Wie sieht ein Leben wohl aus, wenn nicht die ganze Welt voller sich ständig verändernder Formen und Farben ist? Wie fühlt es sich an, Musik zu hören und nichts dabei zu sehen? Diese Fragen habe ich mir schon so oft gestellt. Und genauso oft wurde ich schon gefragt, wie es ist, mit Synästhesie zu leben. Eine Antwort darauf zu geben, ist gar nicht so leicht, wie kann man solche Eindrücke am besten beschreiben? Und um genau so eine Antwort zu entwickeln, habe ich mich für dieses Projekt entschieden.
Dafür habe ich zunächst Informationen zum Thema Synästhesie recherchiert und dabei auch herausgefunden, wie viele unterschiedliche Synästhesien es gibt und wie viele davon ich eigentlich habe. Zunächst plante ich dabei, alle meine Synästhesien darzustellen, also vielleicht eine Lautmalerei wie im nun realisierten Projekt, vielleicht das Bild, dass das Bohren in meinen Nerven bei meiner Zahnärztin hervorruft, die Wochentage oder die Monate mitsamt ihren Farben und Positionen in meinem Wahrnehmungsfeld, Buchstaben und Zahlen mit ihren jeweiligen Farben oder aber auch Konzepte wie Links und Rechts.
Um das Projekt aber nicht zu verwirrend und überbordend zu gestalten, habe ich mich dafür entschieden, mich auf nur eine Synästhesievariante zu konzentrieren und wählte die Ton-Farb-Synästhesie. Hierbei plante ich zunächst, Sequenzen aus Liedern zu vertonen (wunderschöne Synästhesiebilder liefern dabei beispielsweise I sold my Hands for Food so please feed me von Get well soon, Wheelhouse von Kurt Vile, Consequences von Notwist und so ziemlich alles von Alt-J). Und dann passierte die Radieschengeschichte und ich habe beschlossen, lieber die ganz kleinen Alltagsgeräusche in den Blick zu nehmen, die sich ganz unscheinbar am Rande der Wahrnehmung abspielen, und ihre versteckte Schönheit zu zeigen.
Als Arbeitsmaterial entschied ich mich schnell für Wasserfarben, da sie wunderbar pigmentiert sind und ein sehr intensives, mattes Bild ermöglichen. Meine synästhetischen Eindrücke spielen sich immer vor meinem inneren Auge ab und dieser innere Raum in meinen Gedanken ist komplett schwarz und vom Aussehen her eher diffus, samtig und mattschwarz. Dazu passen Wasserfarben also sehr gut. Dann machte ich mich auf die Suche nach den richtigen Geräuschen. Leider ist das Radieschenerlebnis mit einem sehr wilden Eineinhalbjährigen nur schlecht reproduzierbar, deshalb lief ich zwei Tage durch unsere Wohnung und versuchte kleine Geräusche zu finden, die schön und auch einigermaßen leicht zu malen sind.
Als nächstes versuchte ich dann mit meinem Laptop, die Geräusche aufzunehmen, aber leider gingen dabei alle Feinheiten und Akzente verloren. Also lieh ich mir ein kleines Aufnahmegerät und versuchte mich erneut an den Aufnahmen. Aber auch diesmal verschwammen die Geräusche bis zur Unkenntlichkeit auf dem Band. Als letzten Versuch lieh ich mir ein recht gutes Aufnahmegerät von meinem Bruder und konnte damit endlich die Geräusche mit all ihren Feinheiten und Details aufnehmen. Aus einer ganzen Liste an möglichen schönen Geräuschen suchte ich dann die schönsten heraus, die dennoch einigermaßen einfach aufzumalen waren (wer hätte gedacht, dass das Öffnen und Schließen eines Marmeladenglases voller Fenchelsamen so feingliedrig und beinah unmöglich zu malen ist?).
Danach begann ich, die ausgewählten Geräusche mir jeweils etwa 100 Mal anzuhören, um jedes noch so kleine Detail wahrzunehmen, zu skizzieren und die richtigen Farbtöne anzumischen.
Nachdem ich die Geräusche auswendig konnte, malte ich sie dann auf Aquarellpapier und fertigte außerdem eine erklärende Skizze dazu an, die sowohl den zeitlichen Verlauf des Geräusches durch Zahlen sowie eine Zuordnung von Form/Farbe und spezifischem Geräusch darstellt.
Auf diese Weise erstellte ich sechs Bilder mit sechs zugehörigen Skizzen. Dabei stellte sich für mich heraus, dass viele der kleinen Alltagsgeräusche in den Farben Grau, Braun, Ocker, Gold, Weiß und Silber gehalten sind – ganz im Gegensatz beispielsweise zu Liedern, die häufig sehr bunt und viel greller sind.
Als nächsten Schritt überlegte ich mir einen passenden Titel für meinen kleinen Geräuschkatalog. Mir fielen so viele Worte dazu ein: Lautmalerei, Klangfarben, Farbtöne, Farbwelten, Klangwelten … Ich wählte den Titel »Lautmalerei«, denn im Vergleich zu den anderen Worten ist seine farbliche Zusammenstellung am beeindruckendsten.
Die letzte größere Herausforderung bestand dann darin, die gemalten und gezeichneten Bilder richtig für die Onlineausstellung abzulichten, was ohne professionelle Kamera (oder halbwegs gut funktionierende Handykamera) ganz schön schwierig war. Aber nach dem Erstellen und Bearbeiten der Bilder fehlte nur noch die Zusammenführung von Bild und Ton in einem Video, um die »Lautmalerei« zu vollenden.
Ich hoffe sehr, dass ich mit dieser »Lautmalerei« ein bisschen zeigen konnte, wie es ist, Geräusche mit Farben wahrzunehmen und wie ein Leben mit so vielen Sinneseindrücken wohl aussieht!
Falls Interesse an genaueren Informationen zum Thema Synästhesie besteht, kann ich einen Artikel von 2019 aus der Zeit empfehlen: Will, Susanne (2019): Schmecken Sie das? Dann könnten Sie Synästhetiker sein. Bei diesen Menschen sind die Sinne miteinander vermischt. Was verrät diese Gabe über das Bewusstsein? Ein Gespräch mit dem Psychiater Markus Zedler, der das Phänomen aus eigener Erfahrung kennt, in: DIE ZEIT, 22, 23.05.2019, S. 37.
Und gerade im Hinblick auf meine zukünftige Arbeit als Lehrerin fand ich auch diesen Artikel spannend: Zedler, Markus (2014): Das A ist rot: Von vermischten Sinnen. Eine kleine Übersicht zur Synästhesie, in: Neuropädiatrie in Klinik und Praxis, 13:4, S. 136–140 (frei verfügbar unter: https://www.mhh.de/fileadmin/mhh/psychiatrie-sozialpsychiatrie-psychotherapie/Zedler_et_al.2014.pdf (zuletzt überprüft am 16.08.2021)).