Fairtrade

Der Kaffee am morgen oder die Schokoloade nach dem Mittagessen: Viele von uns konsumieren regelmäßig Güter mit dem Siegel „Fairtrade“. Aber was genau verbirgt sich dahinter, wo liegen die Grenzen von Fairtrade und wie hängt die Fairtrade-Bewegung mit der NIEO zusammen?

Fairtrade als Erbe der NIEO

Jana Pfeiffer

„Fairer Handel ist eine Handelspartnerschaft, die auf Dialog, Transparenz und Respekt beruht und nach mehr Gerechtigkeit im internationalen Handel strebt…“ (World Fairtrade Organizations 2022). Bereits die NIEO forderte mehr Gerechtigkeit in internationalen Wirtschaftsbeziehungen. „Die Probleme in vielen konventionellen Wertschöpfungsketten sind, dass es extreme Preisschwankungen gibt und das Einkommen der Menschen, die am Anfang der Lieferkette stehen, nur bei den wenigsten die existenzsichernden Lebensbedürfnisse deckt“, so der Journalist Caspar Dohmen, der sich in seiner Arbeit mit fairem Handel beschäftigt. Die Kernidee von Fairtrade ist eben gerade dieser Kritik entgegenzuwirken und den Rohstoff-Produzenten im globalen Süden existenzsichernde Löhne zu zahlen. Angefangen mit der Vermarktung durch NGOs und Eine-Welt-Läden bis hin zum mittlerweile großen Angebot an Fairtrade-gesiegelten Produkten in Discountern, ist Fairtrade ein Erfolgsmodell. Die Fairtrade-Bewegung und die NIEO teilen Grundgedanken, insbesondere der Forderung nach einer gerechteren Rohstoffpolitik. Doch wie viel NIEO steckt tatsächlich in Fairtrade?

Rohstoffe sind nach wie vor die Hauptexportgüter vieler Länder des globalen Südens. Im Rahmen der NIEO als eine der Forderungen des globalen Südens zugunsten einer gerechteren Rohstoff-Politik wurde ein „integriertes Rohstoffprogramm“ diskutiert, das für 18 Rohstoffe (u.a. Kaffee, Kakao und Baumwolle) stabile und angemessene Preise, sowie sogenannte Ausgleichslager (buffer stocks) vorsah, um Preisschwankungen auszugleichen und somit die Rolle der Produzenten zu stärken. (Adams et al. 1981). Darüber hinaus war die NIEO ein Aufruf zur globalen Umverteilung. Neben finanziellem Transfer, sollte also auch ein Ressourcen-, Wissens- und Technologie-Transfer von den reichen zu den ärmeren Ländern erfolgen (Gilmann 2016).

Was steckt eigentlich hinter dem Fairtrade-Siegel?

Um zu klären, inwieweit die Grundgedanken der NIEO durch Fairtrade umgesetzt werden, muss klar werden, was Fairtrade überhaupt bewirken kann. Die Idee von Fairtrade ist, dass den Bauern und Bäuerinnen ihre Rohstoffe zum festen Fairtrade-Mindestpreis abgekauft werden. So können sich die Produzierenden auch bei niedrigen Weltmarktpreisen auf einen festen Preis verlassen. Liegt der Weltmarktpreis über dem Fairtrade-Mindestpreis, so wird der Weltmarktpreis gezahlt. Das Fairtrade-System fordert Kleinbauern dazu auf sich zu demokratisch organisierten Kooperativen zusammen zu schließen. Diese müssen bestimme Standards, wie das Verbot von geschlechterspezifischer Gewalt, Zwangsarbeit und Kinderarbeit für Kinder unter 15 Jahren, sowie ökologische Standards einhalten. Im Gegenzug erhalten die Bauern und Bäuerinnen bestimmte Absicherungen. So bekommen sie zusätzlich zum Verkaufspreis eine Fairtrade-Prämie, über deren Verwendung die Mitglieder der Kooperative demokratisch bestimmen. Sie soll in soziale Projekte oder Infrastruktur investiert werden. Gerade der Aspekt, dass sich die Produzenten, die an fairem Handel beteiligt sind, stärker politisch organisieren und die höheren Chancen auf einen erweiterten Bildungsweg der Kinder von Farmer*Innen seien die größten Erfolge von Fairtrade, so Caspar Dohmen.

