Altersheim

Ein Nachmittag im Altersheim „Marie-von-Seggern-Heim“:

Am Nachmittag treffe ich am Eingang des Gebäudes ein. Vor mir ist der Weg mit zwei aneinander stehenden Stühlen blockiert. Ich betätige die Klingel an der rechten Außenwand und eine Frauenstimme meldet sich zu Wort. Ich erkläre ihr, dass ich eine Terminvereinbarung habe für ein Interview mit zwei Bewohnern des Hauses. Nach einigen Minuten warten, lässt mich eine Pflegerin zwischen den Stühlen vorbei und ich nehme auf einer Bank, noch vor der Anmeldung platz. Ich sehe nur vereinzelt Bewohner in der Eingangshalle sitzen oder herumlaufen. 

Was mir aber sofort auffällt, ist der große Abstand zwischen den einzelnen Bewohnern. Während die Pflegerin den Schnelltest vorbereitet, hole ich meinen kleinen Notizblock heraus und fange an ihr einige Fragen zur allgemeinen Situation innerhalb des Hauses zu stellen. Sie erklärt mir, dass das Heim in seine drei Stockwerken aufgeteilt werden musste und nur zwei Pflegekräfte pro Etage arbeiten dürften, um die Ansteckungsgefahr zu minimieren. Die Pflegerinnen und Pfleger würden sich im Schichtdienst untereinander abwechseln. Mit insgesamt 80 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wird sich um die Bewohner gekümmert. Zwei mal pro Woche müssen sich die Pflegerinnen und Pfleger einen Corona Test unterziehen. 

Mit dem ausgefüllten Fragebogen und dem negativen Testergebnis, begrüßt mich der Heimleiter am Empfang und gibt mir eine kleine Führung durch das Erdgeschoss des Gebäudes. Während er mir den großen Esssaal zeigt, in der im Moment nicht zusammen gegessen werden kann, frage ich ihn ob sich die Besucherzahl innerhalb der letzten Monate verändert hat und ob es überhaupt gestattet sei, zumal die Corona-Fälle der umliegenden Heime gestiegen ist. Aufgrund der steigenden Zahlen erklärt er mir, mussten sie die Besuchszeit auf zwei Tage in der Woche herab senken. Während des Sommers letzten Jahres konnten Verwandte und Familienmitglieder der Bewohner vier mal in der Woche zu Besuch kommen, nachdem sie sich vorher telefonisch angemeldet hatten.

Insgesamt hat das Altersheim 87 Bewohner und Bewohnerinnen, unter denen eine Vielzahl an Demenz leidet. Innerhalb des Erdgeschosses leben 29 Senioren, im ersten Stockwerk 34 Senioren und im zweiten Stockwerk 24 Senioren. Der Heimleiter erklärt mir auf dem Weg zum Gemeinschaftsraum, wo das Interview statt finden soll, dass das Zusammensein unter den Bewohnern doch sehr stark eingeschränkt werden musste. Das gemeinschaftliche Zusammensitzen, miteinander essen oder die Freizeitaktivitäten dürfen ausschließlich nur noch auf den jeweiligen Etagen unternommen werden. Der Kontakt zwischen den einzelnen Etagen ist laut Gesundheitsverordnung untersagt. 

Auch die befragten Personen bestätigen mir dieses im späteren Interview.

Mit dem Eintreten in den Gemeinschaftsraum lerne ich die zwei Bewohner kennen, die sich bereit erklärt haben sich mit mir zu unterhalten. 

Herr Detlev Meyer, 77 Jahre alt, ist schon seit zwei Jahren Bewohner des Altersheims. Walter Pöhler, 74 Jahre alt, ist seit 8 Jahren Bewohner des Hauses. Mit einer freundlichen Geste begrüßen wir uns einander und nehmen an einem Tisch platz. Herr Pöhler sitzt mir in seinem Rollstuhl gegenüber, währenddessen sich Herr Meyer von seinem Rollator, auf einen neben dem Tisch stehenden Stuhl fallen lässt. 

Mich interessieren die aktuellen Alltagssituationen und wie sie sich zu dem Alltag vor der Pandemie unterscheiden. 

Herr Meyer und Herr Pöhler berichten mir, dass es innerhalb des Altersheim festgelegte Termine gibt, die von der Heimleitung organisiert werden. So müssen sich beispielsweise die Bewohner nicht um die Versorgung kümmern, sondern haben die Möglichkeit an bestimmten Tageszeiten Mahlzeiten zu sich zu nehmen. Hierbei können sie zwischen 2 Menüs entscheiden. Es werden Fragebögen am Anfang der Woche an die Bewohner ausgeteilt. Herr Meyer und Herr Pöhler können somit entscheiden was sie Essen möchten. Diese Bögen werden von den Pflegerinnen und Pflegern wieder eingesammelt und schließlich an die Küche weitergeleitet. 

