In der öffentlichen Diskussion über Häfen und Hafenausbau spielt das Arbeitsplatzargument oft eine dominierende Rolle: Nach dieser Lesart sind Häfen v.a. wegen ihrer hohen Beschäftigungswirkung wichtig. Über die Hafenarbeit selbst wird dabei aber schon seltener gesprochen, obwohl sich hier in den vergangenen Jahrzehnten ein erheblicher Wandel vollzogen hat. Viele traditionelle Hafenberufe sind nahezu verschwunden und die Containerisierung und Digitalisierung vertreiben zunehmend die Menschen aus den Häfen (Gräfing 2009, Mahlstedt 2014, Nesemann 2014, Roder 2014). Dieser Wandel der Hafenarbeit und der Arbeitsbeziehungen (also dem Verhältnis zwischen Arbeit und Kapital) im Hafen stehen im Mittelpunkt der Lerneinheit 9.
Jahrhundertelang war die Arbeit im Hafen geprägt durch schwere körperliche Tätigkeiten. Stückgut musste von den Schiffen in Schuppen oder Speicher transportiert werden oder umgekehrt. Mechanisierung durch Kräne und Elektrifizierung haben die Arbeit zwar erheblich erleichtert, sie blieb aber dennoch zum Großteil harte körperliche und personalintensive Arbeit. Das Hafenmuseum im Speicher XI zeigt übrigens in seiner Dauerstellung übrigens sehr eindrucksvoll die Geschichte der Hafenarbeit.
Ein Motiv für die Entwicklung des Containers und zugleich Grund für seine Erfolgsgeschichte war die Senkung der Transportkosten, durch schnelleres Be- und Entladen und Personalabbau. Darum haben die Gewerkschaften v.a. in den USA auch lange gegen die Containerisierung mobil gemacht. Der Container hat einerseits Arbeitsplätze im Stückgutumschlag vernichtet und andererseits neue Berufsbilder im Hafen geschaffen, z.B. das Bedienen von Van-Carriern und Containerbrücken aber auch das Organisieren, Abfertigen und Überwachen von Logistikketten.
Der zunehmende internationale Wettbewerb wirkt sich dabei als Kostendruck oft negativ auf die Arbeitsbedingungen im Hafen aus, insb. in Bezug auf Löhne und Beschäftigungsformen. Er ist auch eine Triebkraft für die Reformen in der Hafengovernance, mit denen wir uns schon beschäftigt haben und die sich wiederum auf die Arbeitsbeziehungen im Hafen auswirken (Turnball/Wass 2007). Zur Entwicklung der Arbeitsbeziehungen in den Bremischen Häfen gibt es eine Reihe von geschichtswissenschaftlichen und soziologischen Untersuchen (Abendroth 1980, Gefken 2015, Postel 2005). Der gewerkschaftliche Organisationgrad in der Hafenarbeit und im Schiffbau war traditionell hoch und hat viele Hafenstreiks ermöglicht. Das Wort Streik geht sogar auf Seeleute zurück, die 1768 in London die Segel strichen, also die Arbeit niederlegten, um Lohnerhöhungen durchzusetzen (Feenan 2020). 2006 gab es einen europaweiten Streik der Hafenarbeiter*innen gegen eine geplante EU-Hafenrichtlinie. Gleichzeitig sind die Arbeitsbedingungen im Hafen und in der Schifffahrt oft besonders prekär (Gerstenberger/Welke 2004). Eine besondere Herausforderung für die Transportgewerkschaften (z.B. ETF & ITF) ist die grenzüberschreitende Regulierung von Arbeitsbedingungen. In den letzten Monaten haben die Arbeitsbedingungen in der Schifffahrt mit dem Thema der „abandonded seafarers“ eine neue Aufmerksamkeit erfahren.
Blogbeiträge zu dieser Lerneinheit:
- Heinrich Pfeiffer: Arbeit auf hoher See (Podcast)
- Dorothee Herdtweck: Hafenarbeiterstreiks in Bremen
- Christine Hedde – von Westernhagen & Seher Sarigül: Digitalisierung
- Denise Wächter: Der Arbeitsalltag im Van Carrier
- Jonas Brinkmann & Paul Plogmann: Berufe im Hafen
- Carlotta Stürken & Paul Ditter: Arbeitsbedingungen auf hoher See (Podcast)
- Luca Döninghaus & Luisa Feher: Transnationale (De)Regulierung der Hafenarbeit
- Maurice Brendel: Bremer Hafeneisenbahn
- Franziska Jung: Zur Lage der ausländischen Seeleute im Deutschen Kaiserreich
- Katherina Kenanidou: Die Arbeit als Festmacherin (auch Lerneinheit 4)
Literatur
- Abendroth, Michael (1980): Hafenarbeit im Wandel. Eine industriesoziologische Untersuchung über die Arbeits- und Betriebsverhältnisse in den bremischen Häfen. Kurzfassung der Ergebnisse. Bremen: Universität Bremen.
- Feenan, Dermot (2020): Die Geburt des Streiks. In: Jacobin Magazin. Online: https://jacobin.de/artikel/streik-arbeitskampf-erster-mai/
- Geffken, Rolf (2015): Arbeit und Arbeitskampf im Hafen. Zur Geschichte der Hafenarbeit und der Hafengewerkschaft. Bremen: Edition Falkenberg.
- Gerstenberger, Heide/Welke, Ulrich (2004): Arbeit auf See. Zur Ökonomie und Ethnologie der Globalisierung. Münster: Westfälisches Dampfboot.
- Gräfing, Birte (2009): Vom Stauhaken zum Container. Hafenarbeit im Wandel. Kellner Verlag.
- Mahlstedt, Fredy (2014): Alle Entwicklungen sollten auch sozial abgesichert warden. In: Roder, Hartmut/Schwerdtfeger, Hartmut (Hrsg.): Die Zukunft der Bremischen Häfen. Rasch Verlag, S. 200-207.
- Nesemann, Manfred (2014): Fast ein Drittel der BLG-Geschichte miterlebt. In: Roder, Hartmut/Schwerdtfeger, Hartmut (Hrsg.): Die Zukunft der Bremischen Häfen. Rasch Verlag,
182-188. - Postel, Andree (2005): Der Bremer Werftarbeiterstreik 1953. Arbeiter zwischen Klassenkampf und Antikommunismus. In: Kuckuck, Peter (Hrsg.) (2005): Die AG Weser in der Nachkriegszeit (1945-1953). Bremen: Edition Temmen, S. 170-213.
- Turnbull, Peter & Wass, Victoria (2007): Defending Dock Workers—Globalization and Labor Relations in the World’s Ports. In: Industrial Relations 46 (3), 582-612.
- Roder, Hartmut (2014): Mann der ersten Stunde – Von der „Klappertechnik“ zur Elektronik. In: Roder, Hartmut/Schwerdtfeger, Hartmut (Hrsg.): Die Zukunft der Bremischen Häfen. Rasch Verlag, S. 195-199.
Tausende Hafenarbeiter*innen werden in Solidarität mit #blacklivesmatter
29 Häfen bestreiken und blockieren!
https://twitter.com/LowerClassMag/status/1273587302586101761?s=19