„Ich habe zwei Orte, die ich als Zuhause definiere“

Ich habe mich mit einigen Menschen aus meinem Bekanntenkreis zusammengesetzt (natürlich über Videochat) und mich mit ihnen mal ein bisschen über ihre Erfahrungen während Corona, der Lockdowns und ihrer Definition von Zuhause unterhalten.

Mara (19) ist Studentin in Bremen und ist gerade zu Beginn des ersten Lockdowns im März letzten Jahres hierher gezogen.

Wenn ihr unser volles Gespräch hören möchtet dann geht’s hier zu einem kleinen Podcast:

N: Du bist also Studentin, daher gehe ich mal davon aus, dass du sowieso schon viel Zuhause bist und viel von Zuhause aus arbeitest. Aber findest du, das ist sehr auffällig?

M: Klar schon, ich bin jetzt natürlich sehr viel mehr Zuhause. Ich gehe höchstens ein bis zwei Mal raus die Woche. Zum Einkaufen oder mal auch zu einem Spaziergang. Sonst gar nicht eigentlich und allein schon,  dass ich nicht mehr zur Uni fahre jeden Tag bin ich sehr viel mehr in meinem Zuhause.

N: Es ist ja grade ein Jahr her, dass du hierher gezogen bist. Hast du das Gefühl, dass du überhaupt richtig angekommen bist in Bremen? Dass du dich hier auskennst und dass du viele Leute kennengelernt hast?

M: Die Leute die ich kennengelernt habe sind auf jeden Fall schon auf das Studentenwohnheim beschränkt. Sonst habe ich in Bremen nicht wirklich soziale Kontakte. Was die Stadt angeht ich würde schon sagen ich kenne mich ein bisschen aus. Einfach, weil ich eben immer mal spazieren gegangen bin.

N: Was bedeutet der Begriff zuhause für dich?

M: Schwierig,  ich habe so zwei Orte, die ich als Zuhause definiere. Bei meiner Mutter, wo ich auch aufgewachsen bin und auf der anderen Seite bei mir in der WG. Ich glaube, dass wo man aufgewachsen ist, das kommt natürlich auf die persönlichen Umstände an, wie das Verhältnis zu den eigenen Eltern ist, aber wenn man sich dort wohlgefühlt hat, dann wird es immer dieses Gefühl von Zuhause in einem auslösen. Vermutlich bleibt es dann auch immer „das“ Zuhause. Meine Mitbewohner sagen beispielsweise auch immer sie fahren nach Hause, wenn sie zu ihren Eltern fahren. Und die wohnen wirklich schon länger als ich nicht mehr Zuhause. Auf der anderen Seite die WG, da lebt man, man sieht sich jeden Tag und das schafft eben auch so eine besondere Bindung zueinander. Mitbewohner sind da schon etwas anderes als Freunde. Das Gefühl was Zuhause auslöst ist irgendwie total schwer zu beschreiben. Die meisten Menschen wissen glaube ich [instinktiv] „das ist jetzt mein Zuhause“.

N: Das hört sich für mich so an, dass du es auch so siehst,  dass das Gefühl von Zuhause ganz unterschiedlich sein kann. Ich habe zum Beispiel ein anderes Gefühl wenn ich bei meiner Mutter bin, als wenn ich in meiner eigenen Wohnung bin. Ist das bei dir auch so?

M: Ja, es ist auf jeden Fall so, dass das Ankommen bei meiner Mutter ein ganz anderes Entspannen ist.

N: Irgendwie auch ein bisschen Kind sein wieder oder?

M: Ja genau, der Stress fällt da von einem für einen Moment ab. Ein ganz anderes Gefühl, als wenn ich von meiner Mutter zurück nach Bremen komme.

N: Da du in einer WG lebst, wie trennst du Arbeit und Studium von Zuhause? Ich gehe mal davon aus, du hast kein extra Arbeitszimmer wie jemand in einer eigenen Wohnung.

M: Ich finde es sehr schwierig. Klar, ich versuche meine Uni-Sachen beim Schreibtisch zu lassen, aber der steht direkt neben meinem Bett. Ich habe kein großes Zimmer. Daher kann ich in meinem Zimmer gar nicht für räumliche Trennung sorgen, in dem ich beispielsweise einen Schrank dazwischen stelle, dafür ist einfach kein Platz. Das heißt, es ist nur ein Schritt von meinem Bett zum Schreibtisch, mittlerweile mache ich diesen Schritt nur knapp zweimal am Tag und sonst nichts. Dadurch ist es für mich schwer das zu trennen. Deswegen bin ich zwischen durch schon mal öfter zu meiner Mutter gefahren,  weil ich einfach nicht mehr in meinem Zimmer bleiben konnte. Ich habe auch angefangen schlecht zu schlafen, weil es immer diese Verbindung zu Uni gab und ich gar nicht mehr so richtig rauskam. Mittlerweile ist es so, da es meinen Mitbewohnern nicht anders geht und wir alle im Wohnzimmer sitzen und uns gleichzeitig über Kopfhörer unsere eigenen Vorlesungen angucken. Einfach weil wir es in unseren eigenen Zimmern nicht mehr aushalten.

N: Effektiv ist es aber auch nicht, wenn  ihr alle zusammen sitzt oder?