Mit den jetzigen Coronaverordnungen ist es nicht mehr möglich kurzfristige Änderungen an die Küche weiterzuleiten, erzählen sie mir. Wegen der Verpflichtung, auf ihren Etagen zu bleiben kann man nicht mehr wie früher, schnell nach unten, in die Küche und Bescheid geben.

Mit dem Frühstück um 8:00 Uhr beginnt der Tag für die meisten Bewohner. Um 11:30 Uhr gibt es Mittagessen. Am Nachmittag, um 14:00 haben die Bewohner die Möglichkeit bei Kaffee und Kuchen eine kleine Zwischenmahlzeit einzunehmen. Der Tag Endet meistens mit dem Abendbrot um 17:30 Uhr. Hat man neben seinen Fixkosten noch ein wenig Geld übrig, kann man sich von einer Mitarbeiterin des Hauses, Kleinigkeiten einkaufen lassen, wie beispielsweise Schokolade oder Lakritze. Neben Herrn Meyer war es auch anderen Bewohnern gestattet vor der Pandemie selbstständig diese Einkäufe zu tätigen, soweit man körperlich in der Lage dazu war. 

Zwischen den Mahlzeiten haben die Bewohner weitestgehend Freizeit. Herr Pöhler und Herr Meyer lesen viel, gucken Fernsehen, füllen Kreuzworträtsel aus oder halten sich auf ihren Etagen auf. Neben der Selbstbeschäftigung gibt es auch die Möglichkeit, an von den Pflegerinnen und Pflegern organisierten Gruppenprogrammen teilzunehmen. Hier werden beispielsweise Gesellschaftsspiele, wie Bingo und Brettspiele, das miteinander basteln aber auch konditions und feinmotorische Übungen angeboten. Herr Meyer berichtet mir, dass er durch die Pandemie das Bingo spielen für sich entdecken konnte. Dennoch ist die Vielzahl an Programmen stark eingeschränkt worden. So kann Herr Pöhler nicht mehr an den zuvor regelmäßig stattfindenden Kochkursen teilnehmen. Auch das gemeinsame Musizieren und miteinander Singen musste gestrichen werden, erzählt mir Herr Meyer. 

Die alljährigen Feste, wie beispielsweise das Frühlingsfest, in der im Garten zusammen gegrillt und gegessen wurde und das Weihnachtsfest musste abgesagt werden. Herr Meyer und Herr Pöhler berichten mir, dass durch das wegfallen der Feste und der Aktivitäten auch die Möglichkeit des sozialen Kontaktes unter den Bewohnern stark eingeschränkt und fast unmöglich geworden sind. 

So wurde vor der Pandemie zur Weihnachtszeit miteinander im großen Saal gefeiert. Es wurde zusammen gegessen, miteinander gesungen, gemeinsame Gottesdienste fanden statt und Geschenke wurden untereinander verteilt. All diese Dinge sind nur noch auf den einzelnen Etagen möglich oder sind ganz weggefallen. 

Während des Interviews wird mir klar, dass der soziale Kontakt innerhalb des Altersheims weitaus geringer ist, als von mir vorher angenommen. Bewohner die miteinander befreundet sind, aber auf unterschiedlichen Etagen wohnen, können sich nicht mehr sehen. So entsteht bei einigen Senioren das Gefühl der Einsamkeit. Herr Meyer und Herr Pöhler haben aufgrund familiärer Differenzen keinen Kontakt mehr zu ihren Familien. Auch ihnen fehlt der Kontakt zu ihren Mitbewohnern und Mitbewohnerinnen. Durch die Nutzung von Smartphones haben zwar einige Seniorin und Seniorinnen die Möglichkeit den Kontakt zu Familienmitgliedern und Freunden aufrecht zu erhalten. Dennoch ist die Zahl der Personen die ein Smartphone oder sonstige Geräte zu Verfügung haben, sehr gering. Herr Meyer erzählt mir, dass er durch den Lockdown mehr Zeit gefunden hat, sich mit seinem Smartphone auseinander zu setzen und hält seitdem stetigen Kontakt zu seiner Freundin. 

Das Virus ist nicht nur physisch eine Gefahr für die Bewohner des Altersheimes, sondern auch psychisch. Somit sind Seniorin und Seniorinnen, die keine Kontakte zu Familienmitgliedern haben oder technische Geräte besitzen, durch die Pandemie, sozial noch stärker eingeschränkt. Die Gefahr der mentalen Belastung kann bei diesen Personen stärker ausfallen, als bei Bewohnern die diese Probleme nicht haben. 

Ich begleite Herr Meyer und Herr Pöhler zum Fahrstuhl und bedanke mich nochmals für das nette und aufschlussreiche Gespräch. 

 

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