Kritik am Fairtrade-System

„Kritik am fairen Handel ist einerseits berechtigt, weil er begrenzt ist, aber andererseits hat er auch nie den Anspruch erhoben, dass er jetzt die Welt rettet“, so Caspar Dohm. Dass in Zeiten der rasanten Globalisierung überhaupt Menschen da gewesen seien, die die Idee der Gerechtigkeit im wirtschaftlichen Austausch hochgehalten haben, sei dem fairen Handel hoch anzurechnen. Trotzdem gibt es nachvollziehbare Kritik am Fairtrade-System. Einige Produzenten, die selbst Mitglied in den Fairtrade-zertifizierten Kooperativen sind, kritisieren, dass der Preis weiterhin nicht hoch genug sei, um aus der Armut herauszukommen. Das geht aus einem Buch von Daniel Jaffe, Professor für Soziologie in den USA, hervor, in dem er sich mit der Nachhaltigkeit von Fairtrade-Kaffee in Mexico beschäftigt. Laut Daniel Jaffe müssten sie im Gegenzug strikte ökologische Standards einhalten, die mit einem erheblichen Mehraufwand verbunden seien. Außerdem würden die Bauern, abgesehen von der Fairtrade-Prämie, in Zeiten von hohen Weltmarktpreisen keine Einkommensvorteile gegenüber nicht-zertifizierten Kooperativen haben (Baake et al. 2018). Während die Akteure im globalen Norden oft besonders die positiven entwicklungspolitischen Aspekte hervorheben, wie eine bessere demokratische Organisation der Bauern oder die Investition der Prämie in Gemeinschaftsprojekte, sowie Verbesserungen auf ökologischer Ebene, sehen die Produzenten im globalen Süden darin oft keine Vorteile für sich. Ndongo Samba Sylla, Ökonom und Autor des Buches „Marketing Poverty to Benefit the Rich“ kritisiert, dass Fairtrade nur eine Marketing-Strategie sei. Die Firmen in den reichen Ländern machen Profit, indem sie Produkte vermarkten, die versprechen den Menschen im globalen Süden aus der Armut zu helfen. Außerdem, so Caspar Dohmen, dürfe man sich nichts vormachen, der faire Handel, unabhängig davon, wie fair er wirklich ist, bleibt ein Promille des Welthandels. Es wird wenigen Menschen geholfen. Der Absatzmarkt für Fairtrade-Produkte sei viel zu klein, ein Großteil der Waren werde weiterhin zu konventionellen Preisen verkauft. Gleichzeitig finde man immer wieder Erfolgsgeschichten, aber auch Bauern und Bäuerinnen, die dem System frustriert den Rücken kehren.

Auch wenn durch Fairtrade zumindest einige Standards, Regeln und vor allem Mindestpreise in den globalen Handel integriert werden, ändern diese nur wenig an der Weltwirtschaftsordnung. Mit der NIEO war eine grundlegende Reform der Handelsbeziehungen zugunsten der Länder des globalen Südens gefordert. Fairtrade führt nicht zu einer Weiterverarbeitung, Rohstoff-Veredelung und somit mehr Selbstbestimmung im Süden und bleibt dementsprechend hinter der NIEO-Konzeption zurück. Laut einem Bericht der UNCTAD von 2021 sind Mittel- und Westafrika besonders abhängig vom Rohstoffexport: Hier stammen 95 Prozent aller Exporteinnahmen aus dem Verkauf von Rohstoffen! (UNCTAD 2021). Das erinnert stark an das koloniale Modell, in dem die damaligen Kolonien ihre Rohstoffe zu schlechten Konditionen an die Kolonialmächte liefern mussten. Durch Fairtrade findet nur wenig finanzieller Ressourcentransfer statt. Vom Verkaufspreis einer produzierten Tafel Schokolade kommen gerade mal 7-8% im Ursprungsland an (Fairafric 2022). Ursprünglich war von der NIEO auch ein Wissens- und Technologie-Transfer gefordert. Dieser findet durch Fairtrade nicht oder nur in sehr geringem Maße statt (Sylla 2018).