M: Nein, natürlich nicht. Aber wenn ich so allein an meinem Schreibtisch sitze, dann bin ich auch sehr leicht verleitet, mich wieder in mein Bett zu legen.

N: Hast du in dem Zusammenhang eine neue Routine entwickelt?

M: Anfangs auf jeden Fall. Da war ich noch in einer Routine, mein Wecker hat zu einer bestimmten Zeit geklingelt, dann bin ich aufgestanden und habe etwas gegessen, ganz normale Sachen eben. Als wir beide noch zusammen studiert haben, haben wir uns jede Woche getroffen um eine Vorlesung zusammen anzuschauen. Aber mittlerweile muss ich ganz ehrlich sagen, dass ich gar keine Routine mehr habe. Noch weniger, als vor dem Lockdown. Ich habe nicht mal feste Zeiten zu denen ich esse.

N: Du bist zu Anfang der Pandemie umgezogen, wie hast du dein Zimmer daran angepasst oder was hast du verändert? Auch wenn du kein Vorher-Nachher-Empfinden hast, gibt es da etwas spezielles, dass dir direkt einfällt?

M: Im Gegensatz zu meinem Zimmer bei meiner Mutter, ich habe eine viel größere Fläche zum Arbeiten. Früher habe ich auf so etwas gar kein Wert gelegt. Die Hausaufgaben konnte ich früher überall machen. Jetzt ist es wichtig für mich, dass ich mein Arbeitsfeld habe, mit einem relativ großen Schreibtisch. Ich habe auch einfach viel mehr Unterlagen von der Uni, die ich an keinem anderen Platz in meinem Zimmer haben will. Dann wird die Trennung nur noch schwieriger. Dadurch, dass ich in meinem Zimmer so viel Zeit verbringe, habe ich mir immer wieder neue Sachen gekauft, einfach weil ich Veränderung brauchte. Ob es eine Pflanze war oder eine Lichterkette, irgendetwas damit sich was verändert hat. Ich habe mein Zimmer alle zwei Monate umgestellt, ich konnte nicht so viel Zeit darin verbringen,  wenn es immer gleich aussah.

N: Gibt es etwas das du vermisst in deinem Zimmer? Oder etwas, dass du gerne hättest?

M: Ich habe leider nur den Holztisch aus dem Wohnheim, der ist recht groß, aber ich würde es gerne noch schöner gestalten. Ich verbringe da so viel Zeit, das ist dann doch schöner, wenn man etwas hat, dass man gerne anguckt.

N: Hast du momentan mehr Kontakt zu deiner Familie und deinen Freunden, oder eher weniger? Oder hat sich das gar nicht so viel verändert für dich?

M: Mittlerweile habe ich gar nicht mehr so viel Kontakt mit anderen. Am Anfang ist mir das noch viel leichter gefallen. Da habe ich regelmäßig mit Freunden Skype Calls gemacht. Ganz am Anfang, als noch Semesterferien waren haben wir das täglich gemacht,  weil wir auch nichts anderes zu tun hatten. Mittlerweile  finde ich es sogar schwierig mich einmal die Woche bei meiner besten Freundin zu melden.

N: Fehlt dir physischer Kontakt oder merkst du da keinen großen Unterschied?  Oder ist der dir gar nicht wichtig,  wenn sowieso alles über soziale Medien und Bildschirme abläuft? Ist es für dich wichtiger, dass man sich überhaupt sehen kann, über die Kamera?

M: Tatsächlich ist das etwas, von dem ich gar nicht erwartet hätte, dass ich es vermisse. Normalerweise bin ich nicht jemand, der viel Zeit mit Anderen verbringt. Das wurde mir schnell zu viel. Aber nach gefühlt einem Jahr Lockdown, kann ich sagen ich vermisse das schon ziemlich. Das ist etwas ganz anderes, wenn du einfach mal sagen kannst „Hey, lass uns mal treffen! Für zwei Stunden einfach ein bisschen reden.“ Im Vergleich, wenn du sagen musst „Hast du irgendwann mal Zeit zu telefonieren?“

N: Gibt es etwas, das dir gut daran gefällt, dass du mehr zu Hause bist, dass du nicht ständig diese Verpflichtungen hast irgendwo hinzufahren?

M: Also ich muss sagen, am Anfang fand ich das gar nicht so schlimm. Es war etwas neues, ein bisschen aufregend sogar. Das war da eher so eine witzige Sache. Haha, wir sind jetzt in Quarantäne. Aber mittlerweile bin ich echt an einem Punkt, da will ich lieber den Tag damit verbringen von Hamburg nach Bremen zu fahren und wieder zurück, anstatt den ganzen Tag Zuhause zu sitzen. Ich finde gar nichts positives mehr an der Situation.

N: Hast du tatsächlich einen Veränderungsprozess wahrgenommen oder war das für dich ein sehr plötzlicher Umschwung der Gefühle? War das vielleicht eher ein schleichendes Erlebnis?

M: Man hat sich ziemlich schnell daran gewöhnt, das war dann einfach Alltag. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, dass das fast ein Jahr her ist, so lange fühlt sich das noch gar nicht an. Ich kann keinen Punkt festlegen an dem es normal war, dass ging sehr schnell. Man hat sich schnell angepasst, auch wenn es irgendwie blöd ist. Manchmal denke ich eher, dass es schwer ist mich daran zu erinnern, wie es war nicht im Lockdown zu sein.

 

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