichtlich der see- als auch landseitigen Zu- und Abläufe mit den Seehäfen als zentralen Hubs. In unsere Konzepte beziehen wir neben der Straße auch alle weiteren Verkehrsträger wie Schiene, Binnenwasserstraße, Short-Sea-Verkehre sowie kombinierte Ladungsverkehre ein.

    Der Lkw-Zulauf zu großen Häfen wie Hamburg, Bremerhaven und Wilhelmshaven lässt sich durch den Einsatz von IT-Systemen, welche eine LKW-Avisierung bei den Terminalbetreibern ermöglichen, optimieren. Peaks im Zu- und Ablauf belasten die öffentliche Verkehrsinfrastruktur in besonderem Maße und führen zu häufigen Staus mit hohen Schadstoffemissionsbelastungen.

    Hier helfen Slot Management-Systeme, die jedoch bisher in keinem der deutschen Nordseehäfen realisiert sind. Fuhrunternehmen und Terminalbetreiber sind in einer operativen Abhängigkeit. Eine Taktung der LKW-Zu- und Abläufe erfordert Vertragsverhältnisse zwischen diesen Akteuren.

    Peaks im LKW-Zu- und Ablauf, aus denen Wartezeiten an den Terminal-Gates, Übergabeplätzen und ggf. beim Zoll resultieren, bedeuten für Fuhrunternehmen ggf. entgehende Fahraufträge; Wartezeiten im Gate-Stau sind keine Ruhezeit im Sinne der gesetzlichen Lenk- und Ruhezeitenregelung.

    Für die Terminalbetreiber ergeben sich durch die Peaks im Tagesgang unterschiedliche Zeitfenster mit hoher bzw. geringer Auslastung des Terminalequipments bezogen auf die LKW-Abfertigung. Terminal-Betreiber haben jedoch ein grundsätzliches Interesse an einer möglichst gleichmäßigen Auslastung von Material und Personal; Vorstauflächen oder die Umsetzung eines Zentralgates sind Planungs- und Modelloptionen.“

    Wobei das Thema der (Arbeits)-Abläufe ja möglicherweise auch in der Einheit 9 Hafenarbeit & Arbeitsbeziehungen im Hafen oder Einheit 10 Bremerhaven: Containerumschlag, Fischerei & Stadtentwicklung behandelt werden wird.

    • Danke für den Hinweis! Tatsächlich gehört die Steuerung der Verkehrs- und Warenströme im Hafen zu den größten Herausforderungen der Hafengovernance und die Wissenschaft kann dazu einen Beitrag leisten. Auch verbergen sich aber natürlich Machtverhältnisse: Wer kann hat die Autorität, die Ströme zu steuern? Wer sammelt die Informationen? Wie verändert so eine Steuerungssoftware das Gefüge verschiedener Hafenakteure? Das klingt vielleicht nach Detailfragen, liefert uns aber interessante Einblicke in die alltägliche Funktionsweise des Hafens.

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