Produktion im Ursprungsland der Rohstoffe – Eine Alternative zu Fairtrade?

Um der Konzeption der NIEO nach verstärkter Souveränität, vor allem in Bezug auf Handelsbeziehungen nachzukommen, bedarf es einer Weiterentwicklung des Konzepts von Fairtrade.  Es gibt bereits einige Unternehmen, die vollständig im Herkunftsland der Rohstoffe produzieren. So werden neue, auch höher qualifizierte Arbeitsplätze geschaffen und die Wertschöpfung bleibt im Land. „70% des weltweiten Kakaos stammen aus Afrika; weniger als 1% der weltweiten Schokolade werden in Afrika produziert. Wir ändern das“. Das ist die Selbstbeschreibung von Fairafric, eines deutsch-ghanaischen sogenannten „Social Business“, das fertige, Schokolade komplett in Ghana produziert und damit dazu beitragen möchte, Wertschöpfung nach Afrika zu verlagern.

Fairtrade als Bewegung hat sich daraus entwickelt, dass die Ideen für eine neue Weltwirtschaftsordnung auf politischer Ebene gescheitert sind, so Caspar Dohmen. Wenn mehr Gerechtigkeit im internationalen Handel politisch nicht durchgesetzt wird, braucht es Konzepte, wie Fairtrade, die auf privater Ebene durch eigene Standards trotzdem versuchen, die Ideen der NIEO durchzusetzen. Fairtrade ist nicht perfekt, aber ein Schritt in die richtige Richtung und in Zukunft müssen wir daran arbeiten dieses Konzept zugunsten der Länder des globalen Südens weiterzuentwickeln.

Literatur

Adams, F.G./Behrman J.R./Lasaga, M. (1981): Commodity Exports and NIEO Proposals for Buffer
Stocks and Compensatory Finance: Implications for Latin America. In: Export Diversification and the New Protectionism: The Experience of Latin America. Seite 48-82. http://www.nber.org/chapters/c11201.

 

Baake, Pio/Friedrichsen, Jana/Naegele, Helene (2018): Soziale Nachhaltigkeitssiegel: Versprechen und Realität am Beispiel von Fairtrade-Kaffee. In: DIW-Wochenbericht. Berlin: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), 1031-1037.

 

Fairafric (2022): Frequently Asked Questions. Welcher Anteil vom Kaufpreis fließt nach Afrika. Text abrufbar unter:  https://fairafric.com/faq/(letzter Zugriff am 17.09.2022).

 

Gilmann, Nils (2015): The New International Economic Order: A Reintroduction. Humanity: An International Journal of Human Rights, Humanitarianism, and Development 6 (1): 1–16.

 

Interview mit Caspar Dohmen am 22.08.2022.

 

Jaffee, Daniel (2014): Brewing Justice: Fair Trade Coffee, Sustainability, and Survival., aktualisierte Auflage. Oakland, California: University of California Press.

 

Kritik an Fairtrade. Wie fair ist Fairtrade wirklich? (2018) Interview mit Ndongo Samba Sylla. Text abrufbar unter: https://www.srf.ch/kultur/gesellschaft-religion/kritik-an-fairtrade-wie-fair-ist-fairtrade-wirklich (letzter Zugriff am 17.09.2022).

 

UNCTAD (2021): State of Commodity Dependence 2021. New York: United Nations.

 

World Fair Trade Organization und Fairtrade Labelling Organizations International (2009): Eine Grundsatzcharta für den fairen Handel. Text abrufbar unter: https://wfto.com/sites/default/files/Charter-of-Fair-Trade-Principles-Final%20(DE).PDF (Zugriff am 22.08.2022).