„Man hat sich hier zuhause so gemütlich eingemuckelt“

Ich habe mich mit einigen Menschen aus meinem Bekanntenkreis zusammengesetzt (natürlich über Videochat) und mich mit ihnen mal ein bisschen über ihre Erfahrungen während Corona, der Lockdowns und ihrer Definition von Zuhause unterhalten.

Martina (Mitte 50) ist Lehrerin in Emden und ist zur Zeit nur wenig in der Schule. Sie gibt viel Online-Unterricht über Plattformen wie Moodle.

N: Bist du mehr Zuhause als vor der Pandemie/dem Lockdown?

M: Auf jeden Fall. Man geht ja nirgendswo mehr hin.

N: Arbeitest du ganz von zuhause aus, oder bist du noch in der Schule?

M: Bis jetzt, während des Lockdowns auf jeden Fall deutlich mehr zu Hause. Ich war die ganze Zeit über nur zweimal die Woche zwei Stunden in der Schule. Den Rest habe ich von hier aus gemacht.

N: Also bist du auch viel mehr vor dem Laptop, als vor tatsächlichen Menschen.

M: Leider ja. Deutlich mehr, das ändert sich bald Gott sei Dank wieder! [Dieses Interview wurde am 20.03.2020 aufgenommen]

N: Freust du dich darauf?

M: Ja sehr.

N: Wie definierst du den Begriff Zuhause für dich? Ist das ein Ort oder ein Gefühl? Hast du mehr als ein Zuhause?

M: Ganz eng gefasst ist Zuhause mein Haus. Mein Nest. Das ist der Ort wo ich mich sicher fühle, wo ich mich wohl fühle, aber Zuhause ist für mich nicht nur an den Ort gebunden, sondern auch ganz stark an die Menschen, die drum herum sind.

N: Hast du das Gefühl, durch die Pandemie ist dieser Ort komprimiert worden, weil du mit diesen Menschen nicht mehr so viel Kontakt haben kannst? Oder gibt es da jetzt sogar mehr Kontakt?

M: Also ich sag mal so, die, die mir wichtig sind, die sehe ich auch noch regelmäßig. Auch persönlich. Auch die in der unmittelbaren Umgebung sind, die ich jeder Zeit erreichen kann. Die, die nicht in Emden wohnen, das fehlt mir schon, dass ich die nicht sehen kann. Da hilft es auch nicht, dass man telefoniert oder whatsappt. Das ist ganz komisch, da ist mir ein persönliches Sehen wichtiger.

N: Vermisst du diese Personen, die nicht in deinem engsten Kreis sind sehr?

M: Also zuerst kommt man damit klar, aber so langsam fehlt das schon. Erst konnte man das so vor sich herschieben und hatte die Hoffnung, dass man sich bald sieht – den Ein oder Anderen habe ich im Sommer dann ja auch gesehen – aber so langsam wird’s schwierig.

N: Wie trennst du Zuhause und Arbeit? Gibt es eine Grenze für dich, oder ist die verschwommen? Hast du eine räumliche Trennung?

M: Was ich tatsächlich früher nie so gemacht habe ist, dass ich jetzt eine ganz strikte räumliche Trennung habe. In meinem Wohnbereich liegt nichts, was mit Arbeit zu tun hat. Das liegt alles im Arbeitszimmer. Zeitlich lässt sich das überhaupt nicht trennen. Was die Ansprache von Schülern und Betrieben angeht oder auch von der Schule, das findet von morgens 7 Uhr bis abends um halb elf statt, an Sonn- und Feiertagen, da gibt es überhaupt keinen Unterschied. Man muss aber auch sagen, dass ich früher auch schon mal am Wochenende gearbeitet habe.

N: Hast du eine neue Routine entwickelt durch die neue Trennung innerhalb deines Zuhauses?

M: Naja normalerweise bin ich morgens aus dem Haus gegangen, habe meinen Unterricht gehalten und bin mittags nach Hause gekommen. Nachmittags habe ich mich dann meistens nochmal zwei Stündchen drangesetzt. Jetzt ist es alt so, dass ich ganz pünktlich aufstehe, dass ich um 9 Uhr an meinem Schreibtisch sitze bis mittags.  Es ist also nur zu einer örtlichen Verschiebung gekommen.

N: Was hast du in deinem Zuhause verändert? Gibt es etwas das sich anders anfühlt?

M: Ich habe mein Arbeitszimmer aufgeräumt…. Es ist schon eine große Umstellung, dass es wirklich ein Arbeitszimmer ist jetzt und kein Abstellraum für Arbeitsunterlagen.

N: Vermisst du persönlichen Kontakt zu deinen Klassen?

M: Wenn du normalerweise vor der Klasse stehst, dann kannst du ja beim Erzählen schon erkennen, ob sie das verstanden haben oder nicht. Du weißt ganz genau, was die im Einzelnen so denken. Jetzt weißt du ja nicht mal, ob sie wirklich zuhören oder nur eingeloggt sind und etwas ganz anderes machen.  Aus Erfahrung weiß ich, dass bei 50% dann nichts ankommt und viele auch nicht in der Lage sind, dass auszuformulieren als Frage, was ihnen nicht klar ist.

N: Nutzt du diese virtuellen Kanäle auch um mit deiner Familie Kontakt zu halten?

M: Privat nutze ich Videochatfunktionen eigentlich gar nicht.

N: Vermisst du physischen Kontakt zu deinen Mitmenschen, empfindest du da einen Verlust?

M: Das stört mich schon. Wenn man Leuten dann ausversehen zu nahe kommt und die regelrecht wegspringen, oder man selber auch schon so reagiert. Das finde ich ist unangenehm.

N: Hast du das Gefühl, dass wird sich auch in Zukunft auf unser Zusammenleben auswirken?

M: Ich glaube das geht ganz schnell wieder zurück zur Norm. Jetzt schaffen es die Leute ja häufig schon gar nicht mehr und rücken unbewusst zusammen. Wenn diese Diskussion verschwindet, dann wird es den Abstand nicht mehr geben.

N: Freust du dich darauf?

M: Ja! Ich bin ja schon aus lauter Verzweiflung mit meiner Schwester an die Knock[1] gefahren. Da haben wir im Wohnmobil gesessen und da waren ganz viele Menschen die auch mit ihren Autos und Wohnmobilen angekommen sind, die draußen rumliefen und man konnte die einfach sehen. Wir haben ja nicht mal mit denen geredet, die waren nicht in der Nähe. Aber es war richtig schön wieder Leute zu begucken.

N: Gibt es etwas, das du gut daran findest, dass du jetzt mehr Zuhause bist?

M: Ich kann meinen Tagesablauf – meinen Arbeitsrhytmus selber organisieren. Ich muss nicht länger um 6 Uhr morgens aufstehen! Das kommt mir sehr entgegen.

N: Wie hast du den Veränderungsprozess wahrgenommen? Hast du überhaupt Veränderungen wahrgenommen?

M: Das war sehr bewusst, allein schon aus beruflichen Gründen. Erst waren es von Woche zu Woche Nachrichten. Später bekam man morgens eine Nachricht, die abends schon wieder nicht stimmte. Da musste man wahnsinnig flexibel sein. Auch als ich ins Theater gehen wollte: Eine Vorstellung konnten wir noch besuchen, dann gingen die Karten wieder zurück. Wir haben noch todesmutig wieder neue bestellt, aber das fand dann ja alles nicht statt. Als dann die Feiertage kamen, Weihnachten und jetzt bald auch schon Ostern, das ist schon komisch. Auch Geburtstage, da sitzt man in seiner mini Runde. Schon komisch. Es war leichter im Sommer, weil man da raus konnte. In den eigenen Garten.

N: Langweilst du dich jetzt zur kälteren Jahreszeit?

M: Naja, es gab schon einige Abende an denen ich mich gefragt habe „Was soll ich denn jetzt machen? Schon wieder fernsehen – och nee!“

 

[1] Knock ist der Name der südwestlichsten Land Ecke der Landschaft Krummhörn in Ostfriesland, knapp fünfzehn Kilometer westlich des Stadtkerns der Seehafenstadt Emden. (Quelle: Wikipedia)

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